Rezension über:

Andreas Kiesewetter (Hg.): Dokumente zur italienischen Politik in der oberschlesischen Frage 1919-1921 (= Schlesische Forschungen; Bd. 8), Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, XII + 587 S., ISBN 978-3-8260-2035-3, EUR 51,00
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Rezension von:
Manfred Alexander
Seminar für osteuropäische Geschichte, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Irgang
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Alexander: Rezension von: Andreas Kiesewetter (Hg.): Dokumente zur italienischen Politik in der oberschlesischen Frage 1919-1921, Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 12 [15.12.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/12/3273.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Andreas Kiesewetter (Hg.): Dokumente zur italienischen Politik in der oberschlesischen Frage 1919-1921

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Der vorliegende Band enthält Berichte italienischer Politiker, Diplomaten und Militärs über die italienische Beteiligung an der interalliierten Kommission für Oberschlesien im Umfeld der Abstimmung und der Teilung des Landes 1919 bis 1921. Ein zweiter Band mit Akten der italienischen Truppen aus dem Archiv des Generalstabs, herausgegeben von Peter Herde, soll später folgen.

In einer Einleitung von 90 Seiten schildert der Herausgeber den Verlauf der internationalen Diskussionen und der Ereignisse in Oberschlesien und bietet einen beeindruckenden, kommentierten Überblick über die internationale Literatur. Der Hauptteil umfasst 386 Dokumente aus den italienischen Archiven in italienischer und französischer Sprache, denen jeweils ein ausführliches Regest in Deutsch vorangestellt wird. Die Dokumente sind nach Jahren geordnet und innerhalb der Jahre chronologisch. Das Hauptgewicht (334 Dokumente) liegt auf dem Jahr 1921, und darin ist der Monat Mai (dritter Aufstand in Oberschlesien) mit 149 Dokumenten am stärksten vertreten. Diese dürren Hinweise sagen nichts über den Wert des Bandes: Der Leser findet Angaben über die Hintergründe für die Einberufung und Zusammensetzung der Interalliierten Kommission, der Spannungen zwischen den Alliierten auf der Ebene der Regierungen wie der Offiziere "vor Ort", der "Selbstherrlichkeit" des französischen Kommissars LeRond, dem wegen des missverständlichen "Haute-Silésie" französische Gebirgsjäger zugewiesen worden waren (14, Anmerkung 1); ausführlich werden die Vorüberlegungen über den Abstimmungsmodus dokumentiert, die Ergebnisse der Abstimmung vom 20. März 1921 aufgeschlüsselt, der dritte Aufstand eingehend behandelt, dann die Einzelschritte zur Entscheidung über die Teilung und zur Festlegung der Grenze erfasst. Über die regionalen Probleme hinaus werden die Regierungspolitik Italiens und deren widersprüchliche Anweisungen beleuchtet, wenn etwa wirtschaftliche Erwägungen das Verhalten der Offiziere beeinflussen sollten; mit der Entscheidung über den Grenzverlauf reicht die Dokumentation bis auf die Ebene des Völkerbundes.

Die italienischen Truppen erwarben sich bei der Bevölkerung Oberschlesiens einen guten Ruf wegen ihrer unparteiischen Haltung, die positiv von der französischen abstach; dafür bezahlten sie mit 24 Toten beim dritten Aufstand und 48 Toten insgesamt (535) einen hohen Preis und wurden von polnischen Zeitungen deswegen auch noch verhöhnt (Dokument III 151). Der italienische Kommissar Alberto De Marinis hatte sich eine profunde Kenntnis der Verhältnisse Oberschlesiens erworben und das Spannungsfeld konkurrierender Interessen verstanden, aber den Unterschied zwischen der lokalen slawischen Bevölkerung und den "Polen" nicht gesehen.

Bemerkenswert ist auch die ausführliche Bibliografie, die unter der ungewöhnlichen Bezeichnung "ostsprachliche Literatur" auch die wichtigsten polnischen Titel unter sorgfältiger Beachtung der Orthografie erfasst. Unerklärlich bleibt nur, warum die Abkürzung P.O.V. nicht als POW (Polska Organizacja Wojskowa) erkannt (Dokument I 9 und 10) und der "principe Czartoriwski"(189) als "Angestellter am polnischen Konsulat in Oppeln" (577) und nicht als Fürst Czartoryski identifiziert wurde. Auch wenn "die Kenntnis der Sprache Dantes und Boccaccios nördlich der Alpen leider nicht sehr verbreitet ist", wie Andreas Kiesewetter zu Recht feststellt (91), so darf dieser Band dennoch in keiner Bibliothek über Oberschlesien fehlen.


Manfred Alexander