Rezension über:

Matthew B. Roller: Constructing Autocracy. Aristocrats and Emperors in Julio-Claudian Rome, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2001, 319 S., ISBN 978-0-691-05021-8, GBP 32,95
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Rezension von:
Anja Bettenworth
Institut für Klassische Philologie, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Anja Bettenworth: Rezension von: Matthew B. Roller: Constructing Autocracy. Aristocrats and Emperors in Julio-Claudian Rome, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2001, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 10 [15.10.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/10/5518.html


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Matthew B. Roller: Constructing Autocracy

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Ziel dieses lesenswerten Buches ist es, "to examine [...] the conceptual framework, in which and by which Roman aristocrats who lived under the Julio-Claudians [...] comprehended and molded the emergent socio-political order that was the principate, with its distinctive relocations of power and authority" (6). Matthew B. Roller beginnt mit einer unter anderen von Seneca überlieferten Anekdote über den gewalttätigen Perserkönig Kambyses, der beim Gastmahl den Sohn eines Adligen ermordet (ira 3,14,1-2); und Seneca bildet auch im Folgenden neben Lucan die Hauptquelle für seine Untersuchung. Diese greift eine Reihe von viel diskutierten Themen auf - wie zum Beispiel die Frage der "libertas" unter dem Prinzipat, das Problem der kaiserlichen Autorität, die dominus-servus-Metaphorik - und präsentiert sie in aufschlussreicher Weise.

Das Buch gliedert sich in zwei große Blöcke mit jeweils zwei Unterkapiteln. Im ersten Hauptteil ("Ethics and Imperial Ideology", 1-126) konzentriert sich der Verfasser auf Lucan (Kapitel 1) und Seneca (Kapitel 2), während der zweite Hauptteil ("Figuring the Emperor", 127-287) dem römischen Kaiser, seiner Autorität im Verhältnis zum Adel (Kapitel 3: "The Emperor's Authority: Dining, Exchange and Social Hierarchy") und den Bildern, die zur Beschreibung dieses Verhältnisses verwendet werden, gilt (Kapitel 4: "Modeling the Emperor: The Master-Slave-Relationship and Its Alternatives"). Eine Bibliografie, ein allgemeiner Index sowie ein Stellenregister runden das Buch ab.

Im ersten Kapitel untersucht Matthew B. Roller die widerstreitenden Deutungen der Kriegsereignisse in Lucans "Pharsalia". Während einige Sprecher - am deutlichsten die Pompeianer - ihre Kontrahenten als Mitbürger verstehen, sodass der Kampf gegen sie folgerichtig als Bürgerkrieg angesehen werden muss ("assimilating view", 29 ff.), neigen andere dazu, den Gegner als hostis, das heißt als äußeren Feind ohne die Rechte eines römischen civis zu qualifizieren ("alienating view", 36). Weitere Abstufungen wie "weak alienating view" - der Gegner gilt nicht als äußerer Feind, genießt aber auch nicht die gleiche Behandlung wie ein civis (32) - ermöglichen dem Autor eine differenzierte Beurteilung der oft komplexen Situation in Lucans Epos. Dabei unterscheidet er sorgfältig zwischen dem historischen Caesar und der literarischen Figur (so beispielsweise 62 f.). Indem Lucan sich der "reorganization of community and discourse to Caesar's advance" widersetzt (62 f.), greift er zugleich in die politische Diskussion seiner Zeit ein.

Die Konzentration auf ein einzelnes Werk verleiht diesem sowohl für Historiker als auch für Philologen lesenswerten Kapitel Geschlossenheit. Zudem liefert es einen interessanten Beitrag zur Diskussion um die regimekritische Haltung Lucans, die in der Vergangenheit besonders anhand des Proöms untersucht wurde. Die Verbindung zu den folgenden Kapiteln hätte weiter gestärkt werden können, wenn zum Beispiel Ciceros Schriften, die in den Fußnoten erwähnt werden, noch umfassender einbezogen worden wären. In ihnen lässt sich die Auseinandersetzung der Nobilität um einen "assimilating" oder "alienating view" - in diesem Fall des Antonius und seiner Verbündeten - schon zeitnah zu den von Lucan behandelten Ereignissen verfolgen. Hier hätte sich Gelegenheit geboten, über Vivian L. Hollidays und Enrica Malcovatis Ergebnisse hinauszugelangen. [1]

Im zweiten Kapitel widmet sich Matthew B. Roller den Veränderungen, die die traditionelle römische Ethik unter dem Prinzipat erfährt. Dabei stützt er sich vor allem auf Seneca, der im Gegensatz zur traditionellen eine stoische Variante der virtus propagiert. Da sich die stoische virtus nicht auf äußere Anerkennung gründe, könne sich ein nobilis auch angesichts der veränderten kaiserzeitlichen Gesellschaft, in der immer mehr Individuen aus der Unterschicht - vor allem Freigelassene - zu Ehren gelangten, sein elitäres Bewusstsein bewahren. Dazu tritt ein zweiter Aspekt, denn die Überlegungen Senecas "actively seek to shape [the] distribution of power and contemporary perceptions of it" (126). Sie können gedeutet werden "as a move to reconstitute the traditional aristocratic privilege of monopolizing moral value" (107).

Das Kapitel zeichnet sich durch eine sorgfältige Analyse der Quellen aus. Zugleich wirft es interessante Fragen auf, die eine nähere Betrachtung verdienen. Die virtus der stoischen Ethik ist nämlich nach Seneca prinzipiell auch für die Unterschicht erreichbar (so zum Beispiel epist. 47,10 und 17), bildet also eine durchlässige soziale Barriere. Der Autor, der das Problem ebenfalls sieht, weist demgegenüber daraufhin, dass in der gesellschaftlichen Realität - anders als in der philosophischen Theorie - das otium und damit das Studium der Philosophie, das den Erwerb der virtus ermöglicht, nur der Oberschicht offen stehe (284 f.).

Dies bedeutet jedoch, dass die stoisch begründete Abgrenzung der Nobilität letztlich auf den ökonomischen Möglichkeiten ihrer Mitglieder basiert. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg von Angehörigen der Unterschicht in der Kaiserzeit müssten diese folglich Gelegenheit erhalten, auch in die philosophisch begründete Bastion der Nobilität einzudringen. Auf lange Sicht dürften daher neue Abgrenzungsmechanismen der traditionellen Eliten erforderlich sein, die freilich einer eigenen Studie bedürften.

Dem Princeps, dessen Macht und Ressourcen den Wandel der Gesellschaft maßgeblich prägen, sind die Kapitel drei und vier gewidmet, die sich auf eine breite Quellenbasis stützen. Zu den Möglichkeiten, seine Autorität zu festigen und die nobiles auf Distanz zu halten, gehört der kontrollierte 'Austausch' von Gütern und Dienstleistungen, der zum Beispiel im Rahmen von Gastmählern stattfindet. Indem Matthew B. Roller hier nicht nur materielle Güter, sondern auch andere 'Leistungen' wie beispielsweise Reden berücksichtigt, gelingt ihm eine differenzierte Betrachtung des Phänomens. Gelungen ist insbesondere die Analyse von "amicable" und "hostile reciprocity", das heißt einer potenziellen Konkurrenzsituation beim Gabenaustausch (146 ff.). Eine Differenzierung der Nobilität nach senatores und equites nimmt der Verfasser bei der Analyse solcher Interaktionen nicht vor, da sein Augenmerk hier besonders auf die Person des Kaisers gerichtet ist. Allerdings deutet zum Beispiel Cassius Dios Beschreibung der öffentlichen Krönung des Thiridates durch Nero, an der der Senat getrennt von den anderen, nach Rang geordneten Zivilisten teilnimmt (Cass. Dio 63 (62) 4), darauf hin, dass auch traditionelle gesellschaftliche Abstufungen vom Kaiser planvoll in Szene gesetzt wurden.

Das vierte Kapitel analysiert zwei Metaphern (dominus - servus beziehungsweise pater - filius), die oft verwendet werden, um das Verhältnis zwischen Kaiser und Nobilität zu beschreiben. Sie sind - anders als die in der kaiserzeitlichen Propaganda ebenfalls nachweisbaren Anspielungen auf historische oder mythische Persönlichkeiten - der zeitgenössischen gesellschaftlichen Realität entnommen und weisen Überschneidungen auf, die innerhalb desselben Bildbereichs eine gegensätzliche Bewertung kaiserlichen Verhaltens ermöglichen: "The roles of pater and dominus are engrossed in the very same person, the pater familias. These relationships are, in sense, opposite sides of the same coin" (239). Die Ambivalenz kommt vor allem zum Tragen, wenn der Kaiser gewaltsam gegen missliebige Personen vorgeht (Handelt der Herrscher als dominus oder als pater familias?). Der Autor liefert eine nuancierte Diskussion dieser Problematik, wobei er eine Vielzahl von Quellen heranzieht, die er im Original und in guter englischer Übertragung zitiert. Allerdings sollte die Übersetzung von impune in Sen. clem. 1,18,1 - et in mancipio cogitandum est, non quantum illud impune possit pati, sed quantum tibi permittat aequi bonique natura -, das der Verfasser mit "without striking back" (246) wiedergibt, allgemeiner, und zwar im Sinne von "ohne negative Konsequenzen", die Seneca nicht weiter differenziert, gefasst werden.

Es handelt sich um ein anregendes und fundiert geschriebenes Werk, das sich durch die Vielfalt der verwendeten Quellen, eine flexible Fragestellung und die differenzierte Betrachtungsweise auszeichnet. Einzelne typografische Versehen und Wiederholungen (so die mehrfache Erwähnung der Kambyses-Anekdote) tun dem Gesamteindruck keinen Abbruch. Eine empfehlenswerte Lektüre.


Anmerkung:

[1] Vivian L. Holliday: Pompey in Cicero's Correspondence and Lucan's Civil War, Den Haag 1969; Enrica Malcovati: Lucano e Cicerone, in: Athenaeum 31 (1953), 288-297.

Anja Bettenworth