Rezension über:

Andreas Klinger: Der Gothaer Fürstenstaat. Herrschaft, Konfession und Dynastie unter Herzog Ernst dem Frommen (= Historische Studien; Bd. 469), Husum: Matthiesen 2002, 399 S., ISBN 978-3-7868-1469-6, EUR 56,00
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Rezension von:
Vinzenz Czech
Historisches Institut, Universität Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Vinzenz Czech: Rezension von: Andreas Klinger: Der Gothaer Fürstenstaat. Herrschaft, Konfession und Dynastie unter Herzog Ernst dem Frommen, Husum: Matthiesen 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 9 [15.09.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/09/2815.html


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Andreas Klinger: Der Gothaer Fürstenstaat

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Andreas Klinger beschäftigt sich in seiner Arbeit mit einem Zentralthema deutscher Geschichtsforschung: der frühmodernen Staatsbildung. In der Perspektive des langfristigen Staatsbildungsprozesses konzentriert sich seine Studie auf die Politik eines Fürsten, wobei sie sich im Wesentlichen auf die ersten zwanzig Jahre der Regierung Herzog Ernsts des Frommen von Sachsen-Gotha bis in die Mitte der 1650er-Jahre beschränkt. Diese Phase war geprägt durch ein "sehr intensives herrschaftliches Handeln" (18), musste doch dem nach der Weimarer Teilung von 1640/41 neu zusammengestellten Territorium nicht nur ein neuer Herrschaftsmittelpunkt gegeben werden, sondern ebenso eine zentralisierte Verwaltung etabliert, ein System effizienter Rechtssprechung organisiert oder das Landesdefensionswerk neu eingerichtet werden. Als Abschluss dieses Zeitabschnittes können das herzogliche Testament von 1654 oder auch die Publikation der modellhaften Landesbeschreibung durch Veit Ludwig von Seckendorff in seinem "Fürstenstaat" von 1656 gelten, der im Auftrag des Herzogs entstanden war.

Nichts hat das historiographische Bild Ernsts des Frommen bislang so geprägt wie seine Reformen im Bereich von Kirche und Schule. Schon den Zeitgenossen diente er als realgeschichtliches Vorbild für Fürstenspiegel. Nachdem Ernst in der Biografik des 18. und vor allem des 19. Jahrhunderts immer stärker zu einem "protestantischen Heiligen" (17) stilisiert wurde, erweiterte erst die umfangreiche Lebensbeschreibung des herzoglich-gothaischen Archivars und Bibliothekars August Beck von 1858 das Bild der Person. Spätestens seit dieser Zeit wurde Ernst zur nationalen Gestalt, wobei bewusst auf die zeitliche Koinzidenz der Herrschaftsübernahmen des Gothaer Herzogs und des Großen Kurfürsten hingewiesen wurde. Stand dieser in der Geschichtsschreibung für den machtvollen Aufstieg Brandenburg-Preußens und Deutschlands, so verkörperte Ernst den Gedanken nationaler Volkserziehung. Er blieb bis in die jüngere Zeit als Herrscher über einen kleinen "Musterstaat" historiographisch präsent. In den letzten Jahren stand Ernst der Fromme wieder verstärkt im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. [1] Eine moderne Biografie fehlte jedoch bislang.

Der Gang von Klingers Untersuchung folgt ganz bewusst den Schwerpunkten der Staatsbildungspolitik. Nach einer kurzen Schilderung der Entstehung des Herzogtums (Kapitel 2) und der Stellung Sachsen-Gothas im regionalen Umfeld sowie im Reich (Kapitel 3) werden die Etablierung staatlicher Strukturen (Kapitel 4), Residenz und Hof (Kapitel 5), Landesherr und Landstände (Kapitel 6), finanzielle und wirtschaftliche Grundlagen des Fürstenstaates (Kapitel 7), der Kirchen- und Schulstaat Gotha (Kapitel 8), die Suche nach Ordnung und Policey (Kapitel 9), die Fürsorge als staatliche Aufgabe (Kapitel 10) sowie der Fürstenstaat in Feier und Fest (Kapitel 11) auf breiter Quellengrundlage analysiert. Dieser von der landesherrlichen Politik gesteuerte Prozess der Verdichtung fürstlicher Herrschaft wird materialreich und detailliert beschrieben. Während die Maßnahmen im Bereich des Schul- und Kirchenwesens bereits bekannt waren, gelingt es Klinger die Zielstrebigkeit und Energie des Herzogs auch auf den anderen Gebieten herauszuarbeiten. Klinger weist jedoch auch auf die Probleme hin, vor die sich Ernst gestellt sah. Die topografische Teilung des Landes in einen thüringischen und einen fränkischen Teil etwa beeinflusste den Aufbau einer Verwaltung oder eines einheitlichen Justizwesens zum Teil erheblich. So versuchte der Herzog ebenso in die adlige Gerichtsgewalt kontrollierend einzugreifen, auch wenn die Unverletzlichkeit ständischer Vorrechte nie infrage gestellt wurde.

Herzog Ernst von Sachsen-Gotha gelang es bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts, das gesamte Land als Herrschaftsraum in einem gehörigen Maß zu vereinheitlichen. Neben dem administrativ-institutionellen Ausbau zum "Fürstenstaat" wurde die Staatsbildungspolitik vor allem durch die zahlreichen Maßnahmen zur Ausgestaltung der inneren Herrschaftsordnung geprägt, wobei sich in Gotha der allgemein in dieser Zeit zu beobachtende Kampf um eine "gute Policey" durch eine besondere Intensität sowie eine Verzahnung säkularer und religiöser Zielvorstellungen auszeichnet. Mit dem Konzept, mittels einer "Reformation des Lebens" die Ehre Gottes unter den Menschen wiederherzustellen, sah sich die fürstliche Regierung zu weitreichenden Eingriffen in das Leben ihrer Untertanen legitimiert. Klinger charakterisiert Ernst den Frommen als einen "Herrscher des Übergangs" (337), dessen politisches Denken noch in den traditionellen Vorstellungen vom Fürsten als landesväterlicher Obrigkeit wurzelt. Nichts macht das weiterhin patriarchalische Herrschaftsverständnis des Herzogs deutlicher, als die auf eine Teilung des mühsam arrondierten "Fürstenstaates" zulaufende Erbfolgeregelung. Ernst hat nie daran gedacht, durch einschneidende Änderungen im herkömmlichen Erbrecht des Hauses die territoriale Integrität seines geschaffenen politischen Gebildes abzusichern. Das Denken in den Kategorien einer säkularisierten Staatsraison ist ihm fremd geblieben, was sich auch nur in der zögerlichen Übernahme des Begriffs "stat" zeigt. Trotz aller Bemühungen beim Landesausbau blieb der dynastische Aspekt der alles entscheidende. Und damit ähnelte Herzog Ernst von Sachsen-Gotha vielen seiner Standesgenossen.

Andreas Klingers Untersuchung zum "Gothaer Fürstenstaat" erweitert das Bild Ernsts des Frommen im Kontext frühmoderner Staatsbildung ganz erheblich. Er zeigt mit seiner Studie einmal mehr in aller Deutlichkeit, dass sich der Prozess der Staatsbildung nicht allein auf das brandenburg-preußische Beispiel reduzieren lässt. Nur kurz, am Beispiel der Errichtung des Residenzschlosses Friedenstein im Kapitel "Residenz und Hof" oder im Abschlusskapitel "Der Fürstenstaat in Feier und Fest", werden in der Studie Fragen dynastischer Selbstdarstellung am Gothaer Hof angerissen. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Marburger Dissertation von Marc Rohrmüller, die sich diesem Aspekt unter Ernst dem Frommen ausführlich widmet, recht bald vorliegen wird, um so dem Bild des Gothaer Herzogs eine weitere Fassette hinzuzufügen.

Anmerkung:

[1] Veronika Albrecht-Birkner: Reformation des Lebens. Die Reformen Herzog Ernsts des Frommen von Sachsen-Gotha und ihre Auswirkungen auf Frömmigkeit, Schule und Alltag im ländlichen Raum, Leipzig 2002; Roswitha Jacobsen / Hans-Jörg Ruge (Hg.): Ernst der Fromme von Sachsen-Gotha. Staatsmann und Reformer. Konferenzband und Ausstellungskatalog, Bucha bei Jena 2002.

Vinzenz Czech