Rezension über:

Julien Chapuis: Stefan Lochner. Image Making in Fifteenth-Century Cologne, Turnhout: Brepols 2004, XI + 329 S., 69 Farb-, 225 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-50567-1, EUR 125,00
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Rezension von:
Annette Scherer
Verlag für moderne Kunst. Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Gabriele Wimböck
Empfohlene Zitierweise:
Annette Scherer: Rezension von: Julien Chapuis: Stefan Lochner. Image Making in Fifteenth-Century Cologne, Turnhout: Brepols 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 1 [15.01.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/01/6728.html


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Julien Chapuis: Stefan Lochner

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Stefan Lochner ist der bekannteste Kölner Maler des Mittelalters. Ist er doch die einzige namentlich fassbare Persönlichkeit der Stadt am Rhein, die mit einem umfangreichen Konvolut an Gemälden in Verbindung gebracht werden kann. Dass er auch der beliebteste ist, dürfte jedoch nicht nur an der Notiz des deutschen Malergottes Albrecht Dürer liegen, der im Tagebuch seiner Reise in die Niederlande 1521 einen "Meister Stefan" als Maler des Altars der Stadtpatrone aufführt, weshalb dieser seit dem 19. Jahrhundert mit dem historisch überlieferten Kölner Maler Stefan Lochner gleichgesetzt wird. Seine brillanten und teilweise süßlichen Bilder begeistern seitdem und erfahren ungebrochenes Interesse. Der Autor einer englischsprachigen Monografie zu Lochner, Julien Chapuis, spürt dem Malergenie und dessen Wiederentdeckung vor 200 Jahren sowie den Gründen von dessen anhaltender Wertschätzung und nicht abflauender Popularität nach.

Chapuis' Dissertation ist als Prachtband in der "Me fecit"-Reihe des belgischen Turnhout-Verlags erschienen, die sich nordalpiner Kunst des späten Mittelalters widmet. Als deren Herausgeberin fungiert die renommierte Museumsfrau Maryan Ainsworth von der Gemäldeabteilung des Metropolitan Museums. Der Verfasser, seit 1997 selbst Mitglied der Institution in New York, legt eine in den 1990er-Jahren entstandene Studie vor, die hinsichtlich der Untersuchungsmethoden und der daraus gezogenen erhellenden Schlüsse frischen Wind in die Erforschung altdeutscher Malerei bringt. Unter Zuhilfenahmen der Infrarotreflektographie, einer technologischen Untersuchungsmethode, die in den Neunzigerjahren ihre Hochzeit vornehmlich beim wissenschaftlichen Studium alter Malerei erlebte und zeitweise geradezu als Allheilmittel bei der Befragung der Entstehungsgeschichte von Bildern galt, machte sich der Autor daran, die Kunst des Kölners neu zu definieren.

Zunächst wird das Phänomen Lochner als Publikumsliebling und der Hochschätzung seiner Bilder erfasst, die - obwohl mittelalterlich - unserem Geschmack der Verbildlichung religiöser Themen entgegenkommen. Die "Lochnerengel" mit ihren Pausbäckchen entsprechen einer verbreiteten zeitgenössischen Vorstellung von der Gestalt himmlischer Wesen und bieten sich wie seine Marien- und Geburtsdarstellungen als besinnlicher Festtagsschmuck an. Den gleichen Boom erleben die Engel und Genien eines Raffael oder eines Rosso Fiorentino aus den Epochen der italienischen Renaissance oder des Manierismus. Ochs und Esel im Stall auf Lochners Weihnachtsbild in der Münchner Pinakothek etwa bringen wir auf Grund unserer Sehgewohnheiten mit Kinderbuchillustrationen in Verbindung, was uns die Kunst und damit den Maler selbst als verständlich erscheinen lässt. Dieser vermeintlichen Nähe steht die Tatsache gegenüber, dass wir sowohl hinsichtlich seiner Person als auch der Entstehungsumstände seiner Werke völlig im Dunkeln tappen. Selbst die mögliche, aus der Notiz Dürers beruhende Identifikation ist nicht gesichert.

Chapuis' Ansatz konzentriert sich auf die Arbeitsweise des Malers. Die Eingrenzung der Persönlichkeit, die für den Altar der Stadtpatrone und stilistisch verwandte Werke verantwortlich gemacht wird, unternimmt er mit der kritischen Überprüfung der Zuschreibungsgeschichte. Darüber hinaus unterzog er fast alle mit Lochner in den letzten zweihundert Jahren in Verbindung gebrachten Werke der Infrarotreflektographie. Die arbeitsaufwändigen Untersuchungen führen ihn in seinen Interpretationen zu einigen neuen Schlüssen über Arbeitsweise und Ausbildung Lochners. Der Stil der mithilfe der Infrarotuntersuchung ans Licht gebrachten Unterzeichnung der eigenhändigen Malereien, die reiche Aufbringung der verschiedensten Punzierungen in den Goldgründen der Tafelbilder sowie in den Darstellungen kostbarer Textilien führen Chapuis zu dem beachtenswerten Schluss, dass Lochner ursprünglich zum Goldschmied ausgebildet worden sein muss. Diese Deutung ist eine folgenreiche Neubewertung des Malers. Den Werdegang würde er mit anderen prominenten Vertretern der Malerzunft teilen, denn auf Grund der gesicherten Auftragslage im Goldschmiedhandwerk wissen wir, dass ein solcher nicht unüblich war. Es bleibt allerdings die Frage offen, ob Lochner diese Verzierungstechnik an seinen Bildern selbst aufgeführt hat oder diese von anderer Hand übernommen wurde.

Hinsichtlich der Autorschaft der Werke operiert der Verfasser klug mit nur zwei unterschiedlichen Bezeichnungen. Als Arbeiten Lochners gelten alle Werke, an denen er dessen Hand erkennt. Unter "Lochner workshop" laufen die Stücke, die lediglich im Stil und im Motiv des Kölners gehalten, aber nach Chapuis ohne dessen Zutun durch Mitarbeiter in der Werkstatt entstanden sind. Damit lässt er sich nicht auf zweifelhafte Benennungen wie etwa Lochner-Umkreis ein, womöglich noch mit einem Fragezeichen versehen, wie sie in der Kunstgeschichtsforschung häufig zu finden sind. Alle Arbeiten sind in dem Buch ganz- beziehungsweise halbseitig und farbig abgebildet, zahlreiche Detail- und Infrarotaufnahmen sind beigegeben. Erweiternd sind die mit Lochner in Verbindung gebrachten Dokumente aufgeführt sowie die Regelungen der Kölner Malergilde abgedruckt und schließlich die dendrochronologischen Untersuchungsbefunde versammelt.

Fragen zur Herkunft von Lochners Bildmotiven, zu den Wurzeln seiner Kunst oder gar zu ikonographischen Details grenzt Chapuis bewusst aus. Der Streit um diese Punkte, der seit der Ausstellung zum Künstler im Kölner Wallraf-Richartz-Museum 1993/94 wieder entfacht ist und angeheizt wurde, wird lediglich am Rande gestreift. Die vorgetragenen Argumente werden zwar negiert - wie etwa die der Verankerung des Malers in der seeschwäbischen Kunstlandschaft, mit der Lochner auf Grund seiner vermuteten Geburtsstadt Meersburg am Bodensee in Berührung gekommen sein soll, oder die der Verwurzelung in der westfälischen Tradition, die als Quelle für die Kölner Künstler im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts gilt - allerdings nicht ausführlich diskutiert. Keine Bedeutung wird bei der Analyse erstaunlicherweise auch der jeweiligen Funktion der Tafeln zugemessen. Auf Grund der Ausschließlichkeit malereiimmanenter Befragungskriterien birgt die Arbeit Zündstoff. Hier wird sich der Autor der Kritik stellen beziehungsweise im Hinblick auf die Ausblendung der ins Felde geführten Lösungsvorschläge zu Herkunft von Lochners Kunst Anfechtungen gefallen lassen müssen.

Chapuis gelang eine Abhandlung jenseits der abgedroschen klingenden Fragen nach Herkunft, Werken und Wirkung des Malers, die in den letzten Jahrzehnten Monografien dominierten. Weit mehr als die möglichen Einflüsse interessieren den Autor technologische Gegebenheiten. Nach der Lektüre des Buches steht Lochner als ein Maler vor unseren Augen, der, selbst hochqualifiziert, sich mit Bildtraditionen und Innovationen auseinander gesetzt hat, selektiv und kreativ Anleihen bei seinen Vorgängern und Zeitgenossen genommen und zudem mit einer Vielzahl geschulter Köpfe seine Werke realisiert hat. Darin ist er seinen Zeitgenossen Konrad Witz und Lukas Moser äußerst ähnlich. Schade, dass diese Maler vom Autor unerwähnt bleiben, hätte doch ein Vergleich mit diesen den Stellenwert Lochners in der Geschichte der deutschen Malerei noch deutlicher machen können. Die von Chapuis ins Felde geführten Argumente der Existenz einer vielköpfigen Werkstatt werden gegen das Vorurteil anzukämpfen haben, dass eine Künstlerpersönlichkeit gerne als Individuum und die ihm zugeschriebenen Werke als genuine Leistung ohne das Zutun von anderen gesehen werden - uneingedenk der Gepflogenheiten in einem Handwerksbetrieb.

Chapuis' Schlussfolgerung auf die Schulung Lochners als Goldschmied, die sich aus der Art und Weise der Unterzeichnung und der feinsinnigen Punzierungen in den Goldgründen ergibt, werten den Kölner neu. Mit dieser gewagten, aber überzeugenden These führt er die Forschung zur alten Malerei grundsätzlich weiter und bleibt nicht in der ewigen Diskussion nach Händescheidungen und Anleihen stecken. Die Tatsache, dass die Arbeit in englischer Sprache verfasst ist, birgt die Chance, dass sie auch außerhalb der deutschen Kunstgeschichtsschreibung Resonanz findet und anstößt. Die frische Herangehensweise an ein viel diskutiertes Thema verleiht dem Buch einen hohen Standard und bleibende Bedeutung.

Annette Scherer