Rezension über:

Rainer Eppelmann / Bernd Faulenbach / Ulrich Mählert (Hgg.): Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2003, XIII + 557 S., ISBN 978-3-506-70110-7, EUR 39,90
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Rezension von:
Dierk Hoffmann
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Dierk Hoffmann: Rezension von: Rainer Eppelmann / Bernd Faulenbach / Ulrich Mählert (Hgg.): Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 2 [15.02.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/02/3732.html


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Rainer Eppelmann / Bernd Faulenbach / Ulrich Mählert (Hgg.): Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung

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Vor wenigen Monaten zog Jürgen Kocka, Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, eine kritische Bilanz der seit 1990 erbrachten historiografischen Leistungen zur DDR-Geschichte. Im Rahmen eines Festvortrages zum 75. Geburtstag von Hermann Weber, den Nestor der westdeutschen DDR-Forschung, äußerte sich Kocka zu den Stärken und Schwächen dieses Fachgebiets und versuchte seinerseits die Perspektiven der künftigen Forschungstätigkeit zu umreißen. Sein Hauptvorwurf lautete, die DDR-Forschung sei in der Bundesrepublik "durch ein hohes Maß an Selbstreferenzialität und Selbstisolierung gekennzeichnet", die es durch innovative und neue Fragestellungen zu überwinden gelte. Kockas Rede, die auf der Homepage der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zu finden ist und bereits einen Tag nach der Festveranstaltung in der Frankfurter Rundschau platziert wurde, löste eine Debatte aus, an der sich bis jetzt Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin sowie des Zentrums für Zeithistorische Forschung beteiligt haben. [1] Wie ist aber nun die Festschrift für Weber einzuschätzen, die Kocka zum Anlass genommen hat, um neue Pflöcke in die Forschungslandschaft der nächsten Jahre zu rammen?

Die Herausgeber geben in ihrem Vorwort die Zielvorgabe selbst an: Der Band soll den Stand der Forschung über die DDR zusammenfassen und Perspektiven eröffnen. Dabei werden nicht nur die Ergebnisse der seit 1990 möglichen aktengestützten Untersuchungen vorgestellt, eingeordnet und resümiert, sondern auch Studien erfasst, die vor 1989 im geteilten Deutschland erschienen sind. Es erübrigt sich, nochmals auf den Quantensprung hinzuweisen, den der Zusammenbruch der DDR auch für ihre historiografische Forschung mit sich brachte. Gleichwohl kann in diesem Zusammenhang von einer Stunde Null nicht gesprochen werden, wie die Publikationen Hermann Webers oder aber auch Karl Wilhelm Frickes deutlich zeigen. Die insgesamt 55 Beiträgerinnen und Beiträger sind Kollegen, Schüler, Freunde und Weggefährten von Hermann Weber. Bis auf eine Wissenschaftlerin (Mary Fulbrook) sind alle Autoren im Bereich der universitären beziehungsweise außeruniversitären Forschung in der Bundesrepublik und Österreich beschäftigt.

Die Festschrift gliedert sich in sieben Großkapitel. Eingeleitet wird der Band von Bernd Faulenbach, der den Versuch unternimmt, die DDR in die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts einzubetten. Dabei geht er unter anderem der zentralen Frage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten zum Nationalsozialismus nach, wobei zahlreiche Projekte in den vergangenen Jahren gezeigt haben, mit welchen methodologischen Problemen diese Fragestellung oftmals verbunden ist. Außerdem beschäftigt er sich mit Traditionslinien, die der Arbeiterbewegung vor 1933 entstammen, sowie mit der viel diskutierten "Sonderwegs"-These. Als weitere wichtige prägende Faktoren zur Bestimmung der DDR-Geschichte zählt Faulenbach des Weiteren die sowjetische Einflussnahme und die Magnetwirkung der Bundesrepublik auf, wobei Letztere bereits im Verlauf der Fünfzigerjahre unübersehbar geworden war und sich bis zum Mauerbau 1961 in der Flucht und Ausreise von mindestens 2,75 Millionen Menschen niederschlug.

Die folgenden Einzelbeiträge sind in der Regel einheitlich aufgebaut: Einem knappen inhaltlichen Überblick folgt die Vorstellung der relevanten Forschungsliteratur in chronologischer Reihenfolge, sodass auch die Forschungsleistungen vor 1989 gebührend zur Sprache kommen. Abschließend werden noch die Desiderata aufgezählt, um zukünftige Forschungsmöglichkeiten deutlich zu machen. Insgesamt erhält der Leser damit einen guten Einstieg in die jeweiligen, thematisch klar abgegrenzten Themenbereiche, wobei die Politikgeschichte eindeutig überwiegt. Das erste Kapitel stellt zum einen wichtige Handbücher und Lexika vor und versucht zum anderen eine Periodisierung der DDR-Geschichte, die in den einzelnen Beiträgen erneut aufgegriffen wird. Im zweiten Kapitel geht es konkret um zentrale Institutionen und Herrschaftstechniken. Sehr informativ sind hierbei unter anderem die Beiträge über die SED, die Blockparteien, die Massenorganisationen sowie das Ministerium für Staatssicherheit, die Justiz und den Militär- und Sicherheitsapparat. Das dritte Kapitel widmet sich ausführlich dem Themenbereich Widerstand und Opposition; Kirchen und jüdische Gemeinden sind Inhalt des vierten und kürzesten Kapitels.

Neben der Vorstellung zentraler Politikfelder (Kapitel V) geht es auch um die Auseinandersetzung mit der "SED-Diktatur" nach 1990 in der Forschung, in der Politik und in der politischen Bildung (Kapitel VII). Die Auswahl der Politikfelder kann angesichts des Umfanges nicht umfassend sein. Es gelingt den Herausgebern jedoch, die wichtigsten Bereiche zu erfassen und diese auch noch mit ausgewiesenen Experten zu besetzen. Zu erwähnen sind dabei beispielsweise die Themen Wirtschaftsgeschichte, Gesellschaftsgeschichte oder aber auch Jugendpolitik. Bedauerlicherweise wurde ein eigener Beitrag zur DDR-Sozialpolitik nicht aufgenommen; die Beiträge von André Steiner und Annette Kaminsky über Wirtschaftsgeschichte beziehungsweise Konsumpolitik können dieses Manko nur begrenzt auffangen. Das sechste Kapitel widmet sich den internationalen und deutschlandpolitischen Rahmenbedingungen der DDR. Dabei geht es nicht nur um die DDR-Außenpolitik und die sowjetische Hegemoniestellung, sondern auch um die Deutschlandpolitik und die deutsch-deutschen Beziehungen.

Etwas kurz gerät dagegen der zweite Teil des Bandes, in dem Perspektiven für künftige Forschungen im Mittelpunkt stehen (Kapitel VII). Auch dieses Kapitel enthält kenntnisreiche Beiträge, die allerdings über die Geschichtswissenschaft hinausreichen und insofern kein Diskussionsforum für die Verwendung neue Methoden oder Fragestellungen bieten. Diese Debatte hat jedoch an anderer Stelle bereits begonnen und sollte weiter fortgesetzt werden. Abgeschlossen wird der Band mit einer umfangreichen Bibliografie, die über 2000 Titel erfasst und vor allem die rege Publikationstätigkeit der Neunzigerjahre anschaulich macht. Insgesamt gesehen handelt es sich aber zweifelsohne um eine inhaltlich sehr gelungene Festschrift, die einen komprimierten Überblick über die DDR-Forschung bietet und weitaus informativer ist als manch andere einführende Gesamtdarstellung, die in letzter Zeit erschienen ist.

Anmerkung:

[1] Eine Übersicht der Stellungnahmen findet sich unter: http://www.historicum.net/aktuell/diskussion/ddr/index.html

Dierk Hoffmann