Rezension über:

Wolfgang Kühnelt: Berühmte Dynastien. Geschichte und Geschichten großer österreichischer Familien, Wien: Holzhausen-Verlag 2005, 184 S., ISBN 978-3-85493-108-9, EUR 19,90
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Rezension von:
Susanne Hilger
Abteilung Wirtschaftsgeschichte, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Hilger: Rezension von: Wolfgang Kühnelt: Berühmte Dynastien. Geschichte und Geschichten großer österreichischer Familien, Wien: Holzhausen-Verlag 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10 [15.10.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/10/10928.html


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Wolfgang Kühnelt: Berühmte Dynastien

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Familienunternehmen haben bis heute nicht an Faszination eingebüßt. Dies lässt zumindest die Flut populärer Management-Literatur ahnen, die den Aufstieg und Niedergang derselben thematisiert. Und auch mit Stiftungen und Interessenvereinigungen stellen Familienfirmen, oft genug für tot erklärt, ihre Vitalität unter Beweis. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive besitzt die Geschichte von Unternehmerdynastien seit vielen Jahrzehnten Konjunktur, wenn man etwa an die älteren Studien von Wolfgang von Stromer zu den oberdeutschen Handelshäusern denkt [1] oder an die Beiträge aus der internationalen Forschung, etwa von Andrea Colli, Hervé Joly oder jüngst Harold James. [2]

Gerade im Zusammenhang mit theoretischen Überlegungen, etwa was den Unternehmenserfolg von Familiengesellschaften anbelangt oder ihr Beharrungsvermögen, Krisenfestigkeit oder ihre Innovationsfähigkeit und Internationalisierungsstrategien, können Fallbeispiele eine Vielzahl an Erklärungsansätzen für die Überlebensfähigkeit von Unternehmen liefern. Ebenso können sie Anhaltspunkte dafür geben, warum gerade in Familienhand befindliche Unternehmen alt werden. Die Unternehmensgeschichte verfügt mit der 'Harvard Case Study Method' seit langem über ein methodisches Instrumentarium, das derartige Erkenntnisse systematisch erschließen hilft. Ausgehend von dieser Grundlage hat Alfred D. Chandler mit seinen Studien Generationen von Unternehmenshistorikern den Weg gewiesen. [3] Und auch über den Terminus "Familienunternehmen" lässt sich, das haben jüngst auch wieder einige Sektionen des International Economic History Congress 2006 unter Beweis gestellt, immer noch trefflich streiten.

Ein ansehnliches Erkenntnispotenzial also, das die Beschäftigung mit der Unternehmensgeschichte zutage fördern kann. Eine Aktivierung dessen gelingt dem Grazer Publizisten Wolfgang Kühnelt leider nicht einmal ansatzweise, wenn er die Geschichte, die Anekdoten, Legenden und Mythen um österreichische Familienunternehmen publikumswirksam aufzubereiten versucht. Unter Verzicht auf eine tiefer gehende Einbeziehung und Auswertung von unternehmerischen Quellen ("Firmenunterlagen") handelt es sich hier lediglich um eine episodenhafte Zusammenstellung der Geschichte bedeutender österreichischer Familienfirmen, die im Wesentlichen auf Presserecherchen und Interviews mit Unternehmensrepräsentanten beruht.

Sicher lag mehr auch gar nicht in Kühnelts Intention, denn mit viel Gespür für das breite Publikumsinteresse hat der Autor 19 Beispiele von weltweit bekannten österreichischen Familienfirmen (die sich mindestens zwei Generationen in Familienhand befinden müssen oder mussten) beziehungsweise ihrer Marken in Szene gesetzt, darunter Riedel-Glas, Manner-Schnitten, Meinl-Kaffee, Almdudler-Limonade, PEZ-Süsswaren, Swarowski-Bergkristall oder Palmer Textil. Der Schreibstil ist locker, der Band reich bebildert und die Abfolge der einzelnen Kapitel z.T. mit Auszügen aus Interviews aufgelockert, eine Aufmachung, wie sie aus den Printmedien wie "Wirtschaftswoche" und "Manager-Magazin" hinlänglich bekannt ist.

Einem wissenschaftlichen Maßstab kann (und will) der Band nicht genügen. Dies ist aus Sicht der Unternehmensgeschichtsforschung bedauerlich, denn die angeführten Unternehmen gründeten häufig auf interessanten grenzüberschreitenden Beziehungen, etwa in den böhmischen Raum (wie Riedel, Swarowski, Mautner-Markhof), betätigen sich "Branchen" übergreifend (so etwa der Bauunternehmer Essl, "bauMax", als Kultursponsor) und ihre bisweilen mehr als 100jährige Geschichte liest sich längst nicht immer nur als reine Erfolgsstory. Allerdings bleiben derartige Details an der Oberfläche, werden methodisch kaum hinterfragt oder gar in Vergleich gesetzt.

Ebenso gerät Kühnelts Anspruch, "lebendige österreichische Wirtschaftsgeschichte" vermitteln zu wollen, zur Farce, da die einzelnen Beispiele unvermittelt nebeneinander gestellt werden und von einer übergeordneten makroökonomischen Entwicklung oder einer sich verändernden Wettbewerbslandschaft im Rahmen der Globalisierung gar keine Rede sein kann. Die Auseinandersetzung mit Unternehmensstrategien, Innovationen in Technik (List) oder Vertrieb (Hartlauer, Palmers), Nischenorientierung oder die Errichtung von Markenimperien (Meinl) und ihrer geographischen Expansion, bleibt auf das Einzelbeispiel beschränkt. Fragen der Finanzgeschichte, ohnehin ein sensibles Terrain der Recherche, werden höchstens gestreift (80). Eine vergleichende einzelwirtschaftliche Einordnung, etwa auch mit Beispielen aus der bundesdeutschen Unternehmensgeschichte (Hartlauer-SATURN), wird dem Leser vorenthalten. Und bedauernswert knapp fallen auch die Ausführungen über die Veränderungen nach 1938 aus, wie etwa die Arisierung der Wiener Zuckerwarenfirma Heller (107) und die Verwicklungen der ebenfalls vorgestellten "Großfamilie Porsche-Piech" mit dem NS-Regime (145 ff.), im Buch abgehandelt unter der befremdlichen, auch etwas bemüht witzigen Überschrift "Die Beetles".

Doch nicht nur die inhaltlichen Ausführungen, sondern auch die betont saloppe sprachliche Ausgestaltung der einzelnen Beiträge, die aus Gründen der Lesbarkeit nie mehr als 10 bis 15 Seiten umfassen (zum Teil sogar weitaus knapper sind) und auf einen Fußnotenapparat verzichten, deuten auf die vorrangige Intention hin, die Leserschaft nicht durch zuviel Komplexität zu verprellen. Sicherlich entspricht es dem kommunikativen 'Zeitgeist', auf wenig Gewichtiges und leicht Verdauliches zu setzen. Was dabei heraus kommt, ist keine geschichtswissenschaftliche Betrachtung, aber "Erbauungslektüre" für aufstrebende Jung-Manager hat auch einen Markt.


Anmerkungen:

[1] Wolfgang Stromer von Reichenbach: Oberdeutsche Hochfinanz 1350-1450, 3 Bde. (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte; Beihefte, 55-57), Wiesbaden 1970.

[2] Andrea Colli: The History of Family Business, 1850-2000 (New Studies in Economic and Social History; 47), Cambridge / MA 2003. Hervé Joly: "Ende des Familienkapitalismus"? Das Überleben der Unternehmerfamilien in der deutschen Wirtschaftselite des 20. Jahrhunderts, in: Die Deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert: Kontinuität und Mentalität, hg. von Volker R. Berghahn, Essen 2003, S. 75-91. Harold James: Familienunternehmen in Deutschland, Haniel, Wendel und Falck, München 2005.

[3] Alfred Dupont Chandler: Strategy and Structure. Chapters in the History of the Industrial Enterprise, 4. Aufl., Cambridge (MA) 1973.

Susanne Hilger