Rezension über:

Etin Anwar: Gender and Self in Islam, London / New York: Routledge 2005, X + 194 S., ISBN 978-0-415-70103-7, GBP 65,00
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Rezension von:
Thomas Eich
Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Eich: Rezension von: Etin Anwar: Gender and Self in Islam, London / New York: Routledge 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 3 [15.03.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/03/10731.html


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Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 7 (2007), Nr. 3

Etin Anwar: Gender and Self in Islam

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In ihrem Buch stellt Etin Anwar die Wurzeln eines hierarchisierten Geschlechterdenkens und dessen Auswirkungen auf Muster sozialer Ordnung und Lebensgestaltung in muslimischen Gemeinschaften dar. Mit ihrer Kernthese, dass die Botschaft des Koran hinsichtlich der Geschlechterverhältnisse egalitär, jedoch durch männlich dominierte Exegesetraditionen entstellt worden sei, reiht sie sich in den von Fatima Mernissi begründeten und heutzutage dominierten Strang des islamischen Feminismus ein. In den einzelnen Kapiteln ihres Buches kritisiert sie dann nacheinander verschiedene grundlegende Konzepte, die sich im Zuge von 1400 Jahren Koranexegese etabliert haben und zusammen eine Weltsicht ergeben, in der ein patriarchalisches, hierarchisiertes Geschlechterdenken Ausdruck einer naturgemäßen und gottgewollten Ordnung ist.

Als besonders prominente Beispiele prägen sich hier die Diskussion um die Geschichte der Erschaffung von Mann und Frau, Konzeptionstheorien und die Geschichte von Joseph und Zulaykha ein. So wurde etwa erst im Zuge der Auslegung der Koranstellen, die die Erschaffung von Adam und Eva darstellen, das Element der Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes nachträglich von den Kommentatoren eingebracht, um die Interpretation einer naturgegebenen Nachrangigkeit der Frau zu stützen. Ähnlich habe das Konzept eines dominierenden bis allein ausschlaggebenden Zeugungsbeitrags des Mannes bei der Entstehung neuen Lebens im Zuge der Rezeption aristotelischen Gedankenguts in der islamischen Wissenschaftsliteratur weite Verbreitung gefunden, wobei koranische, egalitäre Konzeptionsmodelle an den Rand gedrängt worden seien. Ebenso habe sich eine Interpretation der Geschichte von Zulaykha und Joseph (während dessen Aufenthalts in Ägypten) durchgesetzt, in der Zulaykha die alleinige Handelnde sei, Joseph vielmehr das keusche, wehrlose Opfer sexueller Verführung - auch dies unter Ausgrenzung von Stellen und Lesarten, die eine andere Interpretation zulassen.

Etin Anwar entwickelt ihr alternatives Modell vor allem aus Koran 4:1, wo es in der englischen Übersetzung heißt: "O mankind! Be conscious of your Sustainer, who has created you out of one living entity, and out of it created its mate [...]" (z.B. 65). Hier sei ein geschlechteregalitäres Modell Grund gelegt, das gegenüber anderen Stellen zu überwiegen habe, in denen eine Hierarchisierung von Geschlechterverhältnissen vorgenommen werde, da es sich bei diesen um zeit-, personen- oder gruppengebundene Anordnungen handele.

Die Kritik Anwars an überkommenen Auslegungstraditionen ist oft genug überzeugend, ihre alternativen Deutungen sind inspirierend, manchmal überzeugend, in jedem Fall aber sympathisch, wenn auch nicht immer originell - über weite Passagen paraphrasiert sie doch letztendlich nur Arbeiten anderer Feministinnen wie Mernissi oder Wadud-Muhsin aus den 1980er und 90er Jahren. Das Buch bietet damit aber einen vorzüglichen Überblick über den state of the art des englisch-sprachigen islamischen Feminismus und ist hiermit auch vornehmlich als ein engagierter, belesener und kluger Beitrag in den Debatten unter nordamerikanischen Muslimen über einen zeitgemäßen Islam zu lesen, weniger als eine akribische Analyse islamischer Exegese- und Philosophie-Geschichte, weswegen eine Kritik an kleinteiligen Ungereimtheiten oder Unsauberkeiten - wie etwa dem Abschnitt über die Konzeptionstheorien - zweifellos völlig ins Leere gehen würde.

Zwei Aspekte erscheinen jedoch kritikwürdig, weil sie struktureller Natur sind. So fasst Anwar ihre Kritik an der bislang stark von Männern dominierten Geschichte der Koranexegese in die Worte: "The Qur'ânic text offers its meaning to readers, but those readers are prisoners of their personal experience and mindset [...]" (25). Dass die gleiche Einschränkung natürlich auch auf moderne, feministische Koraninterpretationen anzuwenden ist, wird jedoch an keiner Stelle methodisch reflektiert - ein Phänomen, das gleichfalls repräsentativ für viele islamische Feministinnen ist. Zweitens führt das erklärte Ziel Anwars, eine geschlechteregalitäre Koraninterpretation vorzulegen, manchmal zu methodischen Inkonsequenzen. So kritisiert sie, dass viele geschlechterhierarchisierende Tendenzen der Koranexegese durch Verweise auf die gesammelten Aussprüche und Handlungen des Propheten Muhammad (hadith und sunna) entstanden seien (27). Demnach zielen Anwars Interpretationen immer wieder darauf ab, den Koran direkt zu interpretieren. Bei der Diskussion von Koran 4:34, wo für Ungehorsam der Frau unter gewissen Umständen auch physische Gewalt als mögliche Sanktionsmaßnahme genannt wird, bricht Anwar dann aber mit ihrer bisherigen Methode und versucht nun, die Stelle mit Verweis auf die sunna des Propheten umzuinterpretieren (126).

Leider lässt sich an Anwars Buch eine weitere generelle Tendenz (nicht nur) im englischsprachigen akademischen Publikationsbetrieb festmachen: das Manuskript wurde vom Verlag entweder gar nicht oder völlig inkompetent lektoriert. Dies ist umso unverzeihlicher, als bei Routledge als Teil der Taylor & Francis Group keineswegs davon die Rede sein kann, es handle sich um einen kleineren Verlag, dem es schlicht an den nötigen Ressourcen mangele. Mit Blick auf den Listenpreis des Buches drängt sich die Frage auf, ob die Publikationspraxis von Wissenschaftsverlagen in Sachen Qualitätssicherung nicht inzwischen eine berufsethische Schallmauer durchschlagen hat. Insbesondere weil im Zuge auch der akademischen Globalisierung immer mehr Nicht-Muttersprachler z.B. auf Englisch oder auch Deutsch ihre wissenschaftlichen Arbeiten publizieren (müssen), haben die Verlage die Verpflichtung, Qualität zu sichern - wofür dann nachher saftige Preise zu verlangen auch mehr als legitim erscheinen würde.

Das eklatanteste Beispiel dafür, dass dem nicht immer so ist, findet sich bei Anwar auf 91, wo in zwei direkt aufeinander folgenden Sätzen einander diametral entgegen gesetzte Aussagen aufeinander prallen: "Islamic law [...] rules out the possibility for abortion if pregnancy endangers the mother's life. The abortion could take place in the first four months or 120 days of pregnancy." Die Aussage des ersten Satzes ist falsch. Der folgende Satz zeigt aber, dass Anwar keineswegs uninformiert ist, sondern einfach fälschlicherweise den terminus "rules out" statt "rules that" verwendet. Dies - neben vielen anderen kleinen Fehlern und Fehlerchen - übersehen zu haben, wäre massiv einem Lektorat anzulasten - gesetzt den Fall, dass es erfolgt ist.

Thomas Eich