Rezension über:

Karl-Heinz Leven (Hg.): Antike Medizin. Ein Lexikon, München: C.H.Beck 2005, XLIV + 484 S., ISBN 978-3-406-52891-0, EUR 49,90
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Rezension von:
Florian Steger
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Florian Steger: Rezension von: Karl-Heinz Leven (Hg.): Antike Medizin. Ein Lexikon, München: C.H.Beck 2005, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4 [15.04.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/04/7957.html


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Karl-Heinz Leven (Hg.): Antike Medizin

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Karl-Heinz Leven legt mit dem von ihm herausgegebenen Lexikon zur antiken Medizin ein lange Zeit (die Arbeit begann 1997, IX) und mit großer Spannung erwartetes knapp 1000 Spalten umfassendes Werk mit rund 1000 Einträgen vor. Gemeinsam mit 90 Autorinnen und Autoren in interdisziplinärer und internationaler Zusammensetzung (XLIII-XLIV) kann Leven mit diesem Lexikon und dem Fokus auf die Antike Medizin eine wichtige Lücke der Lexikografie schließen. Es ist dies in überzeugender Teamarbeit, in sprachlich zugänglicher Weise und auf wissenschaftlich beeindruckendem Niveau gelungen. Der Band ist vom Verlag vorbildlich ausgestattet worden.

Einem Vorwort (VII-IX) folgen einige Benutzungshinweise (X-XI), ein Abkürzungsverzeichnis umfasst allgemeine Abkürzungen (XII-XIII), Abkürzungen antiker Autoren und Werke (XIII-XXXI), abgekürzte Zeitschriften (XXXI-XXXIII), abgekürzt zitierte Sekundärliteratur (XXXIII-XLIII) und ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren (XLIII-XLIV). Daran schließen sich in 944 Spalten knapp 1000 Lemmata zu Stichwörtern und Personeneinträgen in unterschiedlicher Länge an. Es folgen 24 Spalten mit einem Verzeichnis der Lemmata.

Leven setzt selbst im Vorwort mit den Worten ein: "Das Thema 'Antike Medizin' erfreut sich, befördert durch neue interdisziplinäre Ansätze wie z.B. Historische Anthropologie oder Gender Studies, in den letzten Jahren eines besonderen Interesses, sowohl in der Fachwelt als auch in einer weiteren Öffentlichkeit" (VII). Diese positive Entwicklung ist sehr zu begrüßen, wenngleich sie sich im deutschsprachigen Universitätsbetrieb (noch) nicht angemessen institutionell niedergeschlagen hat; mit antiker Medizin wird sich in Medizingeschichte, Klassischer Philologie, Alter Geschichte, Archäologie, Byzantinistik et cetera auseinandergesetzt, doch steht die Möglichkeit einer vertieften und exklusiven Konzentration auf die antike Medizin aus. Auch das Lexikon zur antiken Medizin macht erneut deutlich, wie reich dieses hochinteressante Feld ist und wie wertvoll und begrüßenswert eine solche Schwerpunktbildung wäre. In diesem Zusammenhang ist die Aufnahme von Lemmata wie "Anthropologie" (58-60) oder "Geschlecht" (339-342) begrüßenswert, wenngleich zum Beispiel bei "Geschlecht" die kulturell determinierte Geschlechterdifferenz, die auch mit dem Begriff "Gender" zu fassen wäre und die in der Antike (und auch in der Antiken Medizin) - man denke nur an das Phänomen der Maskerade - durchaus Bedeutung hatte, leider keine Berücksichtigung erfährt.

Die Medizin gehört mit ihren vielseitigen heilkundlichen Facetten zur Kulturgeschichte der Antike, was sich bisher in den einschlägigen altertumswissenschaftlichen Nachschlagewerken nicht angemessen niedergeschlagen hat; eine gewisse Ausnahme stellt der Neue Pauly dar, in dem sich zahlreiche medizinische Stichwörter finden. Darauf weist Leven zu Recht hin (VII), insofern stellt das Lexikon "Antike Medizin" in der Tat mit dieser umfassenden Schwerpunktbildung ein sehr zu begrüßendes Novum dar. Zugleich kann man jedoch kritisch bemerken, dass - des kulturhistorischen Arguments gewahr - vielleicht manches Lemma auf den ersten Blick in einem Speziallexikon überflüssig scheint, wie zum Beispiel "Buchstaben" (177-178), "Euphemismus" (282), "Metapher" (610-612), "Tragödie" (872-873) oder "Vergil" (896-897). Doch erkennt man bei genauer Lektüre die medizingeschichtliche Bedeutung dieser Lemmata, die bei allgemeinen Nachschlagewerken geringeren oder keinen Raum einnehmen; zumal wird durch deren Aufnahme klar, wie dicht die Medizin im kulturellen Netzwerk der Antike mit dem Anderen verwoben ist.

Leven fokussiert als Herausgeber auf die griechisch-römische Antike und steckt den zeitlichen Rahmen von der Archaik bis in die Spätantike (die byzantinische Zeit wird teilweise auch berücksichtigt). Freilich hätte man sich in Anbetracht der Koexistenz medizinischer Kulturen, gerade im Imperium Romanum, weitere Einträge zum Alten Orient gewünscht; auch eine vertiefte Aufnahme byzantinischer Einträge wäre keineswegs verkehrt gewesen, ganz im Gegenteil sehr reizvoll und weiterbringend. Doch es ist einzusehen und auch lobend zu bewerten, dass solch ein Projekt nicht zuletzt aufgrund seiner Realisierbarkeit der Grenzen bedarf, und die gewählten Grenzen wie Einschränkungen sind sehr gut nachvollziehbar. Es finden sich dafür auch - gewissermaßen als Ersatz (VII) -Übersichtsartikel wie zum Beispiel "Ägyptische Medizin" (11-13) oder "Mesopotamische Medizin" (607-609); darüber hinaus gibt es weitere sehr lohnenswerte Überblicke wie "Arabische Medizin" (74-76), "Jüdische Medizin" (473-475) oder "Syrische Medizin" (841-842).

Im Aufbau der Sachstichwörter folgt einer terminologischen Betrachtung die kulturgeschichtliche Darstellung, welche stets durch Verweise auf antike Quellentexte gestützt wird. Man könnte sich an der Verwendung einiger moderner Begriffe stören, wie beispielsweise "Allergie" (31-32), "Kunstfehler" (544-547) oder "Pathologie" (672-673), doch wurde stets darauf geachtet, die Unterschiede der modernen Verwendung und der antiken Wurzeln differenziert darzustellen. Diese Systematik ist durchaus zu begrüßen, wendet sich das Lexikon doch auch an einen weiteren Kreis von Leserinnen und Lesern, die zum Teil mit den antiken Entsprechungen (sofern es diese gibt) manch moderner Wörter nicht vertraut sein könnten und so auf die kulturelle Dimension aufmerksam gemacht werden. Entsprechend sind auch die griechischen und die orientalischen Wörter in lateinischer Umschrift abgedruckt, was zwar grundsätzlich bedauernswert ist, aber wohl eine unausweichliche Konzession darstellt.

Neben sachlich-systematischen Lemmata wie zum Beispiel "Herz" (410-412),"Pflaster" (692), "Religion" (749-751) finden sich Personeneinträge, die, sofern es sich um Autoren handelt, auch Einblick in das Werk und Ausblick auf die Rezeptionsgeschichte geben - zum Beispiel "Celsus" (189-191), "Dioskurides" (227-229), "Galen" (315-319) oder "Plinius" (714-715 und 715-716). Jedem Artikel ist eine Auswahlbibliografie beigegeben, in der weiterführende Forschungsliteratur auf aktuellem Stand aufgelistet ist; das Verzeichnis abgekürzt zitierter Sekundärliteratur (XXXIII-XLV) erleichtert den Überblick und stellt zugleich eine aktuelle Auswahlbibliografie zur antiken Medizin dar.

Eine Erklärung der Längenvorgabe der Lemmata im Vorwort wäre für den Rezensenten zur Beurteilung sicherlich hilfreich gewesen. An mancher Stelle hätte man sich für das umfangreiche Thema einen längeren Artikel gewünscht - zum Beispiel "Römische Medizin" (757-759) -, an mancher Stelle scheint einem Thema zu großer Raum zugestanden - zum Beispiel das Thema "Pest", dem vier Lemmata (684-691) gewidmet sind: "Pest" (684-686), "Pest, <Antoninische>" (686-687), "Pest, <Attische> (687-689), "Pest, <Justinianische>" (689-691). Die 24 Spalten umfassende Auflistung der behandelten Lemmata ist nach Ansicht des Rezensenten überflüssig. Der Raum hätte zum Beispiel für ein Stellenverzeichnis sinnvoll verwendet werden können.

Insgesamt hat Leven die große Leistung vollbracht, namhafte Autorinnen und Autoren für dieses wertvolle Lexikon zu gewinnen. Gemeinsam waren sie darum bemüht, das ergiebige Feld der antiken Medizin in Einzelporträts darzustellen. Dem Herausgeber wie den Autorinnen und Autoren ist zu diesem gelungenen Werk nachdrücklich zu gratulieren.

Florian Steger