sehepunkte 4 (2004), Nr. 2

Andreas Mettenleiter: Das Juliusspital in Würzburg - Medizingeschichte

Im Jahr 2001 jährte sich die Grundsteinlegung für das Juliusspital zum 425sten Mal. Die Stiftung Juliusspital Würzburg nahm dieses Jubiläum zum Anlass, eine Trilogie zur Geschichte des Spitals herauszugeben. Die drei Bände nähern sich der Entwicklung dieser Institution aus unterschiedlichen Perspektiven: Aus dem Blickwinkel der "Kulturgeschichte" (Band 1: Alfred Wendehorst), der "Rechts- und Vermögensgeschichte" (Band 2: Friedrich Merzenbacher) und der "Medizingeschichte" (Band 3: Andreas Mettenleiter).

Die Geschichte eines Krankenhauses lässt sich in traditioneller Weise als eine Geschichte seines Gebäudebestandes oder seiner Ärzte schreiben. In der jüngeren Medizinhistoriografie wird aber auch vermehrt die Perspektive der in der Institution arbeitenden Pflegekräfte oder der darin leidenden und sterbenden Kranken eingenommen und die Einbindung der Anstalt in die gesellschaftlichen, politischen oder medizinischen Diskurse und Entwicklungen ihrer Zeit betrachtet.

Mettenleiter hat sich in der von ihm vorgelegten Studie nicht auf einen einzigen Zugangsweg festgelegt, sondern den Versuch unternommen, die Geschichte des Juliusspitals aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Dabei wurde notwendigerweise auf eine durchgehend chronologische Gliederung der Arbeit verzichtet. Auch Wiederholungen mussten in Kauf genommen werden. Letztere fallen angesichts des Umfangs des Werks nicht unangenehm auf, sondern werden beim Lesen eher als willkommene Erinnerungshilfe empfunden.

Im ersten Kapitel entwickelt der Autor auf 29 Seiten in einer dichten, quellengesättigten Darstellung die Baugeschichte des Juliusspitals vom 16. bis zum 21. Jahrhundert, die in die allgemeinhistorische Entwicklung eingebettet wird. Eine sehr gute Orientierungshilfe bieten dabei die von Heike Grigull erstellten farbigen Grafiken, die den Gebäudebestand des Juliusspitals in sieben Bauphasen veranschaulichen (um 1600, um 1750, um 1800, um 1860, um 1900, um 1958, 2001).

Dem Schnelldurchgang durch 425 Jahre Baugeschichte folgt im zweiten Kapitel (58 Seiten) eine zeitliche Beschränkung auf die Epoche "Vom Hospital zur Entstehung der Kliniken", den Zeitraum von 1576 bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Mettenleiter nimmt zunächst eine arztzentrierte Perspektive ein und präsentiert, weitgehend in einer Aneinanderreihung von Kurzbiografien, die "Spitalärzte von Upilio bis Ehlen". Die Fülle der hier und in den folgenden Kapiteln zusammengestellten biografischen Informationen wird durch das Personenregister im Anhang erschlossen. Mettenleiters Studie empfiehlt sich daher auch als sammelbiografisches Nachschlagewerk zu den ärztlichen Mitarbeitern des Juliusspitals.

Der zweite Abschnitt des Kapitels führt den Leser zunächst wieder zurück in das Jahr 1576. Auf den folgenden Seiten werden diesmal nicht die Spitalärzte, sondern "Die Patienten" vorgestellt. Die dadurch geweckte Hoffnung auf einen patientenhistorischen Ansatz im eigentlichen Sinne wird in der Folge allerdings nicht eingelöst. So erfährt man lediglich auf der Basis überwiegend amtlicher, zum Teil auch ärztlicher Dokumente, wie die Kranken im Spital "verwaltet wurden", aber nicht, wie sie selbst das Spital wahrnahmen. Etwas verwirrend ist hierbei, dass sich der Autor nicht an die von der Kapitelüberschrift gesetzte zeitliche Grenze hält, sondern die Darstellung bis weit in das 19., teilweise bis in das 20. Jahrhundert hinein fortführt, so zum Beispiel in der tabellarischen "Aufschlüsselung der Patienten nach Berufsgruppen", die von 1868 bis 1935 reicht (86 f.). Diese Unstimmigkeit hätte sich vermeiden lassen, wenn das Kapitel "Patienten", ähnlich wie die "Baugeschichte" oder später die "Krankenpflege", eine eigenständige, diachrone Darstellung erhalten hätte.

Anschließend untersucht Mettenleiter das Verhältnis von Spital und Universität, was dem Zeitraum von der Gründung der Universität (1587) bis zum Umzug in das neugebaute Universitätskrankenhaus (1921) entspricht. Er widmet sich dabei der "Chirurgie im Juliusspital" (Kapitel 3), der "Medizinische[n] Klinik im Juliusspital" (Kapitel 4) sowie der "Psychiatrie und Epileptikerbetreuung im Juliusspital" (Kapitel 5). Auch hier wählt der Autor eine personenorientiert-chronologisch aufgebaute Darstellung, ergänzt durch thematische Exkurse zu der chirurgischen Instrumentensammlung und der 1945 zerstörten heineschen Sammlung orthopädischer Puppen und Maschinen.

Einen Sonderfall der Kooperation zwischen dem juliusspitälschen Oberpflegamt und der Alma Mater stellen "Die gemeinsamen Attribute von Spital und Universität" (Kapitel 6) dar. Es sind dies Lokalitäten, die für die seit dem 17. Jahrhundert zunehmenden räumlichen Bedürfnisse der Anatomie und ihrer Tochterdisziplinen Pathologie und Gerichtsmedizin sowie der Botanik und der Chemie von Spital- und Universitätsärzten gemeinsam genutzt wurden. Mit dem Bezug des von der Universität in räumlicher Nähe zum Spital neu errichteten "Medizinischen Kollegienhauses" 1853/54 erfolgte die Trennung dieser gemeinsamen Attribute.

Die Geschichte der "Kleineren medizinischen Spezialfächer" (Kapitel 7) spiegelt die zunehmende Spezialisierung und Ausdifferenzierung der Medizin im Laufe des 19. Jahrhundert wider, mit der Konzentrierung auf Altersgruppen (Kinderheilkunde), geschlechtspezifische Leiden (Gynäkologie) oder Organe und Organsysteme (Dermato-Venerologie, Augenheilkunde, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Urologie) und die Einrichtung von entsprechenden Fachabteilungen und Fachkliniken.

Es folgen zwei vergleichsweise kurze Abschnitte zur "Krankenpflege und Physiotherapie" (Kapitel 8) und zum - teils recht konfliktreichen - Zusammenspiel von "Universität und Spital, Ärzte und Verwaltung" (Kapitel 9), die wiederum diachron konzipiert sind. Bei der Fokussierung auf das Pflegepersonal verzichtet der Autor, ähnlich wie bereits weiter oben in Bezug auf die Patienten, auf einen bewussten Perspektivenwechsel, der einen Blick "von unten" (oder doch zumindest "von der Mitte") auf den Alltag im Spital erlaubt hätte.

Abschließend widmet sich Mettenleiter der Frage, wie es mit dem Juliusspital "Nach dem Auszug der Universitätskliniken" (Kapitel 10) weiterging. Die 80 Jahre von 1921 bis 2001 werden getrennt nach Chirurgie, Medizin und den "übrigen Kliniken und Abteilungen" dargestellt.

Der opulente, mehr als 150 Seiten umfassende Anhang verdient eine gesonderte Würdigung. Allein das Literaturverzeichnis zählt rund 50 eng bedruckte Seiten. Beeindruckend ist auch das "Verzeichnis medizinhistorisch wichtiger Quellen im Juliusspitalarchiv", das durch relevante Quellen aus anderen Archiven ergänzt wird. Dahinter verbirgt sich eine tabellarische, nach Themenbereichen geordnete Zusammenstellung der Archivalien mit Signatur und zeitlicher Einordnung. Mettenleiter lässt eine detaillierte Übersicht über "Das ärztliche Personal des Juliusspitals seit seiner Gründung" folgen. Der Autor ermöglicht es dem Leser auf diese Weise, an seiner einzigartigen Kenntnis der Literatur- und Archivbestände zu partizipieren. Damit ist Mettenleiters Werk mehr als nur eine quellengesättigte Chronik der Medizingeschichte des Juliusspitals, es empfiehlt sich auch als Grundlagenwerk für weiterführende Forschungsprojekte.

Rezension über:

Andreas Mettenleiter: Das Juliusspital in Würzburg - Medizingeschichte. Mit einem Vorwort von Oberpflegamtsdirektor Rainer Freiherr von Andrian-Werburg (= Das Juliusspital in Würzburg; Bd. 3), Würzburg: Stiftung Juliusspital Würzburg 2001, XI + 849 S., 71 teils farb. Abb., ISBN 978-3-933964-04-5, EUR 79,90

Rezension von:
Marion Maria Ruisinger
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Empfohlene Zitierweise:
Marion Maria Ruisinger: Rezension von: Andreas Mettenleiter: Das Juliusspital in Würzburg - Medizingeschichte. Mit einem Vorwort von Oberpflegamtsdirektor Rainer Freiherr von Andrian-Werburg, Würzburg: Stiftung Juliusspital Würzburg 2001, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 2 [15.02.2004], URL: https://www.sehepunkte.de/2004/02/4240.html


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