Rezension über:

Philipp Dobereiner: History der heiligen Junckfrawen Mechtildis. Nachdruck der Ausgabe München 1574 mit Nachwort und Bibliographie von Manfred Knedlik und einer biographischen Skizze über die selige Mechthild von Diessen von Hans Pörnbacher (= Geistliche Literatur der Barockzeit; Bd. 15), Amsterdam / Utrecht: Apa-Holland University Press 2002, 231 S., 6 Abb. und 1 Farbtafel, ISBN 978-90-302-1315-4, EUR 31,80
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Rezension von:
Frank Matthias Kammel
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Gudrun Gersmann
Empfohlene Zitierweise:
Frank Matthias Kammel: Rezension von: Philipp Dobereiner: History der heiligen Junckfrawen Mechtildis. Nachdruck der Ausgabe München 1574 mit Nachwort und Bibliographie von Manfred Knedlik und einer biographischen Skizze über die selige Mechthild von Diessen von Hans Pörnbacher, Amsterdam / Utrecht: Apa-Holland University Press 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 1 [15.01.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/01/3586.html


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Philipp Dobereiner: History der heiligen Junckfrawen Mechtildis

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Seit gut 20 Jahren erscheint die von Hans Pörnbacher besorgte Reihe "Geistliche Literatur der Barockzeit" und hilft so, den Zugang und das Verständnis zu literarischen Raritäten vom späten 16. bis zum hohen 18. Jahrhundert mittels Reprint und durch Kommentierung angemessen zu erleichtern. Das jüngste Glied dieser verdienstvollen Reihe ist nun Philipp Dobereiners "History der heyligen Junckfrawen Mechtildis", die 1574 in München erstmals verlegt worden war. Die selige Mechthild von Diessen, gestorben am 31. Mai 1160, ist über die Gegend am oberbayerischen Ammersee hinaus heute wohl nur wenigen Spezialisten bekannt, wiewohl sie aus dem Grafenhaus derer zu Dießen, ab 1156 Andechs-Meranien genannt, einem der mächtigsten Geschlechter im Süden des Reiches, stammt. 28 Heilige zählt ihre Verwandtschaft, darunter Hedwig von Schlesien und Elisabeth von Thüringen, aber auch Männer historischer Tat, wie den Bischof Eckbert von Bamberg, Erbauer des heute noch stehenden Doms im "fränkischen Rom" und Vetter Friedrich Barbarossas.

Im Kindesalter den Chorfrauen von St. Stephan in Diessen zur Erziehung übergeben, legt sie dort später ihre Gelübde ab und übernimmt die Leitung des Konventes. Dann geht sie, im Rufe außergewöhnlicher Gottesfurcht und Disziplin, für sieben Jahre nach Edelstetten, um im Auftrag des Bischofs das Leben der dortigen Chorfrauen neu zu ordnen. Kurz nach ihrer Rückkehr stirbt sie, kaum 35 Jahre alt.

Bald danach verfasst der Zisterziensermönch Engelhardt († vor 1210) im oberfränkischen Kloster Langheim auf Bitten der Familie eine Vita, deren Hauptquellen Angaben der Verwandten und die Ergebnisse einer Bevölkerungsbefragung in und um Diessen darstellen. Von dem um 1200 abgeschlossenen Bericht sind zwei Handschriften erhalten geblieben. Auf Bitten des Diessener Propstes Ulrich II. Trieg wurde eine davon durch Philipp Dobereiner (1535-1577) schließlich ins Deutsche übertragen. Der in Tirschenreuth geborene Weltpriester hatte in Ingolstadt Theologie studiert und war dort mit dem neuen, wesentlich von den seit 1549 in Bayern tätigen Jesuiten bestimmten katholischen Selbstbewusstsein konfrontiert worden. Heute darf der Kanoniker zu Recht als einer der hervorragendsten Vertreter der katholischen Erneuerungsbewegung nach dem Tridentinum in Bayern gelten. In diesem Sinne besitzt er Bedeutung als Vermittler spanischer Andachtsliteratur ins Deutsche, aber auch als wichtiger geistlicher Autor der Zeit. Manfred Knedlik charakterisiert ihn in seinem Nachwort als gewandten und wortgewaltigen Erzähler, der mit seinem Werk einen wichtigen Beitrag zu einer ausdrucksfähigen bayerischen Schriftsprache lieferte. Nicht zuletzt soll der Reprint daher auch die Wiederentdeckung eines zu Unrecht vergessenen Autors einleiten.

Die Übersetzung und Edition der Lebensgeschichte der seligen Mechthild ist Teil der verstärkten Pflege der Hagiographie im Zusammenhang mit der Bestätigung der Heiligenverehrung durch das Tridentinische Konzil. Dobereiner benutzt die traditionelle Form der christlichen Erbauungsliteratur zur Stärkung des Katholiken im Glaubensstreit wohlweislich, da das Beispiel aller christlichen Tugenden - wie er in seiner Vorrede schreibt - zur Besserung und Erbauung des Menschen wirksamer beiträgt als viel Belehrung und Predigt.

Wie andere dem Mittelalter entstammende Heiligenviten, preist auch die der Mechthildis Güte und Gehorsam, Barmherzigkeit, Fleiß und Mitleid, Gottesfurcht und Askese der Frau. Und gleich, ob die Enthaltsamkeit in Fleisch- und Weingenuss, Geduld in der Krankheit oder die Tatsache, dass die Selige "umb ein ain(z)igs mueßiges wort gewainet und aber nie gelachet" hat, stets wird zu Nachweis und Gewähr wahrer Heiligkeit ein biblischer Kommentar beigefügt oder zumindest eine Schriftstelle glossiert. Darüber hinaus legitimieren patristische Sentenzen und Verweise auf Parallelen anderer Heiligenleben - beispielhaft sei die auch von der heiligen Agatha geübte Verschmähung von Arznei genannt - die Einordnung der Mechthild von Diessen in den barocken Heiligenhimmel. Die strenge Regulierung von Edelstetten - wie sie "auß eim offen Kloster ein versperts gemacht hat" - wird ganz in hochmittelalterlicher Manier als Kultivierung eines verwilderten Gartens beschrieben, der bald darauf die schönsten Blüten und edelsten Gewächse hervorbringt. Mechthild treibt Dämonen aus und heilt Kranke. Weder an Wundergeschichten, wie der dreimaligen Verwandlung von Wasser in Wein an der Regensburger Fürstentafel, noch an der Schilderung von Gesichten ist Mangel, da die Klosterfrau den Kampf um ihre Seele und das Antlitz Mariens visionär sehen darf. Im Übrigen ist das Sterben der in ihrem Leben dem Gelächter entsagenden Mechthildis einzig Lachen und Jubilieren und damit Bestätigung für ihre Erlösung genug. Ihr langes, unter dem Schleier verborgenes Haar, das nach dem Tode geschoren und zum verehrten Heiltum in Diessen wurde, fiel wohl erst in der Aufklärungszeit der Vernichtung anheim. Bei ungestümen Gewittern und Hagel hatte man den besänftigend wirkenden Schopf bis dahin nämlich in den Sturmwind gehängt.

Knapper Umfang von Einleitung und Nachwort rauben dem Reprint dieser Vita nichts an Gewicht. Bündig und angemessen setzen sie die Schrift in ihren historischen Kontext. Die angehängte Bibliografie gibt jedem stärker Interessierten ein gutes Hilfsmittel zur leichten Information an die Hand. Der Neudruck - so bleibt letztendlich zu wünschen - wird der Forschung zu Dobereiner wie zu Mechthildis von Diessen nachdrückliche Impulse verleihen.


Frank Matthias Kammel