KOMMENTAR ZU

Steffi Roettgen: Rezension von: Henry Keazor: "Distruggere la maniera"? Die Carracci-Postille, Freiburg/Brsg.: Rombach 2002, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 2 [15.02.2004], URL: http://www.sehepunkte.de/2004/02/4277.html

Von Henry Keazor, Frankfurt/M.

In der Rezension meines Buches hat Frau Roettgen mir einige grundlegende Versäumnisse und Fehler vorgeworfen, zu denen ich hier kurz Stellung beziehen möchte:

Zunächst einmal zur Terminologie: Natürlich gibt es den Plural "Postillen" auch im Deutschen, der Begriff ist hier jedoch (anders als im Italienischen, wo er einfach Randnotiz, Anmerkung bedeutet) als Terminus aus dem theologischen Kontext geprägt und kann sogar eine Sammlung von Predigten bedeuten; daher habe ich "Postillen" nicht verwendet, da es im gegebenen Kontext unkorrekt und irreführend gewesen wäre.

Sodann: Bei der Vasari-Ausgabe von Bettarini/Barocchi handelt es sich nicht um irgendeine bzw. schwer zugängliche Publikation, sondern um die derzeit aktuelle kritische und kommentierte Edition. Außerdem wurde (dies zu erwähnen, versäumt die Rezensentin) der für das Verständnis der Postille wesentliche Inhalt der Viten Vasaris von mir jedes Mal in einer eigenen Fußnote zusammengefasst (dies auch, da sich die Postille zuweilen auf Sinneinheiten beziehen, die größere Textteile übergreifen, weshalb das von Frau Roettgen geforderte Vollzitat des Vasari-Textes nicht durchgängig möglich gewesen wäre) - von dem beklagten "Verzicht auf den Kontext" kann also keine Rede sein.

Zur Übersetzungskritik: Vasari zeiht Bugiardini in seiner Vita implizit der Hoffart und spricht daher von "peccare" - und dass Annibale selbst dies tatsächlich als "sündigen" aufgefasst hat und Vasari nun seinerseits der Sünde zeihen möchte, wird insofern deutlich, als er den Begriff "peccare" nun nicht nur aufgreift, sondern ihn sogar auch noch zuspitzt, indem er mit seiner eigenen Wendung "peccò mortalissimamente" auf den Begriff der Todsünde ("peccato mortale") anspielt; eine Übersetzung mit (wie von der Rezensentin vorgeschlagen) "irren" ginge an dieser Anspielung komplett vorbei; interessanterweise zielt einer der Alternativvorschläge von Frau Roettgen ("fehlen") selbst wieder auf eine - von ihr zurückgewiesene, doch wie gezeigt hier durchaus angebrachte - moralische Lesart.

Womit wir bei den Wortspielen wären: Diese sind zuweilen schwer ins Deutsche zu übertragen, wenn man nicht zu ungelenken Wendungen greifen möchte, wie auch anhand der von Frau Roettgen alternativ vorgeschlagenen wörtlichen Übersetzung von "Il Vasari intende di se se stesso" als "Vasari meint an sich sich selbst" deutlich wird. Deshalb habe ich (auch das zu erwähnen, versäumt die Rezensentin) solche Wortspiele stets in den Fußnoten erklärt, so auch das hier von Frau Roettgen noch einmal veranschaulichte Ineinanderverschränken von "di se" und "per se". Und die diese Notiz abschließenden Worte "Che bestia" sind nun einmal gemäß der zeitgenössischen Idiomatik zu übersetzen, und insofern ist "Was für ein Esel" als Übersetzung gerade nicht (wie von Frau Roettgen rundweg behauptet) "schlichtweg falsch", zumal die Wendung sowohl die Lächerlichkeit verdeutlicht, derer Vasari sich in den Augen Annibales durch ein solches Verhalten preisgibt, als auch seine Verachtung artikuliert.

Schließlich Ripa: Bei einem (wie die Rezensentin selbst betont) derart auf Umgangssprache rekurrierenden Text, in dem Ausdrücke wie "viso di cazzo", "bestia", "asino" fallen, mutet der Vorschlag etwas ungewöhnlich an, zum Verständnis der Begriffe "ignorante"/"ignoranza" plötzlich auf Ripas "Iconologia" zurückzugreifen. Tatsächlich zeigt sich bei einem solchen Versuch schnell, dass die Postille auch hier gerade von der für Annibale so typischen Direktheit leben, denn schon aus dem jeweiligen Kontext wird stets deutlich, dass es hier eben nicht um den Vorwurf des von Ripa beschriebenen "dispregio della scienza" geht, sondern gemeint ist schlichtweg das durch Ripa davon abgegrenzte "il semplice non sapere", so z.B. wenn er Vasari (Postilla [14]) eines simplen, von ihm übersehenen Selbst-Widerspruchs überführen kann und ihn daher der "ignoranza" zeihen kann.