Rezension über:

Christine Bührlen-Grabinger (Bearb.): Urfehden für den Raum Pforzheim. Württembergische Quellen zur Kriminalitätsgeschichte 1416-1583 (= Der Enzkreis. Schriften des Kreisarchivs; 7), Heidelberg / Ubstadt-Weiher / Basel: verlag regionalkultur 2003, 248 S., 35 Abb., ISBN 978-3-9806682-6-2, EUR 25,00
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Rezension von:
Jörn Sieglerschmidt
Universität Mannheim
Redaktionelle Betreuung:
Christine Roll
Empfohlene Zitierweise:
Jörn Sieglerschmidt: Rezension von: Christine Bührlen-Grabinger (Bearb.): Urfehden für den Raum Pforzheim. Württembergische Quellen zur Kriminalitätsgeschichte 1416-1583, Heidelberg / Ubstadt-Weiher / Basel: verlag regionalkultur 2003, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 5 [15.05.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/05/6336.html


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Christine Bührlen-Grabinger (Bearb.): Urfehden für den Raum Pforzheim

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Urfehden sind lange Zeit lediglich als landes- und ortsgeschichtliche Quelle genutzt worden. Erst seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts im Zuge der sozialhistorisch ausgerichteten Kriminalitätsforschung werden Urfehden stärker beachtet und systematisch ausgewertet. Dafür stehen u. a. die Arbeiten von Andreas Blauert, die im Literaturverzeichnis des Bandes aufgeführt sind. [1] Dass die Herausgeber allerdings keine anspruchsvolle wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Aspekten der Forschung anstreben, zeigt die Literaturliste, in der eine Reihe von Arbeiten fehlen, die einen solchen Anspruch hätten rechtfertigen können. Es sollten also keine falschen Erwartungen an diese Arbeit gestellt werden, bei der es sich um eine solide gearbeitete und in einer ersten, einleitenden Interpretation zugänglich gemachte Quellenedition handelt, die durch zuverlässige Register sehr gut erschlossen wird. Sie steht damit in einer Reihe weiterer, teilweise von denselben Herausgebern verantworteten Quelleneditionen.

Die Herausgeber Christine Bührlen-Grabinger und Konstantin Huber gehen im erwähnten einleitenden Teil zunächst auf die für den Raum Pforzheim relevante territoriale Entwicklung der Markgrafschaft Baden und des Herzogtums Württemberg ein. Es folgt eine Skizze der Entwicklung der Urfehde im Strafrechtssystem des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, wobei im Anschluss an Otto Brunner und Christine Reinle die Urfehde als Verfahren des Täter-Opfer-Ausgleichs im Rahmen fehderechtlicher Bestimmungen definiert wird. [2] Die Urfehde verliert bis zum 17. Jahrhundert sehr schnell an Bedeutung, da die aufkommenden Territorialstaaten diese Form des rechtlichen Ausgleichs durch eine effektiver werdende Strafjustiz ersetzen. Nach dem Dreißigjährigen Krieg versiegt die archivalische Überlieferung und zeigt den Bedeutungsverlust dieses vom Ursprung her außergerichtlichen Einigungsverfahrens durch die Durchsetzung obrigkeitlicher Gerichtsorganisation und Strafansprüche.

Die Deliktgruppen decken im Wesentlichen das ab, was zeitgenössische Policeyordnungen einschließlich der Peinlichen Halsgerichtsordnung von 1532 als strafwürdig angesehen haben. Die Unterscheidung von sog. Hoheitsverbrechen (Widerstand gegen die Obrigkeit) und anderen, insbesondere Religionsdelikten ist schwierig, da diese Delikte den im engeren Sinne politischen gleichstanden. Die weltlichen Obrigkeiten hatten hier Aufgaben übernommen, die zuvor den kirchlichen Gerichten zukamen. Selbst Holz- und Wildfrevel müssen u. a. im Zusammenhang mit der Durchsetzung obrigkeitlicher Rechte über die zunehmend arrondierten Territorien gesehen werden. Ein Großteil der 24 Delikte stand unter den Sanktionen des Dekalogs. In den jeweiligen Deliktgruppen werden anschließend Einzelfälle dargestellt. Dabei fällt z. B. auf, dass die Religionsdelikte bis auf eine Ausnahme in die Zeit der Konfessionalisierung nach der Reformation fallen. Landesflucht, ein häufiger auftretendes Delikt, stand ebenfalls im Zusammenhang mit der Reformation, aber auch dem Bauernkrieg. Bei diesem und der Verdingung in fremde Kriegsdienste wurden Frauen und Kinder zurückgelassen, ein Grund, keine hohen Strafen auszusprechen, da die Zurückgebliebenen drohten, der Sozialfürsorge zur Last zu fallen. Insgesamt erscheint die Friedenswahrung als Hauptanliegen dieser Urfehden.

Es stellen sich weitergehende Fragen, die weder das Material noch die Einleitung beantworten: die Frage nach der Realisierung der Strafen, denn nicht nur die Höhe der Geldbußen (in einem Fall 1000 fl) erweckt Misstrauen, sondern in einem Fall werden schließlich sämtliche Strafen erlassen gegen Zahlung der Gefängniskosten, obwohl mehrfacher Urfehdebruch vorlag (268, 270, 272). Schließlich wäre in einer eher landesgeschichtlich ausgerichteten Arbeit die Frage nach der sozialen Situierung der Personen zu stellen. Die Herausgeber wollten diese Frage nicht beantworten, liefern aber grundlegende Quellen, um solche Forschungen anzuregen. Die landesgeschichtliche Auslegung der Edition lässt aber vermuten, dass sie als Hilfsmittel eher von der genealogischen Forschung genutzt werden wird.


Anmerkungen:

[1] Vgl. vor allem Andreas Blauert: Das Urfehdewesen im deutschen Südwesten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit (= Frühneuzeit-Forschungen; 7), Tübingen 2000.

[2] Christine Reinle: Bauernfehden. Studien zur Fehdeführung Nichtadliger im spätmittelalterlichen römisch-deutschen Reich, besonders in den bayerischen Herzogtümern (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte; Beiheft 170), Wiesbaden 2003. Rezensionen: ; .

Jörn Sieglerschmidt