Rezension über:

Catharina Hasenclever: Gotisches Mittelalter und Gottesgnadentum in den Zeichnungen Friedrich Wilhelms IV. Herrschaftslegitimierung zwischen Revolution und Restauration (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte; Bd. 30), Berlin: Duncker & Humblot 2005, 415 S., ISBN 978-3-428-11916-5, EUR 98,00
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Rezension von:
Dirk Blasius
Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Dirk Blasius: Rezension von: Catharina Hasenclever: Gotisches Mittelalter und Gottesgnadentum in den Zeichnungen Friedrich Wilhelms IV. Herrschaftslegitimierung zwischen Revolution und Restauration, Berlin: Duncker & Humblot 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 4 [15.04.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/04/9644.html


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Catharina Hasenclever: Gotisches Mittelalter und Gottesgnadentum in den Zeichnungen Friedrich Wilhelms IV.

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Friedrich Wilhelm IV., in den Jahren 1840-1861 König von Preußen, ist keine Trägergestalt borussischer Legenden. Er war ein Monarch, dem alles Heldenhafte fehlte. Von den Historikern wurde er lange Zeit als ein Mann gesehen, der mit dem Rücken zur Zukunft stand. Erst neuere Untersuchungen haben die Akzente anders gesetzt. Die Berliner kunsthistorische Dissertation von Catharina Hasenclever nimmt auf Befunde der Geschichtswissenschaft Bezug und schlägt die Brücke zur Würdigung Friedrich Wilhelms IV. als Künstler.

Mit großer Sorgfalt wird die Forschungslandschaft abgeschritten, um den Erkenntnisgewinn des eigenen Projekts deutlich werden zu lassen. Catharina Hasenclever stützt sich in ihrer Arbeit auf den umfangreichen zeichnerischen Nachlass des preußischen Königs. Über 4.500 Zeichnungen und Skizzen werden heute bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten in Potsdam aufbewahrt. Aus diesem Bestand hat sie ein Konvolut von über 400 vom gotischen Mittelalter inspirierten Skizzen ausgewählt, das eine Deutung der Ikonologie der Gotik- und Mittelalterrezeption Friedrich Wilhelms IV. ermöglicht. Die Autorin kann entgegen der bisherigen Annahme zeigen, dass der preußische König "sein gesamtes Leben lang der Hinwendung zum christlichen und gotischen Mittelalter treu blieb" (49).

Im Anhang zu diesem Buch sind über 100 Bildtafeln ediert, die eindrucksvoll die immer währende Hinwendung des Monarchen zu Themen und Motiven des gotischen Hoch- und Spätmittelalters belegen (235-384). Freilich ist in Rechnung zu stellen, dass Friedrich Wilhelm IV. sein Königsamt nicht der Kunst hintanstellte; das war ein Vorwurf, den Heinrich von Treitschke erhob. Der König zeichnete viel, auf beliebigen "Zetteln"; niemals arbeitete er seine Zeichnungen aber zu einem Gemälde aus.

Catharina Hasenclever stellt die von ihr gesichteten Bildmaterialien in einen historischen Interpretationszusammenhang. Ihre These lautet: "Dass Friedrich Wilhelm die Gotikrezeption zur Darstellung seiner politischen Ideale und seiner Vorstellung vom Gottesgnadentum der Monarchie und damit zur Herrschaftslegitimierung zu nutzen versuchte" (13).

Die drei zentralen Kapitel der Arbeit setzen an den Zäsuren der politischen Geschichte Preußens, nicht an den Einschnitten der Lebensgeschichte seines Königs an: Friedrich Wilhelm in der Zeit der Befreiungskriege, 1806-1820; Friedrich Wilhelm und die Historisierung der Monarchie, 1820-1840; Friedrich Wilhelm IV. - König von Gottes Gnaden zwischen Revolution und Kaiserkrone, 1840-1861. Diese drei Phasen werden anhand der figürlichen Zeichnungen Friedrich Wilhelms beleuchtet, um seine die Politik Preußens bestimmende Monarchievorstellung zu konturieren. Catharina Hasenclever gelingen im Rückgriff auf die vom gotischen Mittelalter und vom Gottesgnadentum inspirierten Skizzen und die zugehörigen Kunstprojekte Friedrich Wilhelms (Kölner Dom; Nationaldom in Berlin; Burg Stolzenfels) beeindruckende Beispiele kunsthistorischer Interpretation, die die "ikonografische Intention" freilegen. Seinen Kampf gegen Revolution und Konstitution kleidete Friedrich Wilhelm in Darstellungen des Erzengels Michael und des Teufels. Er stellte den Erzengel als dominierenden Sieger über den Teufel beziehungsweise den erlegten Drachen dar. Eine Zeichnung zeigt den schwebenden Michael, der mit seiner Rechten Blitze nach dem am Boden liegenden, von Schlangen umwundenen Teufel schleudert (381).

Ein methodisches Problem liegt darin, dass auf Grund der Überlieferung eine Datierung der Zeichnungen nicht möglich ist. Sie werden in dieser Arbeit "über die dargestellten Themen" in den historischen Rahmen eingeordnet, den die Gliederung vorgibt. Aufschlussreich wäre es gewesen, die Zeichnungen auf das zerteilte politische Handeln Friedrich Wilhelms beziehen zu können. So aber ergibt sich das Bild einer unveränderlichen "Gedankenstruktur" (222). Doch war der preußische König nur ein am Mittelalter orientierter Monarch, der Herrschaftslegitimierung durch Gotikrezeption versuchte? In der Festlegung Friedrich Wilhelms auf eine "zum Mittelalter hin rückwärts gewandte Politik" (231) stößt die hier vorgelegte historische Deutung an ihre Grenzen. Dieser Monarch regierte in einer Übergangszeit, in der die ständische Gesellschaft in Bewegung geriet, sich die Soziale Frage zuspitzte und das sich formierende Bürgertum politische Teilhabe einforderte. Der preußische König absentierte sich nicht von den drängenden Fragen seiner Zeit; 1840, als er König wurde, bestanden in der Öffentlichkeit berechtigte Hoffnungen auf ein liberales Regiment; auch sein Plan eines "Vereinigten Landtages" wies nicht nur in die Vergangenheit; seine Revolutionspolitik in den Jahren 1848-1850 mit dem Nachspiel der Erfurter Union lässt sich nicht gänzlich auf seine Revolutionsphobie verrechnen.

Catharina Hasenclever hat ein interessantes, die Forschung bereicherndes Buch geschrieben. Das Profil des preußischen Königs wird scharf umrissen, sein Herrschaftsverständnis mit neuen Quellen gut belegt. Doch in seinem Denken und Handeln hatte sich neben dem Mittelalter auch eine neue, spannungsgeladene Zeit eingenistet. Friedrich Wilhelm hat sich seiner Gegenwart durchaus gestellt. Mit der Rolle eines Mediators zwischen den Kräften der Bewegung und denen der Beharrung war er freilich überfordert.

Dirk Blasius