Rezension über:

Achim Landwehr / Stefanie Stockhorst: Einführung in die Europäische Kulturgeschichte, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2004, 419 S., 63 Abb., ISBN 978-3-506-71712-2, EUR 19,90
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Rezension von:
Thomas Weller
SFB 496, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Weller: Rezension von: Achim Landwehr / Stefanie Stockhorst: Einführung in die Europäische Kulturgeschichte, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 6 [15.06.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/06/6965.html


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Achim Landwehr / Stefanie Stockhorst: Einführung in die Europäische Kulturgeschichte

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Obwohl dem Begriff der 'Kulturgeschichte' immer noch gerne das Innovation verheißende Attribut 'neu' vorangestellt wird, haben die Konzepte und Methoden, für die dieser Begriff steht, sich doch mittlerweile längst einen festen Platz auch innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft erstreiten können, auch wenn die Kritik nicht verstummt ist. Diese Entwicklung bezeugt nicht nur die große Zahl einschlägiger Publikationen, deren Autoren sich in der einen oder anderen Form den Prämissen der 'neuen Kulturgeschichte' verbunden fühlen. Der 'cultural turn' hat in den letzten Jahren auch seinen institutionellen Niederschlag gefunden, etwa in Form von eigenen Lehrstühlen und Studiengängen.

Diesem Umstand verdankt auch das hier zu besprechende Buch seine Entstehung. Die von Achim Landwehr und Stefanie Stockhorst vorgelegte 'Einführung in die Europäische Kulturgeschichte' richtet sich aber nicht nur an die Studierenden des gleichnamigen Studienganges an der Universität Augsburg, sondern bietet auch Studienanfängern wie Fortgeschrittenen anderer Fachrichtungen einen gut verständlichen und fundierten Überblick über Konzepte, Methoden und Gegenstände der 'neuen Kulturgeschichte'. Dies ist aber nur ein Anliegen des Buches. Zugleich richtet sich das Augenmerk der Verfasser auf Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Geschichte mit Blick auf Europa. Das Buch behandelt damit also eigentlich zwei Themen, deren enger Zusammenhang von den Verfassern aber zu Recht betont wird und bei der Darstellung auch nie aus dem Blick gerät.

Der erste Teil der Einführung befasst sich mit theoretischen Grundlagen und Tendenzen der kulturwissenschaftlichen Forschung vom achtzehnten Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bereits hier stellen die Verfasser ihr Talent unter Beweis, Komplexes und mitunter schwer Verständliches auf anschauliche und gut lesbare Weise zu vermitteln, ohne den referierten Theorien dabei allzu große Gewalt anzutun. Die Anfänge der Kulturgeschichte und Kulturtheorie bei Vico, Voltaire, Rousseau und Herder nehmen dabei fast ebenso breiten Raum ein wie das folgende Unterkapitel über kulturgeschichtliche Ansätze und Theorien um 1900, in dem neben anderen auch heute noch so einflussreiche Denker wie Weber und Cassirer vorgestellt werden. Demgegenüber fällt aber das dritte Kapitel über kulturtheoretische Strömungen von 1945 bis zur Gegenwart definitiv zu knapp aus. Über die Auswahl der vorgestellten Theorien und Konzepte lässt sich natürlich immer trefflich streiten. Ganz unabhängig davon aber muss die Darstellung etwa des Denkens von Michel Foucault auf zwei Seiten auch einen ausgewiesenen Kenner der Materie wie Achim Landwehr überfordern. Bei Pierre Bourdieu, dem ebenso wenig Raum zugemessen wird, hätte man sich neben der knappen Erläuterung der Begriffe 'Feld' und 'Habitus' zumindest noch ein paar Sätze zur Kapitalsortentheorie gewünscht. Trotz solcher Defizite, die vor allem aus der selbst(?) auferlegten räumlichen Beschränkung resultieren, überzeugt diese Tour d'Horizon durch gut zwei Jahrhunderte abendländischer Kulturtheorie insgesamt sowohl durch die Auswahl der Themen als auch durch die kompetente und anschauliche Darstellung.

Nach der Erläuterung der theoretischen Grundlagen und Konzepte wendet sich der zweite Teil des Buches verschiedenen Gegenstandsbereichen der Kulturgeschichte zu: Natur und Umwelt, Kommunikation und Medien, Wissen und Wissenschaft, Staat und Nation, Identität und Alterität, Körper und Geschlecht, Wahrnehmung und Gedächtnis. Diese Auswahl repräsentiert einerseits Themenfelder, die bisher vorrangig im Mittelpunkt der kulturgeschichtlichen Forschung standen, natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Andererseits wird daran ersichtlich, dass sich die Kulturgeschichte eben gerade nicht von ihren jeweiligen Gegenständen her definiert, sondern eine bestimmte Perspektive auf alle möglichen Gegenstände darstellt, wie auch Landwehr und Stockhorst nicht müde werden zu betonen.

Dies wird vor allem an dem Kapitel über Staat und Nation deutlich. Dabei handelt es sich um ein Thema, das lange der traditionellen Politikgeschichte vorbehalten blieb und erst in jüngster Zeit stärker in den Mittelpunkt kulturgeschichtlichen Interesses gerückt ist. Gerade hier wird aber die besondere Leistungsfähigkeit des kulturgeschichtlichen Ansatzes deutlich, der in den letzten Jahren maßgeblich dazu beigetragen hat, die Beschäftigung mit dem Staat aus ihren traditionellen verfassungs- und institutionengeschichtlichen Fesseln zu befreien, indem politische Gebilde wie Staaten als Ergebnis sozialer Praktiken und Zuschreibungsprozesse verstanden werden. Bei den meisten Vertretern einer solchen Kulturgeschichte des Politischen richtet sich das Augenmerk dabei zugleich stärker auf die symbolischen Repräsentationen staatlichen und politischen Handelns, ein Aspekt, der bei Landwehr und Stockhorst zwar durchaus zur Sprache kommt, aber nicht nur an dieser Stelle eine etwas ausführlichere Würdigung verdient hätte.

Dies gilt besonders für das Kapitel über 'Kommunikation und Medien', das sich neben der Darstellung 'klassischer' Kommunikationsmodelle und -theorien (Lasswell, Watzlawick) fast ausschließlich mit der Bedeutung von Schrift und Printmedien befasst. Damit bleibt der zumal für die Frühe Neuzeit so wesentliche Bereich nonverbaler und symbolischer Kommunikation vollständig ausgeblendet, was umso unverständlicher ist, als es sich hier um ein zentrales Forschungsfeld handelt, zu dem eine große Zahl neuerer kulturgeschichtlicher Arbeiten vorliegt.

Die Begriffe 'Symbol' und 'Ritual' begegnen dann aber an gänzlich unerwarteter Stelle, nämlich in dem Kapitel über 'Identität und Alterität'. Und selbst dort stößt man ein wenig unvermittelt auf diese Begriffe, nämlich innerhalb eines der an verschiedenen Stellen des Buches in den Text eingefügten, grau unterlegten 'Kästen', die stichwortartig zentrale Aspekte festhalten, längere Zitate enthalten oder Begriffsdefinitionen liefern. Der Einsatz solcher Elemente trägt, wie auch die zahlreichen Abbildungen, insgesamt zur Anschaulichkeit und Übersichtlichkeit des Buches bei, was positiv hervorzuheben ist. Doch gerade an dieser Stelle wäre zumindest ein Hinweis auf weiterführende Literatur zum Thema Ritual und Symbol wünschenswert gewesen, um den Eindruck zu vermeiden, die hier gegebenen Definitionen spiegelten so etwas wie einen common sense wider, von dem die weit verzweigte und von unterschiedlichen Disziplinen betriebene Ritualforschung bekanntlich weit entfernt ist.

Das ansonsten überaus instruktive Kapitel bildet, ebenso wie die Ausführungen über das Thema 'Nation', zugleich eine Schnittstelle zum dritten Teil des Buches, in dem Ansätze und Umrisse einer in weiten Teilen noch zu schreibenden europäischen Kulturgeschichte skizziert werden. Nach einem Überblick über die Geschichte des Europabegriffs und erste Ansätze zu einer europäischen Identität in der Frühen Neuzeit beschäftigen sich die folgenden Unterkapitel mit der Kulturtransferforschung, dem Verhältnis von Europa und Außereuropa sowie dem Themenkomplex Fremdheit und Interkulturalität. Besonders der dritte Teil der Einführung verdient höchstes Lob. Dem Leser werden hier auf anschauliche und kompetente Weise Einblicke in ein Forschungsfeld gewährt, das über weite Strecken noch im Entstehen begriffen ist und doch bereits viel versprechende Resultate vorweisen kann.

Trotz der genannten Kritikpunkte lässt sich das insgesamt positive Urteil im Prinzip auf das gesamte Buch ausdehnen, das man guten Gewissens nicht nur Studierenden zur Anschaffung empfehlen kann. Achim Landwehrs und Stefanie Stockhorsts 'Einführung in die europäische Kulturgeschichte' genügt nicht nur im besten Sinne den Ansprüchen an eine Einführung, indem hier Komplexes auf anschauliche und sachkundige Weise präsentiert wird. Auch dem mit der Materie bereits vertrauten Leser bietet das Buch eine Fülle von neuen Denkanstößen. Abgerundet wird die Darstellung durch eine umfangreiche Auswahlbibliografie sowie einen für den Einsatz im Proseminar gut geeigneten Überblick über Arbeitstechniken und Hilfsmittel.

Thomas Weller