Rezension über:

Henrike Maria Zilling: Tertullian. Untertan Gottes und des Kaisers, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2004, 242 S., ISBN 978-3-506-71333-9, EUR 34,80
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Rezension von:
Stefan Priwitzer-Greiner
Historisches Seminar, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Priwitzer-Greiner: Rezension von: Henrike Maria Zilling: Tertullian. Untertan Gottes und des Kaisers, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4 [15.04.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/04/6957.html


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Henrike Maria Zilling: Tertullian

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In ihrer Dissertation aus dem Jahr 2003 an der TU Berlin will Henrike Maria Zilling vor allem das Verhältnis von Tertullian zum römischen Staat untersuchen. Der Schwerpunkt soll dabei laut Verfasserin auf das apologetische Wirken Tertullians unter dem Gesichtspunkt der Herrschaftstheologie gelegt werden.

Nach einer Einführung (11-20) mit einer knappen Übersicht zur Forschung über christliche literarische Apologie (Motivation, Merkmale und historischer Kontext) und über Tertullian steht der erste Hauptteil unter dem Titel 'Biographische Spurensuche' (21-82). Auf der rein biografischen Ebene (zum Beispiel Lebensdaten, Übertritt zum Christentum und so weiter) kann die Verfasserin - angesichts der Quellenlage verständlich - keine neuen gesicherten Erkenntnisse bieten. Sie begibt sich überwiegend in Gegenpositionen zu den Auffassungen, die Barnes in seiner Tertullian-Biografie vertritt. [1]

Das Hauptaugenmerk legt Zilling in diesem Kapitel allerdings auf die Frage, ob Tertullian durch seine Hinwendung zum Montanismus ein Häretiker geworden sei. Zwar sei Tertullians Position für die Monogamie (vergleiche dazu die Überlegungen zur Gruppe der Tertullianisten, 54-56) stark ausgeprägt und sein Angriff auf die bischöfliche Binde- und Lösegewalt für sein Verhältnis zur Amtskirche problematisch gewesen; aber angesichts der gemäßigten Forderungen Tertullians bezüglich der Askese und einer keineswegs akuten Endzeitvorstellung könne Tertullian weder undifferenziert als Montanist eingestuft werden noch sei er zum bewussten Schismatiker geworden. Mit H.-J. Sieben [2] lässt sie Tertullian sich eher als Mitglied einer fortschrittlichen ecclesiola in ecclesia verstehen, zumal sich innerhalb der montanistischen Bewegung keine von der Amtskirche unabhängigen Organisationsstrukturen gebildet hätten. Allerdings hat Tertullian das nicht davor geschützt, dennoch in den Ruf der Häresie zu geraten. Als Abschluss des 'biografischen' Kapitels zeichnet Zilling in einem längeren Abschnitt (61-82) ein Bild der christlichen Gemeinde Karthagos allgemein und der Rolle Tertullians in ihr.

Der zweite Hauptteil (83-138) befasst sich mit Tertullians Werk 'Apologeticum'. Zilling untersucht dabei die Frage der Zielrichtung und Wirkung, die sie durch summarische Interpretationen der einzelnen Abschnitte des 'Apologeticum' belegt (108-138).

Zunächst befasst sie sich mit Überlieferung und Entstehungsumständen des Werkes (83-93). Anlass der Schrift sei eine Verfolgungssituation der karthagischen christlichen Gemeinde im Jahr 197 nach Christus gewesen, die Zilling allerdings nur indirekt erschließen kann. In dieser Situation habe Tertullian - hier folgt Zilling Becker [3] - eine erste Version des 'Apologeticum' verfasst (Codex Fuldensis), die er dann später überarbeitet habe (übrige Handschriften). Wann diese Überarbeitung stattgefunden haben könnte, erfährt man leider nicht.

Das 'Apologeticum' ist laut Vorwort (Apol. 1-3) an die Statthalter gerichtet. Allerdings vertritt Zilling schon in ihrer Einleitung (14 f.) die Auffassung, dass das Traian-Reskript gegen die Christen bereits reichsweit gültig gewesen sei und daher Petitionen oder Gesuche von Christen an Statthalter oder Kaiser keine Aussicht auf Erfolg gehabt haben könnten (97 f.). Die Anprangerung der Statthalter als ungerechte Verfolger der Kirche diene kaum der Verteidigung der Christen, sondern lediglich als rhetorisches Mittel, um die Aufmerksamkeit der eigentlichen Adressaten, der Gemeindechristen, zu erreichen; dies gelte ebenfalls für die Schrift 'Ad Scapulam' (160 f.). Das 'Apologeticum' sollte den Gemeindemitgliedern Anleitung geben, auf heidnische Vorwürfe und Anschuldigungen angemessen zu reagieren, sowie Trost und Mut spenden. Gleichzeitig sei die heilsgeschichtliche Bedeutung des von Gott eingesetzten römischen Kaisers und damit die Zukunft eines christlichen Imperium von Tertullian betont worden.

Mit der damit verbundenen Rolle der Christen im Römischen Reich und dem Verhältnis zum römischen Kaiser aus Sicht Tertullians beschäftigt sich der dritte Hauptteil 'Tertullians Theologie' (139-180).

Wie schon im Zusammenhang mit dem Montanismus Tertullians angedeutet, argumentiere Tertullian zwar mit der Apokalypse, eine determinierte Endzeiterwartung sei aber nicht zu erkennen. Vielmehr könnten die Christen die Apokalypse aufschieben, weshalb sie den Fortbestand des Römischen Reiches garantierten und ein Entwurf eines christlichen Imperium Romanum glaubwürdig geworden sei. Tertullian sehe die Möglichkeit, dass die Christen als Untertanen Gottes zu Untertanen des Kaisers werden könnten, sofern sich dieser als Mensch Gott unterordne, denn die Christen erschienen bei Tertullian als loyale Reichsbürger. Als erster christlicher Autor habe Tertullian also die Staatsloyalität der Christen in eine Respektierung des Kaisers als Menschen verwandelt, sei auf den römischen Staat zugegangen. Dies würde - ein Hauptanliegen Zillings (Vorwort) - die paradox anmutende Behauptung Tertullians erklären, die Christen seien nicht Feinde, sondern Freunde des Kaisers, obwohl dieser sie verfolge. Diese These, die Zilling aus den Schriften 'Ad Scapulam' und 'Apologeticum' erschließt, richte sich nach innen an die Christen selbst. Tertullian verlange dabei eine strikte Trennung von Kaiser und Gott, die sich in der Martyriumsbereitschaft, die Tertullian in der von Zilling untersuchten Schrift 'De corona' fordert, widerspiegele, denn im Kriegsdienst christlicher Soldaten konkretisiere sich ein Loyalitätskonflikt, den Tertullian nicht durch Assimilation gelöst sehen wollte. Angesichts der Vehemenz, mit der Tertullian seine Ansichten vertritt, möchte Zilling einen "Zug seiner Persönlichkeit, der am besten als eine an Fanatismus grenzende Überspanntheit beschrieben wird", erkennen (207).

Der vierte Teil (181-208) beschäftigt sich mit dem Werk 'Adversus Nationes' von Arnobius von Sicca. Die Verbindung zu Tertullian stellt Zilling dadurch her, dass sie ein "Forschungsdesiderat" (20), nämlich die Abkehr vom Altersbeweis bei Arnobius, untersucht. Den Altersbeweis Tertullians im 19. Kapitel des 'Apologeticum' behandelt Zilling im Zusammenhang mit seiner Haltung zur Eschatologie (147-154). Er vertritt dabei die Argumentation, dass das Alte hinsichtlich seines Wahrheitsgehaltes dem Neuen überlegen sei, und stellt das Christentum als Erbe des Judentums da, wodurch es älter als jede hellenische philosophische Überlegung sei. Allerdings sind Tertullians Aussagen ambivalent, da er gleichzeitig die Neuheit des Christentums verteidigt, eine Position, die immer entschiedener betont wurde. Dieser Neuheitscharakter des Christentums sei von Arnobius vertreten worden, indem er das Alterskriterium in Frage gestellt, das Alter der anerkannten heidnischen Religionen relativiert und die christliche Botschaft als zeitlos dargestellt habe. Zilling sieht Arnobius - und natürlich auch Tertullian - als Zeugen für die Bedeutung der nordafrikanischen Kirche in Bezug auf wichtige Impulse innerhalb der westlichen Kirche.

In einem Anhang sind die unterschiedlichen Chronologien der Schriften Tertullians nach Harnack und Barnes aufgeführt, die allerdings in zwei Spalten nebeneinander besser zu vergleichen gewesen wären. Der Nutzen eines Abkürzungsverzeichnisses der Werke der zitierten antiken Autoren erschließt sich nicht. Im Quellenverzeichnis fallen die teilweise einsprachigen Übersetzungen (etwa die 'Historia Augusta'-Übersetzung von Hohl) auf. Zum Literaturverzeichnis lässt sich zum Beispiel sagen, dass die Monografie von T. D. Barnes "Tertullian. A Historical and Literary Study" (mit der sich Zilling sehr häufig auseinander setzt) 1985 in einer zweiten Auflage mit Korrekturen und Nachwort erschienen ist oder dass statt des Beitrags von A.R. Birley zu Septimius Severus aus dem eher populärwissenschaftlichen Sammelband "Die römischen Kaiser" von M. Clauss die Monografie Birleys zu diesem Kaiser [4] - obwohl älteren Datums - angemessen gewesen wäre. Hilfreich sind ein Stellenregister der Schriften Tertullians sowie ein Personen- und Sachregister.

Der übertriebene und ausführliche Einsatz von wörtlichen Zitaten aus der modernen Literatur erschwert die Lesbarkeit und wirkt zusammen mit der oft sehr intensiven Vorstellung der Forschungsmeinungen im Fließtext kompilierend. Die Abschnitte 'Biographische Spurensuche' und 'Arnobius von Sicca und Tertullian' lassen einen durchgängigen roten Faden zu den Hauptaussagen der beiden zentralen Kapitel vermissen, erscheinen somit fast als in sich abgeschlossene Einzeluntersuchungen. Wer sich mit Tertullian und speziell mit seinem 'Apologeticum' sowie seinem Verhältnis zur römischen Herrschaft und zum römischen Kaiser befasst, hat in der Arbeit von Zilling ein schon wegen der Übersicht des Forschungsstandes hilfreiches Werk vor sich.


Anmerkungen:

[1] T. D. Barnes: Tertullian. A Historical and Literary Study, Oxford, 2. Auflage 1985, 3-59. Zilling zitiert allerdings die Ausgabe von 1971, siehe unten.

[2] Tertullian, Adversus Praxean, übersetzt und eingeleitet v. H.-J. Sieben, Freiburg 2001, 10 f.

[3] Tertullian, Apologeticum, herausgegeben, übersetzt und erläutert von C. Becker, München, 2. Auflage 1961, mehrere Nachdrucke, 44 f.

[4] A. R. Birley: Septimius Severus. The African Emperor, London 1988, mehrere Nachdrucke.

Stefan Priwitzer-Greiner