Rezension über:

Brigitte Buberl / Michael Dückershoff (Hgg.): Palast des Wissens. Die Kunst- und Wunderkammer Zar Peters des Großen. Ausstellungskatalog Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund 2003 / Schloßmuseum, Gotha 2003, München: Hirmer 2003, 2 Bde., 288 S. bzw. 328 S., ISBN 978-3-7774-1081-4, EUR 69,50
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Rezension von:
Anke te Heesen
Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Alexis Joachimides
Empfohlene Zitierweise:
Anke te Heesen: Rezension von: Brigitte Buberl / Michael Dückershoff (Hgg.): Palast des Wissens. Die Kunst- und Wunderkammer Zar Peters des Großen. Ausstellungskatalog Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund 2003 / Schloßmuseum, Gotha 2003, München: Hirmer 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 2 [15.02.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/02/4693.html


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Brigitte Buberl / Michael Dückershoff (Hgg.): Palast des Wissens

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Die Kunstkamera des petrinischen Russlands, ihre faszinierende Geschichte, sowie ihr immer noch in großen Teilen vorhandener Objektbestand, war von Beginn an zentraler Bestandteil der sich entwickelnden neueren Sammlungsgeschichte. Schon 1985 wurde sie zum Gegenstand eines Beitrages in dem Sammelband "The Origins of Museums", herausgegeben von Oliver Impey and Arthur MacGregor.

Wie war diese Kammer zu Stande gekommen? Welche Einflüsse und Funktionen spiegelten sich in ihr wider? Und welche Personen waren an ihrem Aufbau beteiligt? Anfang der Neunzigerjahre und nicht zuletzt durch die Öffnung der russischen Archive wurde der reiche Quellenbestand an Dokumenten, Zeichnungen und Objekten zunehmend Gegenstand historischer Bearbeitung.

Mehrere Ausstellungen in den Neunzigerjahren widmeten sich Teilaspekten dieser Geschichte. Unter ihnen sind vor allem die Ausstellung im Historischen Museum in Amsterdam "Peter de Grote en Holland" von 1996 und die im gleichen Jahr eröffnete "Große Nordische Expedition" in den Franckesche Stiftungen zu Halle hervorzuheben. Das niederländisch-russische Forschungsprojekt zum "Papiermuseum" der Kunstkamera, hervorgegangen aus der genannten Ausstellung in Amsterdam, gehörte bislang zu den ambitioniertesten Projekten.

Nun sind die beiden Bände zur Ausstellung "Palast des Wissens", die von Januar bis April im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte Dortmund und vom August bis November 2003 im Schlossmuseum Gotha zu sehen war, hinzugekommen. Es handelt sich dabei um ein deutsch-russisches Projekt anlässlich des 300. Jahrestages der Gründung St. Petersburgs. Erschienen sind ein Band mit Aufsätzen und ein Katalogband zu den in der Ausstellung gezeigten Objekten. In diesen reichhaltigen Bänden wird das bisher vollständigste und umfassendste Bild der Kunstkamera gezeichnet.

Die Geschichte der Kunstkamera und der sich ihr anschließenden Wissenschaftsbereiche hatte schon immer eine politische Bedeutung für die deutsch-russischen Beziehungen. Ihr diplomatischer Gehalt wurde zunächst seit den Fünfzigerjahren in der DDR und seit den Neunzigerjahren auch in der Bundesrepublik ausgeschöpft. Er bestand vor allem darin, dass Zar Peter I. (1672-1725) zahlreiche ausländische Wissenschaftler und Künstler an die 1724 neu gegründete Akademie der Wissenschaften holte.

Grundlage für diese Kontakte, vor allem auch für seine Objekt- und Sammlungsaquisitionen waren die beiden großen Reisen in den Jahren 1697 bis 1698 und 1716 bis 1717, die ihn in die deutschen Staaten, nach Holland, Frankreich und England führten. Der Bau der Kunstkamera begann ein Jahr nach der letzten Reise, 1718 und wurde 1734 fertig gestellt; von 1719 bis 1728 war die Sammlung im sogenannten Kikin-Haus übergangsweise untergebracht. Dieses erste russische Museum enthielt zahlreiche Naturalien, Kunstgegenstände, wissenschaftliche Instrumente, Trachten und archäologische Funde. Seine Objekte geben gleichsam einen Querschnitt durch die wissenschaftlichen und künstlerischen Sammlungsvorlieben des beginnenden 18. Jahrhunderts. Es handelt sich in der Tat um einen "Palast des Wissens", wenngleich der Untertitel der Bände, "Die Kunst- und Wunderkammer Zar Peters des Großen", weniger einsichtig erscheint. Auch wenn der Zar seine Sammlung "Kunstkamera" nannte, so ist sie doch nicht mit dem mittlerweile gängigsten und deshalb oft auch wahllos angehefteten Etikett der "Kunst- und Wunderkammer" zu versehen. Vielmehr handelt es sich um eine einzigartige Zusammenkunft alter und neuer Sammlungsbestrebungen um 1700, einer transitorischen Sammlung, die sich zwischen Kunstkammer und bürgerlichem Museum einordnen lässt.

Aus dem Katalogband herauszuheben sind die hinreißenden Gegenüberstellungen von Zeichnungen aus dem sogenannten "Papiermuseum" in dem ursprünglich alle Gegenstände der Kunstkamera im Bild festgehalten wurden und die ein einzigartiges Bildkonvolut darstellen (vergleiche dazu den Text im Beitragsband, 168-182), und die damals als Vorlage dienenden, heute noch erhaltenen Objekte wie Muschelbecher oder Elfenbeinkästchen. In der Gegenüberstellung von Zeichnung und Fotografie des Objekts (vergleiche im Katalogband 235-250) wird die Perspektivwahl und Darstellung durch den damaligen Künstler besonders deutlich. Dem heutigen Betrachter entfremden die Zeichnungen den Blick auf das Objekt soweit, dass man zu einem genauen Sehen gleichsam gezwungen wird.

Der Band mit den Beiträgen beginnt mit Texten über die Zarwerdung Peter I. und die Stadtwerdung St. Petersburgs. Im zweiten Teil werden die Wurzeln dieser Sammlung und ihrer dazugehörigen Institutionen beschrieben: Hier stehen vor allem die Reisen Peter I. im Mittelpunkt und damit die Anregungen, die er aus Holland, England, den deutschen Staaten und Frankreich erhielt, oder solche, wie etwa von Gottfried Wilhelm Leibniz, der zeitweise zum Geheimen Sekretär des Zaren avancierte. Im dritten Teil werden ausführlich Bau und die Einrichtung der Kunstkamera beschrieben. Es folgen wissenschaftshistorische Aspekte, um schließlich mit einem sammlungstheoretischen und zwei Beiträgen mit zeitgenössischen Bezügen zu enden. Insgesamt handelt es sich dabei um eine facettenreiche und umfassend ins Bild setzende Lektüre.

Zu beiden Bänden ist festzuhalten, dass sie hervorragendes Bildmaterial enthalten und vor allem der Beitragsband viele Stiche des historischen Quellenmaterials erstmals vereint und wiedergibt. Zudem ist der immer seltener werdende Genuss hervorzuheben, dass auch kulturgeschichtliche Ausstellungen einen Katalog mit vollständigen und präzisen Angaben zu jedem ausgestellten Objekt enthalten und damit eine Tradition der umfassenden und kuratorischen Kenntnis der Objekte weiterführen.

Anke te Heesen