Rezension über:

Katharina Krause: Wie beschreibt man Architektur? Das Fräulein von Scudéry spaziert durch Versailles (= Rombach Wissenschaften. Quellen zur Kunst; Bd. 18), Freiburg/Brsg.: Rombach 2002, 136 S., 14 s/w-Abb., ISBN 978-3-7930-9322-0, EUR 15,30
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Rezension von:
Klaus Jan Philipp
Institut für Architekturgeschichte, Universität Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Jan Philipp: Rezension von: Katharina Krause: Wie beschreibt man Architektur? Das Fräulein von Scudéry spaziert durch Versailles, Freiburg/Brsg.: Rombach 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 2 [15.02.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/02/1277.html


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Katharina Krause: Wie beschreibt man Architektur?

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Das Verdienst dieses handlichen Büchleins ist ein dreifaches: Erstens erschließt Katharina Krause in der 1669 erschienenen Novelle "Promenade à Versailles" von Madeleine de Scudéry eine wichtige Quelle für den Zustand des Schlosses von Versailles vor den großen Um- und Neubaumaßnamen. Zweitens werden dem französischen Originaltext die für die Beschreibung des Schlosses zentralen Passagen in einer kommentierten Übersetzung gegenübergestellt (8-73), wobei es der Verfasserin gelingt, den höfisch preziösen Ton der Scudéry sicher zu treffen. Drittens umreißt Krause auf knappem Raum sowohl die Sprache und die Theorie der Beschreibung von Architektur zur Mitte des 17. Jahrhunderts als auch den Zustand des Schlossbaues von Versailles vor 1669.

Die Leitfrage des Buches, wie man denn Architektur beschreiben könne, verbindet die Analyse der Novelle und die baugeschichtliche Untersuchung. Zugleich fokussiert diese Frage die Lektüre der Novelle, deren Inhalt dahinter zurücktritt, wenn auch zu berücksichtigen ist, dass Handlung und Architekturbeschreibung eine unzertrennliche Einheit bilden. So viel sich bei der Lektüre der Novelle und Krauses Text lernen lässt - wie man Architektur beschreibt, lernt man jedoch nicht. Abschließend charakterisiert Krause die "Promenade de Versailles" als Fürstenspiegel: Die Leistungen Ludwig XIV. in Versailles werden der Nachwelt überliefert und es ist ein Tugendkatalog, an dem der König sich messen lassen muss. Gleichwohl erfährt der Haupttitel des Buches seine Berechtigung darin, dass der Spaziergang des Fräuleins von Scudéry durch Versailles ein Musterfall für eine in einen literarischen Text eingebettete Architekturbeschreibung ist, die Katharina Krause vor dem Hintergrund der kunstkritischen Debatte des späten 17. Jahrhunderts darstellt.

Protagonisten der Novelle neben der Icherzählerin sind die schöne Fremde, Célanire, und deren Verwandte Glicère und Telamon, die während einer Promenade durch Garten und Schloss von Versailles geistreich und gelehrt über Kunst und Architektur parlieren. En passant werden dabei die Anlage des Gartens und seine Möblierung, das Schloss und einige Zimmer und Kabinette beschrieben, wobei es der Scudéry sehr bewusst ist, in welcher literarischen Tradition sie sich mit solchen Beschreibungen bewegt. Die Beschreibung fügt sich in den Fortgang des Textes ein und ist der Erzählung untergeordnet. Gleichwohl lässt sie sich isolieren, ist nicht bloß ancilla narrationis sondern besitzt einen selbstständigen Wert. Die einschlägige Architekturterminologie ist ihr nicht fremd, wenn sie auch nicht gelehrt und pedantisch angewandt wird. In ihren Beschreibungen ist sie exakt, sie weiß genau, was sie beschreiben will und anderes lässt sie gezielt aus. Auch ihr Schweigen ist beredter Kommentar und wird von den Zeitgenossen verstanden worden sein. Ebenso von Bedeutung ist es, in welcher Reihenfolge die Innenräume des Schlosses und die "Highlights" des Gartens besichtigt werden. Der Ausflug der kleinen Reisegesellschaft dauert einen Tag und die Beschreibung der Anlagen folgt der Topografie von Paris kommend über das Schloss in den Garten. Da der König, Louis XIV., nicht anwesend ist, kann die kleine Reisegruppe in Versailles fast alle Räume und Gartenanlagen besichtigen. Erst später verbat der König seinen Gästen Maße zu nehmen oder sich Skizzen und Notizen zu machen, um sich das ausschließliche Recht an der Publikation seines Schlosses zu sichern. Geschickt setzt Scudéry die verschiedenen Blickwinkel und die unterschiedlichen Geschmacksausprägungen des Quartetts ein, um die Anlagen in diversen Facetten auszuleuchten. Ein weiterer Kunstgriff der Scudéry besteht darin, dass sie die Gruppe immer wieder inne halten lässt, um eine Aussicht zu beschreiben und den Blick in die Ferne schweifen zu lassen.

Von den architektonischen Motiven, die in der Novelle beiläufig geschildert werden, steht das von einer maßvollen Pracht, einer "magnificens sans ostentation", an erster Stelle. Auffällig war in Versailles vor dem Neubau des Schlosses der Kontrast zwischen dem kleinen Schloss und dem Anspruchsniveau des "größten Königs der Welt". Noch herrscht eine vernunftbetonte Verbindung des Nützlichen und Schönen. Dies gilt trotz der Ansicht des englischen Architekten Christopher Wren, der hier wegen des kleinteiligen Bauschmuckes eher einen Kabinettschrank als ein Schloss erblicken wollte. Die prächtige Ausstattung präsentiert sich vor allem im Innern: Scudéry hebt besonders das "Cabinet des filigranes" hervor, in der die Reisegesellschaft sich längere Zeit aufhalten kann. Auch hier beschreibt sie nur so viel, wie unbedingt notwendig. Bei dem Hauptthema der Panegyrik zu Versailles der durch die Kunst beherrschten Natur legt Scudéry besonderes Augenmerk auf die Brunnenanlagen. Die Wasserfülle an einem Ort, der eigentlich trocken ist, hat die Besucher -und auch Fräulein von Scudéry - immer wieder zum Staunen gebracht. Um die Herrschaft über das Element zu betonen, wird es auch "gegen seine Natur" eingesetzt: So bilden auf Kandelabern Wasserstrahlen das konträre Element Feuer nach. Auch die anderen Elemente und die Zeiten sind in Versailles dem König untertan, er kann über sie nach Belieben verfügen.

Krause stellt in ihrem Kommentar den Beschreibungen der Scudéry andere zeitgenössische Beschreibungen von einzelnen Räumen oder dem ganzen Schloss gegenüber, um die Qualitäten der Architekturbeschreibung in der Novelle zu würdigen. Im Vergleich mit dem gleichsam "amtlichen" Führer durch Schloss und Garten, der "Description sommaire" von André Félibien (1674), wird deutlich, welche Freiheiten Scudéry sich gelassen hat. Interessant aber ist, dass die vom König selbst verfasste "Manier, die Gärten von Versailles zu zeigen" (1689 bis 1705 in mehreren Varianten) ebenso wie die Scudéry auf die Ikonographie der Brunnenplastik und der zahlreichen Statuen und Vasen verzichtet, die Felibiens "Description" akribisch aufzählt und zu einem Apollo-Programm verdichtet. Neben anderen Aspekten wird durch diesen Vergleich auch eine Eigenart der Gartenvisite erhellt: Nämlich die "deutliche Unterscheidung zwischen Fortbewegung, die Scudéry mit Gesprächen füllt, und Anhalten, das dem Sehen, der Betrachtung in Ruhe, gewidmet ist." (127)

Welche Form der Beschreibung die "richtigere" ist, steht nicht zur Debatte. Wie Madeleine de Scudéry jedoch wusste, steht die Beschreibung von Architektur in einer langen Tradition. Sie erwähnt Caesars Beschreibung einer Brücke über den Rhein ebenso wie die Villen-Briefe von Plinius dem Jüngeren. Von zentraler Bedeutung für ihr literarisches Vermögen und selbstverständliches Einflechten von Architekturbeschreibungen in die Handlung ist eine Aussage Telamons, den sie als Architekturkenner in Szene setzt. In Anschluss an ein Gespräch über das Verhältnis von Architektur und Natur ergänzt er: "Die Baukunst ist nämlich nicht unsterblich, und wir würden Tausende von Dingen nicht kennen, die die großen Fürsten auf dem Gebiet der Bauten gemacht haben, wenn man in der Geschichtsschreibung keine Beschreibungen fände." (15)


Klaus Jan Philipp