Rezension über:

Stephen J. Campbell / Stephen J. Milner (eds.): Artistic Exchange and Cultural Translation in the Italian Renaissance City, Cambridge: Cambridge University Press 2004, XIV + 371 S., 82 illus., ISBN 978-0-521-82688-4, GBP 65,00
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Rezension von:
Till Busse
Florenz
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Till Busse: Rezension von: Stephen J. Campbell / Stephen J. Milner (eds.): Artistic Exchange and Cultural Translation in the Italian Renaissance City, Cambridge: Cambridge University Press 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 9 [15.09.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/09/8208.html


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Stephen J. Campbell / Stephen J. Milner (eds.): Artistic Exchange and Cultural Translation in the Italian Renaissance City

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Kulturellen Austausch im Italien der Renaissance behandelt dieser Aufsatzband von S. J. Milner und S. J. Campbell, in erster Linie zwischen Florenz und anderen Teilen Italiens, aber auch unter Künstlerwerkstätten, Auftraggebern und Malern, auch zwischen Ausländern und ihrer Umgebung. Er beleuchtet also anhand von Detailstudien Transferierungsphänomene. Laut Vorwort benutzen gesellschaftliche Gruppen aller Art Kultur zur Selbstdefinition. Sie bedeute nicht nur, sich abzugrenzen, sondern auch, "fremde" kulturelle Produkte den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Derartige Phänomene finden im Italien der Renaissance einen spezifischen Rahmen. Zwar ist die Halbinsel politisch zersplittert, doch lebt sie aus gemeinsamer Historie, Sprache und Religion. Zudem musste das prekäre Gleichgewicht Italiens durch diplomatische Kontakte gehalten werden; es gab also besondere Austauschbedingungen. Kunst kann die politische Identität einer Hegemonialmacht verkörpern, etwa indem Massa eine Maestà des Senesen Duccio als Zeichen der Ergebenheit erwirbt; sie kann aber auch Widerstand gegen Hegemonie verdeutlichen, wenn im Quattrocento senesische Maler der übermächtigen Florentiner Kunst trotzen. Das Adaptieren fremder Vorbilder bezeichnen die Editoren als translation und definieren so, was bislang der "Einfluss" in der Kunst, "Imitation" in der Literatur, "Orthodoxie" in der Religion und "Klientelismus" in gesellschaftlichen Beziehungen beschreibe. Warum der Terminus "Orthodoxie" herangezogen wird, um ein Transferierungsphänomen zu beschreiben, bleibt unerfindlich. Im Gegenteil: der Terminus "Synkretismus" würde ein Phänomen kulturellen Übersetzens beschreiben. "Orthodoxie" hingegen würde gerade die synkretistischen Züge der eigenen Identität leugnen. Tatsächlich beschreibt translation wohl die Fülle menschlicher Einzelentscheidungen, die zu kulturellen Phänomenen führen. Stilwandel findet statt, wenn eine größere Gruppe von Künstlern ähnliche, neue Stilentscheidungen trifft. Letztendlich dient translation als Terminus dazu, den immer noch biologistischen Kriterien der Kunstwissenschaft zu entrinnen. Diese Passage verdeutlicht die Problematik des Bandes: die Herausgeber arbeiten mit theoretisch oft unklaren Begriffen, die zum Teil widersprüchlich sind. Man gewinnt den Eindruck, sie hätten nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht, um (allerdings vorzügliche) Einzelstudien unter einen Hut zu bringen. Doch tut diese methodologische Schelte der Qualität der akribischen Arbeiten keinen Abbruch.

M. O'Malleys Beitrag beleuchtet Zusatzvereinbarungen zwischen Auftraggebern und Künstlern, die ikonografische Details enthalten. Im Gegensatz zu gängigen Studien nimmt sie Selbstständigkeit der Künstler an. Verträge werden oft allgemein formuliert und lassen dem Künstler weit gehende Freiheit. Festgelegt werden das Personal, Format und Materialwahl, auch künstlerische Modelle (modo et forma ...). Diese seltenen scripta lassen erkennen, dass diskutiert wurde und die Künstler mit eigenen ikonografischen Vorschlägen aufwarteten. Sassetta durfte 1437 z. B. selbst die Madonnenfigur und die Prädelle einer Tafel für die Franziskaner gestalten; sie lieferten ihm Informationen für weitere Prädellenszenen. Er muss zudem im Dialog mit ihnen die Ikonografie seiner Arbeit verändert haben. Ähnliche Schlüsse lassen sich aus vorbereitenden Zeichnungen ziehen. Hier wird deutlich, dass die Auftraggeber zwar Einzelfiguren ändern ließen, der Künstler aber Details und Stil selbst wählte. Gerade das angeführte Beispiel der Tornabuonikapelle ist jedoch problematisch, da man die Ikonografie der Wandgemälde an der Fensterwand neu festlegte, als ein Altargemälde bestellt wurde und sich das Programm der Kapelle veränderte.

M. Holmes analysiert die Werkstatt des Lippi und Pesellino - Imitatoren (Piero di Lorenzo di Pratese). Der Meister verwendete Durchzeichnungen nach Lippi und Kartons Pesellinos und bediente Kunden, die Kunst aus dem Medici-Umfeld nachahmen wollten. Prominentestes Beispiel ist die Kopie nach Lippis Berliner "Anbetung" aus der Cappella de' Magi, die heute das Original ersetzt. Der Meister stellte in Serie kleinere Werke her, die aus Einzelfiguren der Kartons zusammengesetzt wurden. Problematisch ist Holmes Erklärung des "Lippi-Effekts" der Werkstattkopien. Die Mischung sakraler und profaner Elemente verkörpere menschliche und göttliche Natur Christi und habe ein Vorbild in der Laudendichtung und im Marienlob. Diese durch kein Zitat belegte Behauptung zeugt von Unkenntnis der Literatur. Zudem legt sie Wahrnehmungsmaßstäbe unserer Epoche an; die Mischung aus Minnedichtung und religiöser Hymne empfanden Italiener des Spätmittelalters wohl nicht als heterogen, zumal sie sich bis in das Hohe Lied der Bibel zurückverfolgen lässt.

Das von S. E. Zuraw bearbeitete Forteguerri-Grabmal in S. Cecilia in Trastevere in Rom ist eines der interessantesten Fallbeispiele des Buches. Der Kardinal beauftragte keine römischen Bildhauer, sondern Mino da Fiesole, der 1474 ein Florentiner Modell importierte. In den unteren Teilen kopiert es das Grabmal des Grafen Hugo von Toskana in der Florentiner Badia. Im Werkprozess passte Mino sich römischen Modellen an. Während er das triumphbogenartig in die Wand eingelassene Florentiner Grab sparsam schmückt, ist der obere Teil des Forteguerri-Grabmals ornamentreicher und folgt römischen Altarziborien. So übernahm Mino arbeitsteilige Methoden und den Geschmack Roms, ohne seine Herkunft zu verleugnen. Die stilistische Zwitterstellung des Grabmals versinnbildlicht die Stellung des Kardinals zwischen Rom und der Toskana.

L. Sysons Essay über Bertoldo berührt das Thema dieses Bandes doppelt. Er untersucht die Rolle Bertoldos als Hofkünstler und Haupt der Schule von San Marco. Im Wettbewerb der Fürsten spielt im Quattrocento auch der Hofkünstler eine Rolle, so etwa Pisanello, der für Alfonso von Aragon Porträtmedaillen erschafft. Cosimo und sein Sohn Piero de' Medici dagegen vermeiden bewusst das Prägen von Medaillen, um sich den Habitus des primus inter pares nicht zu nehmen. Nach der Verschwörung der Pazzi fertigt Bertoldo jedoch eine Medaille, die an den Tod Giulianos und das Überleben Lorenzos erinnert. Im Gegensatz zu gängigen Medaillen mit Porträt und allegorischer Devise zeigt Bertoldo den Altarbereich des Florentiner Domes je aus entgegengesetztem Blickpunkt mit dem Mordgeschehen und einem Kommentar, darüber Porträts der Medici. Man veränderte die importierte Gattung, fügte Florentiner Narrativität und Perspektive hinzu. Bertoldo überführte überdies die Kunst Donatellos in einen aulischen Stil, den er im Garten von San Marco an Granacci und Michelangelo vermittelte. Die Künstler erlernten Motivadaption und -veränderung. Eine akademieartige Einrichtung ist nur vorsichtig zu postulieren, da dem Chronisten Vasari nicht immer zu trauen ist, doch überzeugt die stilistische Beweisführung zu einer - wie auch immer gearteten - Schule.

S. J. Campbell zweifelt die gängige These an, Ferrara sei nur ein kleines Zentrum gewesen, das florentinisches Gedankengut übernahm und es mit paduanischen und niederländischen Elementen mischte. Er konstatiert vielmehr kritische Assimilierung. So engagierte Bischof Roverella den Florentiner Rossellino für sein Grabmal in der Kathedrale, der jedoch ein römisches Arkosolgrab erschafft. Seine Madonnentypen werden von Cosmè Tura adaptiert, doch in eine nervös-kurvilineare Sprache übersetzt. In Bezug auf die Sprache äußern die Ferraresen Vorbehalte zu Landinos toskanischer Version der Naturalis Historia. Ferrara ist also durchaus nicht nur Empfänger kultureller Impulse, sondern es finden intensiver Austausch und Adaption der importierten Modelle statt.

G. Clarkes Artikel zur Kulturpolitik Giovanni Bentivoglios in Bologna stellt ein analoges Fallbeispiel dar.

Florenz als Empfänger kultureller Ideen steht im Zentrum der Studie B. Edelsteins. Den Garten von Poggioreale, erbaut für Alfonso II. von Aragon nach 1485, besuchte 1536 der junge Cosimo de' Medici. Der Duca adaptierte dieses Modell für seine Villa in Castello und für den Boboli-Garten. Dort sammelte man das Wasser in einem Fischteich und ließ es vor der Signoria im Neptunbrunnen münden. Die gerade arrivierte Medici-Dynastie drückte so ihre Verbundenheit mit dem kaiserlichen Hof aus; das Figurenprogramm und die geplanten Anlagen in beiden Gärten transportierten den Gedanken des Fürsten als Wasserspender und damit als Garanten von Lebensqualität der Kommune.

S. J. Milner beleuchtet wie Zuraws Essay die Auftraggeberschaft im Umkreis Kardinal Forteguerris. Der durch Archivalien dokumentierte Aufsatz liest sich wie ein Kriminalroman. 1476 ergeht der Auftrag für ein Kenotaph in Pistoia, doch gehen Querelen von lokalen Kreisen Pistoias aus. Wechselnde Mehrheiten der Gremien, Eifersüchteleien torpedieren das von anderen vollendete Projekt Verrocchios. Man wollte sich zwar von der Kulturhegemonie Lorenzo de' Medicis absetzen, doch sprach er am Ende ein Machtwort gegen diejenigen, welche eine Arbeit der - dem Städtchen enger verbundenen - Pollaiuolo befürworteten. Der Innovator Verrocchio scheiterte also nicht nur an der Provinz, sondern als Schützling der Medici in einer Stadt, die sich in einer scheinbar unverfänglichen Domäne gegen sie wehrte.

Auch D. L. Krohns Text befasst sich mit dem Problem von Zentrum und Peripherie. Die Fina-Kapelle der Collegiata ist San Gimignanos aufwändigstes Projekt im 15. Jahrhundert. Zwar schufen die Florentiner Ghirlandaio und da Maiano das Werk, doch wurde die nie heilig gesprochene Fina nur in San Gimignano verehrt, als Zeichen lokaler Identität, die man auch durch das Ordern einer Lokalchronik betonte.

C. Celenza bespricht das Phänomen von Orthodoxie und Anpassung am Beispiel Ficinos. Wesentlich zwischen Humanisten und ihren Mäzenen war ein Band der Freundschaft, bedingt durch das Fehlen offizieller Institutionen. Ficinos Platostudien machten ihn zum Zentrum der Akademie und ihres Freundschaftskultes. Doch sein Aktionsfeld veränderte sich, als Lorenzo de' Medici 1473 ein Studium Generale gründete, auch Polizianos philologische Arbeiten und Picos neue Synthese zwischen Plato und Aristoteles kündigten neuen Wind an. Savonarolas scholastische Ablehnung ihres Freundschaftskultes zerstörte die Akademie. Schon vorher war Ficino an den Rand gedrängt worden; nun hatte er es mit einem Priester und Propheten zu tun, der festlegte, was orthodox war. Letztendlich scheiterte Ficino an einem Paradigmenwechsel, den er nur teilweise mitgehen konnte.

Indirektes Erbe auch der Florentiner Neuplatoniker war das Interesse am alten Ägypten. B. A. Curran verfolgt dieses Phänomen von Nikolaus V. bis in die Zeit Leos X. Angeregt etwa durch Horapoll hatten sich Humanisten wie Alberti mit Hieroglyphen befasst. Er verstand sie als universelle Sprache und als Ursprung der Bildkunst und begründete damit eine Tradition, die Esoterik und Universalität miteinander verband und die Emblematik des 16. Jahrhunderts beeinflusste. Es entstand ein transkulturelles Bildsystem, das weitgehend von der Fantasie der Autoren beflügelt wurde und oft der Projektion eigener Macht und Größe diente.

M. S. Hansen analysiert die Auftraggeberschaft armenischer Kaufleute in Ancona, die sich Mitte des 16. Jahrhunderts in eine religiös und kulturell fremde Umgebung einfügen müssen. Zwar gibt es eine eigene Kirche, doch stiften die Armenier in katholischen Kirchen, um sich demonstrativ zu integrieren. Die Bemühungen lassen sich durch die Zeitläufe erklären: eine Kirchenunion, das Tridentinum sowie sprachliche und liturgische Fremdheit. Die politisch rechtlosen Ausländer Anconas engagierten prestigeträchtige Maler aus Rom oder Venedig (u. a. Tizian), demonstrierten so ihren Status und traten doch besonders konform auf. Dabei wurde allenfalls durch die Wahl der Heiligen angedeutet, woher man kam.

Es hätte diesem Sammelband gut getan, seine Thematik enger zu umgrenzen. Die Beiträge von Holmes und O'Malley z.B. sind zwar hochinteressant, passen jedoch nur sehr allgemein in den vom Vorwort gegebenen Rahmen. Andererseits fehlen Essays zum Kampf um eine gemeinsame höfische Sprache und zum Einwirken nichtitalienischer Kulturen auf die Halbinsel (u. a. Flandern-Italien) oder auch zum Einwandern nordischer (protestantischer) religiöser Ideen im Cinquecento. Nichtsdestotrotz steht dieser Band für das Beste, was angelsächsische Kunstgeschichte derzeit zu bieten hat: detailgenaue Studien, die immer wieder Neues aus den (anscheinend unerschöpflichen) Archiven Italiens zu Tage fördern.

Till Busse