Rezension über:

Bruno Thoß / Hans-Erich Volkmann (Hgg.): Erster Weltkrieg - Zweiter Weltkrieg: Ein Vergleich. Krieg, Kriegserlebnis, Kriegserfahrung in Deutschland 1914-1945, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2002, 882 S., ISBN 978-3-506-79161-0, EUR 45,00
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Rezension von:
Alaric Searle
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Süß
Empfohlene Zitierweise:
Alaric Searle: Rezension von: Bruno Thoß / Hans-Erich Volkmann (Hgg.): Erster Weltkrieg - Zweiter Weltkrieg: Ein Vergleich. Krieg, Kriegserlebnis, Kriegserfahrung in Deutschland 1914-1945, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 4 [15.04.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/04/1311.html


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Bruno Thoß / Hans-Erich Volkmann (Hgg.): Erster Weltkrieg - Zweiter Weltkrieg: Ein Vergleich

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Dieser Band ist das Ergebnis der 43. Internationalen Tagung für Militärgeschichte des Militärgeschichtlichen Forschungsamts, die 2001 in Potsdam stattfand. Der Band besteht aus sieben Teilen, mit insgesamt 42 Einzelbeiträgen.

In der Einleitung geht Bruno Thoß der Frage nach, ob die "Zeit der Weltkriege" als Epochen- oder Erfahrungseinheit angesehen werden kann. Am Ende einer breit ausgeführten Diskussion über Parallelen beider Weltkriege, zum Beispiel im Blick auf die Extensivierung der Gewaltmittel, die Ausbreitung in den europäischen Großraum und die Ausweitung des Krieges in den innergesellschaftlichen Binnenraum, fasst er das Vorhaben des Bandes folgendermaßen zusammen: "Der gewählte Überblick über vergleichende Aspekte einer erst noch zu realisierenden, struktur- und erfahrungsgeschichtlich gleichermaßen ausgeweiteten Sicht auf das Zeitalter der Weltkriege kann nicht glauben machen, damit auch nur annährend die ganze Breite möglicher Untersuchungsfelder und Themenstellungen repräsentativ abbilden zu können. Das liegt zu wesentlichen Teilen auch an einer bisher erreichten, ganz ungleichgewichtigen Forschungsdichte [...] Wesentlicher als ein Streben nach Vollständigkeit erschien demgegenüber der Versuch, in einer Sammlung von Einstiegen den Stand der Weltkriegsforschung auf möglichst breiter Ebene vorzustellen und daraus inhaltlich wie methodisch weiterführende Anstöße für künftige Forschung abzuleiten" (29).

Indes wirkt der hier vorzustellende Konferenzband trotz aller einleitenden Ausführungen, unter anderem über Forschungsanstöße und -strategien sowie struktur- gegen erfahrungsgeschichtliche Perspektiven nicht immer wie das Ergebnis stringenter Tagungsplanung, sondern streckenweise wie ein großes Eintopfgericht aus der Feldküche, die viele Zutaten zu einem zwar nahrhaften, jedoch bisweilen schwer verdaulichen Endprodukt verkocht. Die thematisch sehr breit gestreuten Beiträge sind allerdings bis einschließlich Teil V nachvollziehbar aufgeteilt. Jeder der sieben thematischen Bereiche wird durch einführende Bemerkungen erschlossen, die zumindest teilweise die Diversität der Einzelbeiträge auffangen.

Der erste Teil behandelt die Frage, inwieweit "die Weltkriege als Kriege neuen Typs" angesehen werden können. In seiner einführenden Bemerkung warnt Stig Förster zu Recht vor der Tendenz, zu schnell historische Wenden erkennen zu wollen, da Kenntnisse historischer Langzeitdimensionen und die Möglichkeit zu vergleichen, solche Tendenzen rasch relativieren können. In diesem Teil werden folgende Sujets behandelt: Rolf-Dieter Müller schreibt über den Totalen Krieg und die Wirtschaftsordnung, Bernhard R. Kroener über die Mobilmachungsplanung, Karen Hagemann über den Einsatz von Frauen und Helmuth Trischler über die militärische Forschung und Technik in der Epoche beider Weltkriege.

Die Beiträge dieses ersten Teils spiegeln auch die Grundmerkmale des Bandes sowie dessen Stärken und Schwächen wider. Manche Autoren neigen dazu, eher chronologisch als vergleichend vorzugehen. Zudem wird in manchen Kapiteln lediglich der aktuelle Forschungsstand zusammengefasst, statt neue Ergebnisse präsentiert.

Im zweiten Teil mit dem Titel "Deutsches Führungsdenken und technologische Entwicklungen" fügen sich die Einzelkapitel eher zu einem größeren Ganzen zusammen. Gerhard P. Groß diskutiert die deutsche Heerestaktik in den beiden Weltkriegen, Sönke Neitzel die deutschen Luftstreitkräfte, Hans-Joachim Braun Technik und Luftkrieg, Werner Rahn die deutsche Marineführung, Axel Nistlé U-Boot-Bau und Einsatzkonzeptionen. In diesen Beiträgen gewinnt die Erfahrung des Ersten Weltkrieges für spätere Konzeptionen, Erwartungen und Verhaltensmuster eine interessante und anregende Bedeutung. Die sich dabei anbietenden Vergleiche für Vergleiche werden von den Autoren gut genutzt.

Im dritten Teil wird der Blick auf "die militärische Gesellschaft", die Welt der Soldaten, während der beiden Weltkriege gerichtet,. Im Mittelpunkt stehen die Moral der kämpfenden Truppe sowie Fragen der Indoktrination, der Militärjustiz und der Erfahrung in Kriegsgefangenschaft. Dieser Teil wird von Hew Strachen in seinem erkenntnisreichen Kapitel über die Ausbildung und den Kampfgeist der deutschen Armee in den Weltkriegen eröffnet. Strachen stimmt den Leser gut auf die anschließenden vier Beiträge ein, indem er auch die noch andauernde Debatte über Motivation im Krieg sowie die Verbindung zwischen Kampfgeist und Ausbildung berücksichtigt. Jürgen Förster untersucht mögliche Parallelen zwischen dem vaterländischen Unterricht im Ersten und den Aktivitäten der NS-Führungsoffiziere im Zweiten Weltkrieg. Daniel Uziel setzt sich mit der Frage der deutschen militärischen Propaganda auseinander. Christoph Jahr diskutiert die Militärjustiz "als Steuerungsinstrument soldatischen Verhaltens". Rüdiger Overmans geht auf die Radikalisierung der Kriegsführung am Beispiel der Erfahrungen deutscher und russischer Kriegsgefangenschaft ein. Der erhebliche Erkenntniszugewinn dieser Sektion speist sich nicht zuletzt aus den umfangreichen Quellenstudien der Autoren.

In Bezug auf die thematische Abstimmung der einzelnen Aufsätze ist der vierte Teil, der sich dem sehr weit gesteckten Themenfeld "Krieg als kollektive Erfahrung in der Heimat: Die 'zivile' Gesellschaft" widmet, weniger gut gelungen,. Die ersten vier Beiträge behandeln bereits sehr bekannte Themen: Wilhelm Deist beschäftigt sich mit dem Militär an der 'Heimatfront', Ute Daniel mit der weiblichen Kriegserfahrung, Armin Triebel erläutert Gesellschaftsverfassung und Mangelwirtschaft in Staat und Gemeinde, Werner Bergmann und Juliane Wetzel widmen sich dem Antisemitismus. Anschließend folgen zwei Beiträge von Peter Hoeres und Martin Greschat über die Gedankenwelten der akademischen Philosophie und der evangelischen Theologie.

Die fünf Beiträge des fünften Teils zum Thema Besatzungsherrschaft bilden dagegen eine bessere Einheit. Im Mittelpunkt stehen die Länder Belgien, Nordfrankreich, Polen und Weißrussland. Die Parallelen und Verbindungen zwischen beiden Weltkrieg werden scharf konturiert, und manches bekannte Forschungsgebiet wird aus neuen Blickwinkeln mit Erkenntnisgewinn beleuchtet. Das Kapitel über Belgien und die beiden Beiträge über Polen sind hier besonders gelungen.

Leider fallen die Vergleiche zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg im sechsten (Erinnerungskulturen und Nachkriegszeiten) und im siebten Teil (Interdisziplinäres Militär-, Gesellschafts- und Erfahrungsgeschichte) sehr sparsam aus. Parallelen zwischen den Weltkriegen werden - wenn überhaupt - zufällig oder gerade noch beiläufig gezogen, ohne die systematische und sorgfältigere Vorgehensweise der vorherigen Teile. Bei den meisten Beiträgen liegt der Schwerpunkt auf nur einem Krieg und man erkennt starke Ähnlichkeiten mit anderen Veröffentlichungen der jeweiligen Autoren.

Resümierend kann gesagt werden, dass dieses Buch einen interessanten und anregenden Beitrag zur Weltkriegsforschung liefert. Für Bibliotheken kann es uneingeschränkt empfohlen werden, da es - fast im Stil eines Nachschlagewerks - einen schnellen Zugang zu dem aktuellen Stand der Forschung bietet. Die erwähnten Schwächen deuten jedoch darauf hin, dass der Erkenntnisgewinn als Beitrag zur Methodik der Weltkriegsvergleiche etwas bescheidener ausgefallen ist als man es sich nach der Lektüre der Einleitung erhofft hatte.


Alaric Searle