Rezension über:

Hendrik J. Horn: The Golden Age Revisited. Arnold Houbraken's Great Theatre of Netherlandish Painters and Paintresses, Doornspijk: Davaco Publishers 2000, 2 Bde., 985 S., 185 Abb., ISBN 978-90-70288-66-2, EUR 177,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Hans-Joachim Raupp
Kunsthistorisches Institut, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Dagmar Hirschfelder
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Joachim Raupp: Rezension von: Hendrik J. Horn: The Golden Age Revisited. Arnold Houbraken's Great Theatre of Netherlandish Painters and Paintresses, Doornspijk: Davaco Publishers 2000, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 11 [15.11.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/11/3209.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Hendrik J. Horn: The Golden Age Revisited

Textgröße: A A A

Arnold Houbrakens "De Groote Schouburgh der Nederlantsche Konstschilders en Schilderessen" (3 Bände, Amsterdam 1718-1721) wurde im Untertitel als Fortsetzung von Carel van Manders "Schilder-Boeck" (1604) angekündigt. Die etwa 530 Biografien gelten als unverzichtbare Quellen historischer Information, als dubiose Quellen mehr oder weniger amüsanter Anekdoten und als durch akademisch-klassizistisches Kunsturteil getrübte Quellen.

Viele Kunsthistoriker haben bei Houbraken gezielt Auskünfte oder Bestätigung gesucht, kaum einer dürfte ihn von Anfang bis Ende gelesen haben. Horn hat sich dieser Mühe unterzogen und seine Beobachtungen in einem sehr materialreichen, sehr ausführlichen, sehr umständlichen und sehr persönlich geschriebenen Buch dargelegt. [1] Die unabhängig von der gegenwärtig in Utrecht vorbereiteten kommentierten Houbraken-Edition entstandene Studie verfolgt sehr unterschiedliche Ziele.

An erster Stelle ist sie eine ausgiebige Blütenlese, die unter verschiedensten Gesichtspunkten Zitate sammelt und auswertet. Diese Gesichtspunkte reichen von Stilfragen des Textes bis zu kunsttheoretischen Positionen, von den Reisen der Künstler bis zu ihren alltäglichen Lebensformen, von Houbrakens religiöser Überzeugung bis zu seiner Kunstkennerschaft. Nach Angabe des Autors wird auf diese Weise etwa ein Drittel der "Groote Schouburgh" in englischer Übersetzung vorgelegt.

An zweiter Stelle geht es um die Würdigung der Persönlichkeit Houbrakens. Horn erkennt in ihm einen aufgeklärten und toleranten Skeptiker, dessen deistische Weltanschauung (stark beeinflusst von Balthasar Graciàn!) sowohl die Lebensbeschreibungen als auch das Kunsturteil prägt. Die Biografien bezeugen Gottes unerforschlichen Ratschluss und lehren entsprechende Lebensklugheit. Die Malerei des soeben verflossenen "Goldenen Jahrhunderts" zeugt von der Schönheit und der Vielfalt der Schöpfung. Daher weiß Houbraken nicht nur klassizistische Historienbilder, sondern auch naturtreue Landschaften und Blumenstillleben zu schätzen. Sein "deistischer Klassizismus" ist nicht akademisch-doktrinär, sondern flexibel und pragmatisch. Houbraken liebt schöne, bunte und lebendige Bilder, er hasst hässliche, düstere und fade Malerei (Vanitas-Stilleben, tonale Landschaften und Rembrandts Kolorit). Er liebt lustige und verachtet moralisierende Genrebilder. Er selbst moralisiert nicht, sondern schreibt als Moralist. Horn macht keinen Hehl daraus, dass ihm dieser Autor ausgesprochen sympathisch ist.

Ein drittes Ziel des Buches ist die Polemik gegen den Missbrauch der "Groote Schouburgh" durch Autoren, die Houbraken einseitig, missverständlich und voreingenommen zitieren und für modische Zeitgeist-Interpretationen in Dienst nehmen. Diese Polemik schlägt in alle Richtungen. Sie trifft sowohl Jan Emmens, der Houbraken verständnislose Rembrandt-Kritik vorwarf, wie auch Svetlana Alpers, die holländische Malerei auf bloße Beschreibung reduzierte. Vor allem aber konzentriert sie sich auf die aktuelle "New Art History", gegen deren Ressentiments und historischen Defätismus sich Horn als Positivist heftig zur Wehr setzt. Der bis heute anhaltende Grundsatzstreit zwischen den Ikonologen und ihren Gegnern wird sehr ausführlich und gerecht diskutiert.

Ein grundsätzliches Anliegen des Verfassers ist es, Verständnisprobleme der heutigen Houbraken-Leser zu beseitigen. Beim Versuch, dem Leser zu erklären, was ihm fremd, unbegreiflich oder unzulänglich vorkommen mag, zieht sich Horn leider allzu häufig auf den Zeitdruck zurück, unter dem Houbraken erwiesenermaßen schrieb.

Vor allem verzichtet er jedoch auf jegliche "streng philologische" Darlegung der literarischen Voraussetzungen. Man erfährt nichts über die Aufgaben, Leitgedanken und Gestaltungsprinzipien der humanistischen Biografik.

Schon die Erklärung der Leitmetapher Theater bleibt oberflächlich [2]. Auch die Bedeutung der Topoi und der Toposforschung wird sträflich unterschätzt. Das führt bisweilen zu krassen Missverständnissen. Beispielsweise ist die Geschichte von Adriaen Brouwers bemaltem Anzug (Houbraken, Band 1, 328) nicht einfach "silly" (158), sondern greift den Topos vom abwaschbaren Bild auf, der von der Novellistik des Trecento bis zu Berninis antispanischen Witzen am Versailler Hof mit der Rolle des Malers als satirischem Spötter verbunden ist.

Stattdessen müht sich Horn, seinen Lesern klarzumachen, dass sie bei Houbrakens Charakterschilderungen keine moderne Psychologie und bei seinen Ansichten über angeborene Begabung keine moderne Vererbungswissenschaft voraussetzen dürfen. Dieses Anliegen, mit dem sich der Autor ausdrücklich am Verständnishorizont eines (US-amerikanischen) Lesepublikums über die Fachwissenschaft hinaus orientiert, begründet einen Ansatz, der leider nicht anders als dilettantisch genannt werden kann und den wissenschaftlichen Wert des Buches erheblich einschränkt. Der kritische Leser findet zwar bequemen Zugang zur "Groote Schouburgh", kann sich aber auf Horns Auswertungen und Kommentare nur bedingt verlassen.

Positiv zu würdigen ist der insgesamt überzeugende Versuch, dem Autor Houbraken persönliche Statur und seinem Denken und Schreiben Konsistenz zu geben. Ob die Lektüre Houbrakens einen heutigen Leser noch in human-humanistischen Überzeugungen bestärken kann, ist eine offene Frage. Dass sich der Verfasser dies wünscht angesichts eines Zeitgeistes, der hinter Positionen der Aufklärung zurückzufallen droht, ehrt ihn ohne Zweifel.

Anmerkungen:

[1] (Band 1: I-XXII + 1-697 Text; Band 2: 703-872 Anmerkungen, 873-985 Bibliografie, Register und Indices, 2 Farbtafeln und 183 Schwarzweiß-Abbildungen). Vergleiche dagegen Jan Muylle: Schilderkunst en kunstenaarsbiografieen als specula. Metafoor, fictie en historiciteit. In: De zeventiende eeuw 2, 1986, Nr.1, 57-74


Hans-Joachim Raupp