Rezension über:

Helmut Dumler: Venedig und die Dogen. Glanz und Macht der venezianischen Republik unter der Herrschaft der Dogen, Düsseldorf / Zürich: Artemis & Winkler 2001, 384 S., ISBN 978-3-538-07116-2, EUR 26,00
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Rezension von:
Carolin Wirtz
Centro Tedesco di Studi Veneziani, Venedig
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Carolin Wirtz: Rezension von: Helmut Dumler: Venedig und die Dogen. Glanz und Macht der venezianischen Republik unter der Herrschaft der Dogen, Düsseldorf / Zürich: Artemis & Winkler 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 1 [15.01.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/01/2178.html


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Helmut Dumler: Venedig und die Dogen

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Mit diesem Buch bietet der Autor eine Überblicksdarstellung über die sehr komplexe Geschichte der Republik Venedig von ihren Anfängen in der Spätantike bis nach dem Ende der Republik 1797. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Rolle, die das Staatsoberhaupt, der Doge, bei den historischen Entwicklungen spielte. Die Erwartungen des Lesers werden sehr hochgeschraubt, da ein Werk, das die verfassungshistorische Bedeutung des Dogenamtes beleuchtet und detaillierter auf den Einfluss, den die verschiedenen Persönlichkeiten, die das Amt innehatten, auf die Politik der Republik Venedig ausübten, in deutscher Sprache bislang fehlt.

Leider wird das Buch den Erwartungen in keiner Weise gerecht. Bereits beim flüchtigen Durchsehen fallen gravierende formale Mängel ins Auge, wie eine uneinheitliche Zitierweise. Direkte und indirekte Zitate werden in großer Anzahl ohne Nachweise aufgeführt. Der häufige Verweis auf nicht näher genannte "Quellen" oder "Schrifttum" (172/173) kann dies nicht ersetzen. Bei 21 Anmerkungen auf 379 Seiten (die Anmerkung 22 [351] fehlt im Apparat!), drängt sich unwillkürlich der Verdacht auf, dass es besser gewesen wäre, auf Anmerkungen ganz zu verzichten, da so das Buch einen eher pseudo-wissenschaftlichen Anstrich bekommt. Auch in der Literaturliste wird sehr inkonsequent verfahren. Quellen und Literatur werden durcheinander aufgezählt, und bei den Namen der Autoren werden die Vornamen teils genannt, teils werden sie weggelassen.

Dazu kommen zahlreiche und zum Teil sehr schwere sprachliche Mängel, die auf ein äußerst schlampiges Lektorat schließen lassen. Neben grammatikalischen Unstimmigkeiten sind auch ganze Sätze ineinander gerutscht (71). Fremdwörter werden falsch verwendet, wie der Begriff "Ikonoklasmus" (56/57), der eben nicht die "Heiligenverehrung der Ostkirche" meint, sondern die Zerstörung von Ikonen durch Bilderstürmer, oder die Formulierung "innenpolitische Konsultation" (63), statt "innenpolitische Konsolidierung". Auch gibt es mehrfach seltsame Sprachmischungen, wie etwa "mole" (19) an Stelle von Mole (deutsch) oder molo (italienisch), "Scuolae dei Battuti" (130) an Stelle von scuole dei battuti (italienisch) oder scholae battutorum (latein), oder "Consiglio der Zehn" (28) an Stelle von Rat der Zehn (deutsch) oder Consiglio dei Dieci (italienisch), was auf den Leser bestenfalls befremdlich wirkt.

Viele italienische Eigennamen und Begriffe sind zudem falsch geschrieben (beispielsweise "Torcella" (121) an Stelle von Torcello, "Portogruare" (235) an Stelle von Portogruaro, "Malcantento" (83) an Stelle von Malcontenta), was bis hin zu einer völligen Entstellung der Namen geht, wie zum Beispiel in bezug auf den Namen des Platzes Campo San Giovanni in Bragora, der zu "Campo Bragaro" (152) wird. Insbesonders fällt auf, dass selbst die Namen von so prominenten Historikern wie Jacques Le Goff (109) und Gino Luzzatto (377) falsch geschrieben sind.

Inhaltlich entspricht das Buch in etwa dem, was in bereits existierenden Überblicksdarstellungen zur Geschichte der Republik Venedig zu lesen ist. Der im Titel angekündigte Schwerpunkt auf der Stellung des Amtes und der Persönlichkeiten der Dogen wird jedoch nicht immer konsequent durchgehalten. Verschiedene Exkurse, die wohl der Vollständigkeit halber eingefügt worden sind, bleiben zu rudimentär, wie der über die Condottieri (225-229), bei denen der Autor so bedeutende Vertreter dieses Standes wie Federigo da Montefeltro oder Francesco Sforza ganz außer Acht lässt. Andere dieser Exkurse sind teils mit sachlichen Fehlern behaftet, und teils erscheinen sie sogar als völlig überflüssig, wie der über die Familie Borgia (251) oder der über Giacomo Casanova (351).

Auch wendet der Verfasser oft unangemessene Begriffe an, was wohl an einem angestrebten lockeren Sprachstil liegen mag, aber oftmals bis an den Rand des historisch Unkorrekten geht. So ist es etwas problematisch, vom venezianischen Patriziat als "Adel" zu sprechen (156), und Begriffe wie "Imperialismus" (116) und "Absolutismus" (28) sollte man für die Beschreibung von mittelalterlichen Phänomenen nicht verwenden.

Kommt es zur Beschreibung von Details der Besonderheiten der Geschichte der Stadt oder der Regierungsstruktur der Republik Venedig (von einer "Verfassung" zu sprechen, wie es der Autor tut (27), ist sehr diskussionsbedürftig), unterlaufen Dumler mehrfach sachliche Fehler oder Fehldeutungen. So ist die Akklamation der Beschlüsse des Großen Rates durch die venezianischen Bürger keine Folge der Schließung dieses Gremiums (der serrata von 1297) (161), sondern ein Überbleibsel der weitaus älteren Volksversammlung (arrengo). Die nicolotti und die castellani waren keine Familien (306), sondern so nannten sich die Bewohner der jeweiligen drei Stadtsechstel rechts und links des Canal Grande, und der französische Buchdrucker Nicolas Jenson konnte 1480 nicht Nachfolger der deutschen Buchdrucker werden (234), da er in diesem Jahr verstarb. Auch verwechselt der Verfasser die Mauern und Sicherungen des Arsenals, der staatlichen Schiffswerft, das an die Insel Olivolo grenzt, mit einer Stadtbefestigung (80), die Venedig auf Grund seiner Topografie nicht nötig hatte.

Auch einige technische Gegebenheiten, die jedem, der etwas Zeit in Venedig verbracht hat, vertraut sind, scheint der Autor nicht zu kennen. So gibt es bereits seit mehreren Jahren die Vaporetto-Linie 5, die durch das Arsenal fährt (114), nicht mehr, und eine Vaporetto-Haltestelle "Sant'Aponal" hat es noch nie gegeben (die gemeinte Station hieß schon immer "San Silvestro"). Die in der Kirche San Marco befindliche pala d'oro ist kein Schrein (90), sondern das Retabel des Hochaltars.

Insgesamt muss man zu dem Schluss kommen, dass dieses Buch wenig empfehlenswert ist. Für den Historiker ist es durch die zum größten Teil fehlenden Nachweise und die inkonsequente Zitierweise unbrauchbar. Auch für den interessierten Laien, der sich vielleicht auf einen Aufenthalt in Venedig vorbereiten möchte, ist es auf Grund der vielen sachlichen Fehler als Lektüre nicht besonders gut geeignet.

Es ist das Problem, dass zu einem derart attraktiven und publikumswirksamen Thema wie der Geschichte Venedigs vieles in unterschiedlichster Qualität geschrieben wird. Es reicht aber nicht aus, gerne und oft in der Stadt gewesen zu sein und sich etwas Literatur angelesen zu haben, um die äußerst komplizierte und eigenständige Geschichte der Republik Venedig angemessen darstellen zu können. Fundierte neuere Darstellungen, wie die unvollendet gebliebene Geschichte Venedigs des verstorbenen Historikers Gerhard Rösch [1] entstanden nach jahrelangen Recherchen und einer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte der Stadt und der Republik, die nötig sind, um diesem besonderen Phänomen nicht zu vereinfachend und nicht verfälschend zu begegnen.

Anmerkung:

[1] Gerhard Rösch: Venedig. Geschichte einer Seerepublik, Stuttgart 2000.

Carolin Wirtz