Rezension über:

Catherine Atkinson: Debts, Dowries, Donkeys. The Diary of Niccolò Machiavelli's Father, Messer Bernardo, in Quattrocento Florence (= Dialoghi / Dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs; Vol. 5), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, 190 S., ISBN 978-3-631-38351-3, EUR 35,30
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Rezension von:
Christian Wieland
Graduiertenkolleg 'Sozialgeschichte von Gruppen, Schichten, Klassen und Eliten', Universität Bielefeld
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Christian Wieland: Rezension von: Catherine Atkinson: Debts, Dowries, Donkeys. The Diary of Niccolò Machiavelli's Father, Messer Bernardo, in Quattrocento Florence, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 9 [15.09.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/09/2189.html


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Diese Rezension erscheint auch in PERFORM.

Catherine Atkinson: Debts, Dowries, Donkeys

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Bernardo Machiavelli (zirka 1430-1500) könnte wahrscheinlich die Aufmerksamkeit von Philologen und Historikern des 20. Jahrhunderts kaum in hohem Maße auf sich ziehen, wäre er nicht der Vater des Vorstehers der Zweiten Kanzlei der Florentiner Republik, dessen historische und politikwissenschaftliche Werke zu den einflussreichsten und am kontroversesten diskutierten ihrer Art zählen. Während man gemeinhin einer Persönlichkeit wie Niccolò Machiavelli Epitheta wie "Neuheit", Innovation und andere Außergewöhnliches anzeigende Begriffe zuschreibt, sind die Zeugnisse, die sein Vater hinterlassen hat, weit eher von Interesse, wenn man die historiographische Aufmerksamkeit auf das Alltägliche, das Normale, das Zeittypische lenkt. Das Tagebuch von Messer Bernardo Machiavelli präsentiert sich als Typ einer für mikrohistorische Untersuchungen prädestinierten Quelle, und eben dies scheint die Rechtfertigung eines intensiven Umgangs mit diesem "Überrest" aus der florentinischen Renaissance zu sein.

Der Autor entstammte einer traditionsreichen Florentiner "casata", deren Mitglieder seit dem 13. Jahrhundert kommunale Ämter besetzten. Enge Klientelbeziehungen verbanden die Machiavelli mit den Bardi; vornehme Konnubien, die Verleihung der Ritterwürde, die Familienkapelle in Santa Felicità und Landbesitz in Sant'Andrea in Percussina distinguierten die Familie von Textilhändlern, Juristen und Rentiers, die das prestigeprächtige Erbe der Castellani di Montespertoli beanspruchten.

Bernardo selbst zählte gewiss nicht zu den eminentesten Vertretern seines Hauses: Der Jurist, der seine Studien an der Florentiner Universität absolviert hatte, übte keine politischen Ämter aus - formal wegen Steuerschulden, die öffentliche Tätigkeiten unmöglich machten, möglicherweise auch wegen der in seiner Familie quasi-erblichen Opposition gegen das Medici-Regime. So geraten die "ricordi" des "pater familias" und Privatiers zu einem Dokument des "privaten Lebens", gekennzeichnet durch "Unmittelbarkeit", nicht durch politische Reflexion.

Der vorliegende "libro di ricordi" wurde von 1474 bis 1487 geführt; das Manuskript befindet sich in der Biblioteca Riccardiana, 1954 wurde eine Edition von Cesare Olschki besorgt. Die Darstellung von Catherine Atkinson kann als ausführlicher Kommentar des Textes verstanden werden, als historische Einordnung, als philologische Analyse, als kontextualisierende Interpretation.

Zwei einleitende Kapitel ("Setting the scene: Quattrocento Florence", 17, und "Family and Origins", 25), in denen die Bühne aller Aktivitäten Messer Bernardos, Florenz, sowie seine konkrete Umwelt und Lebenswirklichkeit, die Familie, vorgestellt werden, führen in die Analyse des Tagebuches, das in diesen urbanen und genealogischen Rahmen zu platzieren ist, ein.

Das dritte Kapitel ("Bernardo Machiavelli's libro di ricordi, 1474 - 1487", 69) stellt die eigentlich philologische Arbeit der vorliegenden Studie dar: Das Genus der "ricordanze", ihre Sprache, der Kontext des Schreibens, das "Ich" des Autors und die Funktion der "ricordi" als Element der Familienerinnerung und - konkret - juristisches Dokument werden hier thematisiert. Das vierte und fünfte Kapitel schließlich gehen auf die zentralen Inhalte des Tagebuches ein, die als Spiegel der Welt, der Interessen und des geistigen Horizonts ihres Schreibers gedeutet werden.

Bernardo Machiavelli war in erster Linie Haushaltsvorstand: Sein Leben oszillierte kontinuierlich zwischen Stadt und Land, zwischen dem Stadthaus "oltrarno" und der Villa Sant'Andrea in Percussina bei San Casciano - eine kontinuierliche Wanderung im Dienst der familiären Subsistenz. Atkinson deutet die entsprechenden Einträge vor der zeitgenössischen Folie von Leon Battista Albertis "Della famiglia": Machiavelli stellt sich so als konkrete Personalisierung des "ideal economist" dar.

Den größten Teil der Studie nimmt eine Darstellung von Streitfällen und ihren Schlichtungen ein ("Dispute and agreement", 97): Florenz besaß ein komplexes Rechtssystem und zahlreiche außergerichtliche Mechanismen der Konfliktlösung, vor allem das "arbiter"-Verfahren, das zwar juristisch geregelt, jedoch deutlich flexibler und schneller als ein formalisiertes Gerichtsverfahren war.

Vier Fallstudien illustrieren die Typen von Konflikten, die den familiären und ökonomischen Alltag Bernardos störten und deren Regelung die Präsenz des Familienvaters verlangten: die Schwangerschaft einer Dienerin des Hauses Machiavelli nach einem Verhältnis mit einem entfernten Verwandten des Hausherrn; die Weigerung eines Florentiner Metzgers, für die Lieferung von Lämmern durch zwei Pächter Machiavellis den vereinbarten Kaufpreis zu entrichten; das unerlaubte Schlagen von Feuerholz durch einen Pächter auf dem Landgut Sant'Andrea; die Verheiratung der ältesten Tochter des Hauses Machiavelli, Primavera, mit Francesco Vernacci.

Den Ritualen dieser Eheschließung wird im Rahmen eines Exkurses breiter Raum gewidmet; den Abschluss des Kapitels bildet die Beschreibung von Gerichtsfällen, in die Machiavelli verwickelt war. Der Umgang mit, die Lösung von Konflikten standen immer in direktem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Lage und der "Ehre" der Familie: Ihre Bewahrung, Wiederherstellung oder Reinigung benötigte eine Bühne in der Öffentlichkeit und orientierte sich an den Kommunikationsmustern einer städtischen Gesellschaft - Bernardo Machiavelli bewies im Verhältnis mit den zeittypischen Umgangsformen und Verhaltenserwartungen jedoch einen flexiblen, "individualisierten" Umgang.

Mit dem Kapitel "Intellectual horizons" (137) beendet Atkinson die Rekonstruktion der Welt eines gebildeten Florentiner Familienvaters des 15. Jahrhunderts: Machiavelli berichtet regelmäßig über den Erwerb von Büchern, die er als intellektuelle und ästhetische Objekte schätzte. Er entlieh Werke von Cicero, Aristoteles, Plinius und Ptolemaeus und besuchte häufig die Bibliothek von Santa Croce. Für den Kartografen Niccolò Tedesco erstellte er einen geografischen Index der Schriften des Livius, eine Tätigkeit, die ihn als Teilnehmer einer breiten intellektuellen Diskussion um Weltbilder und Weltordnungen offenbart. Als vollgültiger Beweis der intellektuellen Präsenz und vor allem juristischen Sachkenntnis Bernardo Machiavellis dient der Verfasserin schließlich seine Rolle in Bartolomeo Scalas Dialog "De legibus et iudiciis dialogus" von 1483: Der Autor lässt in diesem Lorenzo de' Medici gewidmeten Werk sich selbst und Bernardo Machiavelli über das Verhältnis von Gesetzgebung und gesellschaftlicher Entwicklung diskutieren. Dass Machiavelli als Vertreter des idealistischen Juristenstandpunkts fungiert, gilt Atkinson als weiterer Beweis für seine republikanische, anti-mediceische Haltung.

Der "libro di ricordi" stellt keine Introspektion einer romantischen Seele, eines durch das Ideal der Individualität geschulten Autors dar; das Ich des Textes ist durch die Rolle des "pater familias" bestimmt und dadurch nicht für die Erstellung einer modernen Charakterisierung zugänglich. Doch gerade die Art und Weise, wie in den "ricordi" mit Rollenerwartungen umgegangen wird, enthüllt die Handlungsspielräume und Grenzen im Alltag der florentinischen Renaissance: Eine vielfältigen Fragestellungen zugängliche Quelle und ein höchst lesenswerter, differenzierter und kluger Kommentar.


Christian Wieland