Rezension über:

Markus Osterrieder: Das wehrhafte Friedensreich. Bilder von Krieg und Frieden in Polen-Litauen (1505-1595) (= Imagines Medii Aevi. Interdisziplinäre Beiträge zur Mittelalterforschung; Bd. 20), Wiesbaden: Reichert Verlag 2005, VII + 330 S., ISBN 978-3-89500-438-4, EUR 59,00
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Rezension von:
Hans-Jürgen Bömelburg
Nordost-Institut, Lüneburg
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Irgang
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Jürgen Bömelburg: Rezension von: Markus Osterrieder: Das wehrhafte Friedensreich. Bilder von Krieg und Frieden in Polen-Litauen (1505-1595), Wiesbaden: Reichert Verlag 2005, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 9 [15.09.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/09/9217.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Markus Osterrieder: Das wehrhafte Friedensreich

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In der europäischen frühneuzeitlichen Militärgeschichtsschreibung wie in der Kriegs- und Freund-Feind-Imagologie spielt Polen-Litauen für das 16. und 17. Jahrhundert nur eine untergeordnete Rolle. Markus Osterrieder möchte dies in der vorliegenden, auf seiner Münchner Dissertation aufbauenden Studie für das 16. Jahrhundert ändern. Er argumentiert, in dem Staatsverband seien Probleme der Kriegsbegründung und -verhütung zeitgenössisch neu diskutiert worden. Zudem habe die polnisch-litauische Publizistik die Ausgrenzung Moskaus aus Europa forciert und gegen das Osmanische Reich die eigene antemurale-Rolle festgeschrieben. Insgesamt komme deshalb Polen-Litauen eine bedeutende Rolle bei der europaweiten Ausbildung einer frühneuzeitlichen Kriegs- und Friedensstereotypie zu.

Die Materialbasis der Studie bilden kriegsgeschichtliche und -theoretische Abhandlungen, polnische antitürkische Traktate, historische Chroniken, Verfassungstexte, politische Streitschriften und frühparlamentarische Quellen sowie rechtsphilosophische, theologische und literarische Traktate, Polemiken und Volksepen. Nicht berücksichtigt wird die ungedruckte Überlieferung, insbesondere werden keine Versuche zu einer Verifizierung von fragwürdigen und unklaren Zitaten unternommen. Auch zu seltenen Drucken konnte der Autor nicht immer vordringen, deshalb schöpft die Studie vielfach aus der umfangreichen Literatur zum so genannten "Goldenen Zeitalter", deren umfassende Durchdringung und Rezeption jedoch ein nicht gering zu schätzender Verdienst ist, zu der in der deutschsprachigen Forschung seit Gottfried Schramm keine Parallele vorliegt.

Die zeitliche Eingrenzung der Darstellung wird mit der Parlamentskonstitution "Nihil novi" (1505), in der der König zusicherte, keine neuen Gesetze ohne Zustimmung des Senats und der Landboten zu verabschieden, sowie der Kirchenunion von Brest (1596) gerechtfertigt. In beiden Fällen handelt es sich um verfassungsrechtlich-politische Zäsuren, die keine unmittelbare Bedeutung für die frühneuzeitlichen Bilder vom Krieg besaßen. Ausgeschlossen werden durch diese Zäsurenwahl insbesondere die Kriege des frühen 17. Jahrhunderts gegen die Moskauer Rus' und Schweden, die allerdings in unmittelbarem Zusammenhang zur Publizistik der 1590er-Jahre standen. Osterrieder wählt hier nach unklaren Kriterien aus: So finden etwa ein Exkurs zu Thomas Hobbes (62-63), eine umfangreiche Exegese der "Sejmpredigten" Piotr Skargas von 1597 (235-243) einschließlich textlicher Veränderungen des 17. Jahrhunderts oder die Analyse der im Umfeld der Smuta von 1609 entstandenen Texte Paweł Palczowskis (251 f.) in der Darstellung Berücksichtigung. Zu diskutieren ist, ob nicht die Zäsuren von 1587, 1632 oder 1648 sinnvollere Rahmendaten darstellen, wobei allerdings bei einer Fortführung ins 17. Jahrhundert die Charakterisierung Polens als eines "Friedensreiches" nicht mehr zuträfe.

Als Analyseebene wählt der Autor einen geistesgeschichtlichen Ansatz, der in systematischen Kapiteln wie "Wahrnehmung des Fremden", "Krieg und Frieden im Mythos", und "Feindbilder" zentrale Themen der zeitgenössischen Elitenwahrnehmung einzuholen sucht. Nicht in Angriff genommen wird eine systematische begriffs- oder eine punktuelle diskursgeschichtliche Vertiefung, was etwa für diskutierte Begriffe wie "res publica" (Rzeczpospolita), "Staat", "Staatsräson", "Krieg", "Feind", "Freiheit" etc. sinnvoll und auf der Basis des als Kartothek vollständig vorliegenden "Wörterbuchs des Polnischen des 16. Jahrhunderts" (Słownik Polszczyzny XVI wieku) möglich gewesen wäre. Argumentative und diskursive Bezüge verschwimmen so manchmal, während andererseits gerade bei begriffsgeschichtlichen Skizzen - etwa der Grundlegung der konföderativen Staatsbildung entlang der Begriffe von "Harmonie" und "concordia" (zgoda) (56, 69, 83) - überzeugende Argumentationen gelingen.

Teilweise verliert sich der Autor allerdings in traditionalen Wertungen, die sichtlich der polnischsprachigen Sekundärliteratur folgen. So wird ohne Verweis auf den Topos von der "aufrichtigen Bewunderung" des Erasmus von Rotterdam für Zygmunt I. (88) gesprochen; der Abschnitt über den "Sarmatismus" (92-102) changiert zwischen realhistorischen Einflüssen der Sarmaten in der Antike, origo-Belegen aus dem 16. Jahrhundert und Konstruktionen der Romantik wie der Behauptung, "die bäuerlich-wehrhafte Lebenswelt bildet einen Schirm und einen Schutzwall gegen die Barbarei des asiatischen Ostens", die mit einem polnischen Autor aus dem 19. Jahrhundert belegt wird (94 f.). Wo gar "die Geschlechterwappen der Szlachta zum Teil zu Recht von den sarmatischen Tamgas hergeleitet" (105) werden, erschöpft sich der Text in einer Reproduktion des Sarmatenmythos.

Der Argumentationsaufbau wird zudem durch problematische Charakterisierungen von Personen, die fragwürdige Verwendung von Begriffen und die unzutreffende Wiedergabe von Sachverhalten stellenweise in Mitleidenschaft gezogen. Wenig hilfreich, weil nur partiell zutreffend, sind Charakterisierungen wie der "Diplomat Krzysztof Warszewicki" (9, 158, 184), der "Historiker Świętosław Orzelski" (166), "der Litauer Stryjkowski" (183) oder der "erzkatholische Kanzler Jan Zamoyski" (224). "Republikanismus" und "Republikaner" werden für das ganze 16. Jahrhundert verwandt, ohne dass Inhalte und Reichweite des Begriffs bestimmt werden. Terminologisch stolpert man über die "litauische Dynastie Jagiełło" (186), die "Deutschritter" (197 ff.) und den von der Forschung massiv in Frage gestellten "böhmischen Frühhumanismus" der Hussitenzeit (205 ff.). In der Pauschalität unzutreffend sind Behauptungen wie die, verarmte Ritter habe es in den Wappenverbänden nicht gegeben (41), "landbesitzende Geistliche zählten zu den senatores" (44) und es habe ein allgemeines Verbot des Landbesitzes für Bürger gegeben (44); fragwürdig ist es, von einer "prohabsburgischen tschechisch-protestantischen Emigration" (125) zu sprechen. Die türkische Belagerung von Wien fand 1529 und nicht 1532 statt (148), und bei "Giovanni Brutto (1520-1595)" (117) handelt es sich um Gian Michele Bruto (Joannes Michael Brutus, 1517-1592), dessen Abhängigkeit von Stefan Báthorys Hof nicht gesehen wird. Worauf sich die generelle Behauptung stützt, "die ruthenische Kanzleisprache" sei "in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus den Dokumenten" verschwunden (130), ist nicht ersichtlich; eine Beschäftigung mit der litauischen Metrik hätte zu dem Schluss geführt, dass die Datierung mindestens 100 Jahre zu früh liegt. Die Behauptung, Stryjkowskis Chronik der litauischen Geschichte sei in Königsberg gedruckt worden, weil die Darstellung von Báthory "politisch unabhängig" sei (119), ist strittig. Da über Stryjkowski wenig gesichertes Wissen vorliegt, kann mit gleicher Berechtigung die These vertreten werden, dieser habe in königlichem Auftrag gearbeitet, während der Druckort Königsberg für Schriften aus dem Großfürstentum Litauen keine Besonderheit darstellt.

Schließlich schränken handwerkliche Mängel die Nutzbarkeit der Ergebnisse ein: So etwa, wenn Jan Kochanowski auf der Basis englischer Sekundärliteratur zitiert wird (56 f.) oder ein nicht verifizierbares Zitat aus dem "Rocznik Krasińskich" aus Gotthold Rhodes "Kleiner Geschichte Polens" geboten wird (124). Wenig weiterführend sind auch unbelegte Zitate aus den Aufsätzen von Stanisław Kot (127, 213), die seit 60 Jahren in der Fachliteratur ein Eigenleben führen. Den Lesefluss erschweren stilistische Brüche (etwa "Verkörperung des leidvollen Auftrags der Rzeczpospolita, als Schutzschild der Christenheit zu fungieren", 87), unvollständige Sätze (102, 105, 148, 186, 251), nicht vereinheitlichte Namensschreibweisen (Deciusz / Decjusz u. a.) sowie Wiederholungen (etwa zur Callimachus- und Decius-Rezeption). Um Missverständnisse zu vermeiden: Die genannten Detailfehler, handwerklichen Mängel und stilistischen Brüche sind einzeln entschuldbar, stellen jedoch in der Häufung manchmal die Argumentationsgänge des Autors in Frage.

Im Ergebnis fasst die Studie einen bisher in der Forschung gesehenen Sachverhalt präziser: Polen-Litauen trug als Großmacht des "europäischen Nordens" in der Frühen Neuzeit durch eine erfolgreiche politische Propaganda erheblich zu einer gemeineuropäischen Ausgrenzung Moskaus und des Osmanischen Reichs aus Europa bei. Dieser für den deutschen Sprachraum durch Andreas Kappeler erforschte Sachverhalt wird auch für Polen-Litauen glaubhaft gemacht. Ungeklärt bleibt allerdings, ob die antemurale-Rhetorik dabei eine zentrale Rolle spielte. Auch Osterrieder kommt hier zu widersprüchlichen Aussagen und formuliert: "Meist behandeln die Traktate auch das ideologische Motiv der antemurale christianitatis" (11). In der Zusammenfassung heißt es dann akzentuierter, "die polnische natio wurde dabei als kulturelle Vormauer gegen die Türken [...] verstanden" (261). Andererseits ist - wie vom Autor auch analysiert (243-249) - der antemurale-Begriff für den Zeitraum 1505-1595 kaum belegt und der sachliche Hintergrund angesichts des dauerhaften Friedens mit dem Osmanischen Reich fraglich. Osterrieder folgt hier letztlich erneut der polnischen Sekundärliteratur (Janusz Tazbir) und interpoliert aus Nachweisen aus dem 15. und den Belegen des 17. Jahrhunderts eine dauerhafte Bedeutung des Topos. Erklärungsbedürftig bleibt dann allerdings, warum der Begriff im 16. Jahrhundert trotz der explosionsartigen Vermehrung des polnischen Schrifttums verschwindet. Dem Befund angemessener erscheint ein Verzicht auf den antemurale-Begriff für das 16. Jahrhundert - eine Entideologisierung, zu der sich der Autor nicht entschließen kann.

Insgesamt stellt die Darstellung einen wichtigen Beitrag zum polnischen politischen Denken des 16. Jahrhunderts dar und fasst den erreichten Forschungsstand mit den genannten Einschränkungen zusammen. Gut getan hätte es allerdings, wenn die Endfassung intensiver mit Spezialisten in Polen bzw. deutschen Polenhistorikern diskutiert worden wäre - aus dem Text sind keine Arbeitszusammenhänge in diese Richtung erkennbar.

Hans-Jürgen Bömelburg