Rezension über:

Olaf Mörke: Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 74), München: Oldenbourg 2005, X + 174 S., ISBN 978-3-486-55026-9, EUR 19,80
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Rezension von:
Renate Dürr
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Ute Lotz-Heumann
Empfohlene Zitierweise:
Renate Dürr: Rezension von: Olaf Mörke: Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung, München: Oldenbourg 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 2 [15.02.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/02/7191.html


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Olaf Mörke: Die Reformation

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An guten und knappen Einführungen in die Reformationsgeschichte besteht kein Mangel. [1] Dennoch ist es sehr zu begrüßen, dass mit dem von Olaf Mörke vorgelegten Band eine einführende Darstellung der "Reformation" nun auch in der Reihe "Enzyklopädie deutscher Geschichte" erschienen ist. Denn für Studierende hat sich die übersichtliche Dreiteilung der bewährten Reihe (I. Enzyklopädischer Überblick; II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung; III. Quellen und Literatur) in jeweils etwa gleich große Kapitel als sehr hilfreich erwiesen. Trotz einiger unvermeidlicher Dopplungen all dieser Einführungsbücher in die Geschichte der Reformation setzt darum die Darstellung in der Enzyklopädie deutscher Geschichte ganz eigene Schwerpunkte.

Den Vorgaben der Reihe entsprechend führt Olaf Mörke zunächst präzise und übersichtlich in die Ereignisgeschichte der Reformation ein (5-65). Dabei geht er sowohl auf theologische Zusammenhänge, als auch auf soziale und gesellschaftliche Strukturbedingungen dieser Zeit ein, deren gegenseitige Verzahnung sowie deren politische Ausdrucksweise in vermutlich auch Studierenden verständlicher Weise erläutert werden. Diese Leichtfüßigkeit der Darstellung ist umso bemerkenswerter, als Mörke Reformation als einen "offenen Prozess" zu schildern weiß, dessen Weg keinesfalls vorgezeichnet war und dessen Erforschung noch immer im Fluss ist. Die wirklichen Stärken der Einführung liegen jedoch in den Kapiteln II C und D, in denen neuere theologische, sozial- und kulturhistorische Interpretationsansätze vorgestellt und miteinander in Beziehung gesetzt werden (88-135). Dabei werden die zentralen Fragen der Reformationsforschung nach- und nebeneinander behandelt, als ob man sich im Gespräch mit dem jeweiligen Autor befände, darunter etwa: die Bedeutung des "reformatorischen Umbruchs" in Zeiten eines längeren Veränderungsprozesses, der Stellenwert der lutherischen Theologie angesichts städtischer und ländlicher Gemeindemodelle, die Wirkung der Reformation auf die politische Kultur des Alten Reiches und schließlich die Frage nach dem kulturellen Wandel, der durch die Reformation in Gang gesetzt wurde. Mühelos und dadurch trotz aller Argumentationsdichte gut lesbar berichtet Olaf Mörke von der Entwicklung der jeweiligen Forschungsthesen und den dazu gehörigen "Schulen". Farbig bleibt diese Darstellung, weil man immer wieder auch über neue Facetten der Reformation als historischem Prozess informiert wird, sodass es sich eigentlich verbieten müsste, diese Einführung als "Steinbruch" zu benutzen und einige Kapitel herauszugreifen. Denn die einzelnen Kapitel verweisen stets aufeinander. Abschließend fasst Olaf Mörke das Wesentliche noch einmal in einem eigenen Abschnitt "Perspektiven der Forschung - Versuch einer Zusammenfassung" zusammen (135-139), wobei leider die Frage nach den "Perspektiven" eher beiläufig gestreift wird, als dass sie tatsächlich entwickelt werden würde. Aber das ist auch nicht eigentlich die Aufgabe der Bände in der "Enzyklopädie deutscher Geschichte".

Aus den Vorgaben der Reihe folgt allerdings eine Lücke der Darstellung, die die Reformationsgeschichtsschreibung erst in den letzten Jahren zu überwinden begann. Nachdem sich nämlich auch die deutschsprachige Forschung langsam daran gewöhnt hatte, die Reformation als europäisches Ereignis zu betrachten, das durch die alleinige Fokussierung auf Luther und Zwingli nicht zu begreifen ist, befremdet eben diese Eingrenzung im vorliegenden Band. Calvin wird ein einziges Mal erwähnt, und zwar in einer Auflistung "führender Theologen wie z. B. Melanchthon, Zwingli, Bucer und Calvin" (7). Auf den Calvinismus kommt Mörke zweifach zu sprechen; das eine Mal im Zusammenhang mit einem Zitat von Ernst Troeltsch über den "Alt-Protestantismus" (76), das zweite Mal im Rahmen einer Erörterung der Weber'schen These von der protestantischen Ethik (78). Sicher ist diese Reduktion der Reformation auf Luther und Zwingli und damit für Deutschland eigentlich vor allem auf Luther die Folge der Konzeption der Reihe "Enzyklopädie deutscher Geschichte". Aber Johannes Calvin und die reformierte Theologie hatten auch auf Deutschland eine weit reichende Wirkung, die man in den Blick bekommen hätte, wenn man den zeitlichen Rahmen ein wenig ausgedehnt und die Auseinandersetzungen um die so genannte "Zweite Reformation" mit einbezogen hätte. Für den mit diesem Band eigentlich auch vorgenommenen Versuch einer Gesamteinschätzung der Reformation und der Reformationsgeschichtsschreibung ist diese Begrenzung schließlich wirklich ärgerlich, weil sie hinter den neueren Forschungsstand zurückfällt und die Reformationsgeschichte quasi einbeinig zurücklässt. Darüber hinaus kann man auch über einige Schwerpunktsetzungen des Bandes geteilter Meinung sein. So verwundert die doppelte Diskussion der heiklen Epochenfrage (1-5 und 67-70) und die Ausführlichkeit, mit der die Reformationsgeschichte des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts geschildert wird (70-78), auch wenn in dieser Zeit zweifelsohne zentrale Deutungsmuster der Reformation geprägt worden sind, die bis heute nachwirken.

Insgesamt jedoch ist diese Einführung in die Reformationsgeschichte durch den ausgewiesenen Kenner städtischer Reformationsgeschichte Olaf Mörke sehr zu empfehlen. Mörke ist eine übersichtliche und gut lesbare Darstellung der Ereignisgeschichte wie der Forschungskontroversen um die "deutsche Reformation" lutherischer und zwinglianischer Provenienz gelungen. Ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Sachregister runden die Darstellung in gewohnter Weise ab.


Anmerkung:

[1] Vgl. nur die neuesten Darstellungen von Luise Schorn-Schütte: Die Reformation. Vorgeschichte, Verlauf, Wirkung (= Beck'sche Reihe), München 1996; Peter Blickle: Die Reformation im Reich, 3. Aufl., Stuttgart 2000; Wolfgang Reinhard: Reichsreform und Reformation, 1495-1555 (= Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte; Bd. 9), 10. Aufl., Stuttgart 2001; vgl. hierzu die Rezension von Gabriele Haug-Moritz, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 2, URL: http://www.sehepunkte.de/2002/02/2167.html; Stefan Ehrenpreis / Ute Lotz-Heumann: Reformation und konfessionelles Zeitalter (= Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2002; s. hierzu die Rezension von Johannes Süßmann, in sehepunkte 3 (2003), Nr. 9, URL: http://www.sehepunkte.de/2003/09/1327.html ; Johannes Burkhardt: Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung, 1517-1617, Stuttgart 2002; Ulinka Rublack: Die Reformation in Europa (= Europäische Geschichte), Frankfurt a. M. 2003; s. hierzu die Rezension von Peter Burschel in sehepunkte 4 (2004), Nr. 11, URL: http://www.sehepunkte.de/2004/11/6180.html.

Renate Dürr