Rezension über:

Paul Janssens / Bartolomé Yun Casalilla (eds.): European Aristocracies and Colonial Elites. Patrimonial Management Strategies and Economic Development, 15th-18th Centuries, Aldershot: Ashgate 2005, ix + 282 S., ISBN 978-0-7546-5459-9, GBP 50,00
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Rezension von:
Mark Häberlein
Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Mark Häberlein: Rezension von: Paul Janssens / Bartolomé Yun Casalilla (eds.): European Aristocracies and Colonial Elites. Patrimonial Management Strategies and Economic Development, 15th-18th Centuries, Aldershot: Ashgate 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 12 [15.12.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/12/8652.html


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Paul Janssens / Bartolomé Yun Casalilla (eds.): European Aristocracies and Colonial Elites

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Dieser Sammelband, der auf eine Sektion des internationalen wirtschaftshistorischen Kongresses in Madrid 1998 zurückgeht, befasst sich mit der ökonomischen Rolle landbesitzender Eliten in der Frühen Neuzeit. Wie die Herausgeber einleitend betonen, hat die historische Forschung im europäischen Feudaladel lange Zeit ein retardierendes Element der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung gesehen. Lediglich im Fall der englischen Landwirtschaft wurde dem Adel im Allgemeinen ein positiver Einfluss zugestanden. Dreizehn Fallstudien zu einzelnen Ländern, Regionen und Kolonien - allesamt von ausgewiesenen Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet verfasst - gehen der Frage nach, inwieweit dieses tradierte Bild im Lichte neuerer Forschungsansätze korrigiert werden muss. Die Herausgeber haben die Beiträge in vier geographische Gruppen eingeteilt: Nordwesteuropa (England, Frankreich, Belgien), Südeuropa (Kastilien, Portugal, Neapel), Mittel- und Osteuropa (Brandenburg-Preußen, Österreich, Polen, Russland) und Amerika (Chesapeake-Bucht, Peru, Brasilien).

Allgemeine Aussagen über die ökonomische Rolle landbesitzender Eliten werden zunächst durch den Umstand erschwert, dass die Autoren in ihrem jeweiligen Kontext ganz unterschiedliche Gruppen betrachten. Einige Beiträge konzentrieren sich auf den Hochadel (Jean Duma über Frankreich, Nuno Gonçalo Monteiro über Portugal), andere beziehen den Landadel bzw. das städtische Patriziat mit ein (William W. Hagen über Brandenburg-Preußen, Karel Degryse und Paul Janssens über Belgien). Unterschiedliche Rechtsverhältnisse, Besitzstrukturen und Vererbungspraktiken sowie die von Fall zu Fall sehr verschiedene Bereitschaft der Krone zur Nobilitierung reicher Aufsteigerfamilien erschweren den Vergleich zusätzlich. Koloniale Eliten wie die von Lorena S. Walsh vorgestellten großen Tabakpflanzer in den Chesapeake-Kolonien Maryland und Virginia wären nach englischen Maßstäben allenfalls dem niederen Landadel zuzurechnen. Bei der von Juan F. Marchena porträtierten peruanischen Aristokratie handelte es sich um im späten 18. Jahrhundert nobilitierte Großkaufleute; für die mächtigen brasilianischen Plantagenbesitzer hingegen, die Stuart B. Schwartz vorstellt, war "Adel" primär eine Lebensform (234).

Während im Fall der amerikanischen Kolonien eine ökonomische Führungsrolle der landbesitzenden Eliten unbestreitbar ist, zeichnen die meisten Beiträge, die sich mit dem europäischen Adel befassen, ein skeptisches Bild. Robert C. Allen resümiert die aus seinem Buch Enclosure and the Yeoman (1992) bekannte und in der Forschung durchaus umstrittene These, dass nicht der Adel, sondern in erster Linie die Bauern für die Intensivierung der englischen Landwirtschaft im 16. und 17. Jahrhundert verantwortlich gewesen seien. Als die Adeligen ihre Ländereien im 18. Jahrhundert arrondierten, profitierten sie von den Produktivitätsfortschritten, die die Bauern erzielt hatten. Der französische Adel investierte zwar in ökonomische Sektoren wie Bergbau, Metallherstellung, Überseehandel und Staatsfinanzen und legte auf eine geordnete Betriebsführung seiner Landgüter wert, doch ging es ihm Jean Duma zufolge in erster Linie um die Sicherung seiner sozialen Führungsposition und die Finanzierung seines Lebensstandards. Nuno Gonçalo Monteiro konstatiert für den portugiesischen Adel im 17. und 18. Jahrhundert eine wachsende Abhängigkeit vom Hof und eine abnehmende Bedeutung "rationaler" Formen des Wirtschaftens (111 f.), Giovanni Muto stellt im Falle des neapolitanischen Adels eine Versteinerung aristokratischen Reichtums fest (129).

Auch die übrigen Beiträge liefern allenfalls vereinzelte Hinweise darauf, dass aristokratische Eliten an Profitmaximierung, längerfristiger Entwicklung und technologischer Innovation interessiert gewesen wären. Als Träger landwirtschaftlichen Fortschritts erscheinen lediglich die Junker in Brandenburg-Preußen, denen William W. Hagen den Aufbau von "profit-driven and profit-making enterprises" (140) seit dem 16. Jahrhundert bescheinigt. Das starke Wachstum der preußischen Agrarproduktion ist nach Hagen in erster Linie auf die Rationalisierung der Betriebsführung auf den großen Gutshöfen, die mit einer effektiven Abschöpfung bäuerlicher Fronarbeit korrespondierte, zurückzuführen. Jerzy Topolski hingegen sieht gerade in der Fronarbeit den wesentlichen Grund für die abnehmende Produktivität der Gutswirtschaften in Polen zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert (175-177).

Insgesamt bestätigt der Band das Bild des europäischen Adels als einer Gesellschaftsschicht, die durch ihre Ressourcen und ihren Lebensstil die frühneuzeitliche Wirtschaft stark prägte, aber nur in begrenztem Umfang zu deren Entwicklung beitrug. Die Mehrzahl der Beiträge bleibt einem strukturgeschichtlichen Ansatz verpflichtet, der konkrete ökonomische Strategien und Praktiken nur punktuell erfasst. Da der Forschungsstand zu den untersuchten Ländern und Regionen überdies sehr disparat ist und große Teile Europas - Skandinavien, die nördlichen Niederlande, Süd- und Mitteldeutschland, Böhmen, Ungarn, Norditalien - ausgespart bleiben, vermag der Band allenfalls Bausteine zu einer Wirtschaftsgeschichte des Adels in der Frühen Neuzeit zu liefern. So gelangt auch Patrick Karl O'Brien in seinem abschließenden Kommentar zu einem eher kritischen Urteil: "[T]he essays reveal how much more research, measurement and analysis needs to be undertaken before historians [...] can begin to evaluate any distinctive restraints (or even positive contributions) that the protracted survival of an aristocratic hold on property and political rights made to variations in national rates of growth and transitions to industrial market economies across Europe." (253)

Mark Häberlein