Rezension über:

Christian Saehrendt: "Die Brücke" zwischen Staatskunst und Verfemung. Expressionistische Kunst als Politikum in der Weimarer Republik, im "Dritten Reich" und im Kalten Krieg (= Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; Bd. 13), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, 124 S., 12 Abb., ISBN 978-3-515-08614-1, EUR 28,00
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Rezension von:
Andreas Hüneke
Forschungsstelle "Entartete Kunst", Berlin / Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Olaf Peters
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Hüneke: Rezension von: Christian Saehrendt: "Die Brücke" zwischen Staatskunst und Verfemung. Expressionistische Kunst als Politikum in der Weimarer Republik, im "Dritten Reich" und im Kalten Krieg, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 6 [15.06.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/06/10074.html


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Christian Saehrendt: "Die Brücke" zwischen Staatskunst und Verfemung

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Zu den wenigen von Ausstellungen unabhängigen Publikationen zum 100. Jahrestag der Gründung der Künstlergruppe "Brücke" gehört Christian Saehrendts Buch über die Rezeption der Kunst ihrer wichtigsten Mitglieder während dreier Zeiträume unter vier verschiedenen Staatsformen. Zu Recht stellt er dabei das Verständnis des Brücke-Expressionismus als spezifisch deutsche Kunst in den Mittelpunkt, das seine Rolle "zwischen Staatskunst und Verfemung" bestimmt und ihn fast das ganze 20. Jahrhundert über zum "Politikum" hat werden lassen. Das erste Kapitel (7-17) befasst sich dementsprechend mit der Herausbildung der Vorstellung von einem konstanten Nationalcharakter der Kunst bei allen zeitgebundenen stilistischen Wandlungen (der Begriff "zeitkonstant", den Saehrendt verwendet, ist zumindest eigenartig). Dabei spielt für den Expressionismus die Berufung auf die Gotik eine herausragende Rolle. In den folgenden drei Kapiteln wird dargestellt, ob und wie sich dieses Verständnis wandelte und welche Folgen es in der Weimarer Republik (II. Kapitel, 18-44), im "Dritten Reich" (III. Kapitel, 45-80) und während des Kalten Krieges in den westlichen Besatzungszonen und der Bundesrepublik einerseits sowie in der SBZ und der DDR andererseits (IV. Kapitel, 81-114) zeitigte. In jedem Kapitel werden Emil Nolde, Max Pechstein, Karl Schmidt-Rottluff, Otto Mueller, Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner mit ihren Ausstellungen und den Veröffentlichungen über sie einzeln behandelt, und diesen Abschnitten sind allgemeine Betrachtungen je nach Problematik und Situation voran oder/und nachgestellt.

In den Zwanzigerjahren kontrastierte der Erfolg der Brücke-Maler, die in alle wichtigen Sammlungen Eingang fanden, mit dem Satz vom Tod des Expressionismus, der kurz nach dem Ersten Weltkrieg aufkam, und den Angriffen aus völkischen Kreisen, die sich um 1930 verstärkten. Im "Dritten Reich" spannt sich die Rezeption zwischen die Verteidigung des Expressionismus als "deutsche" und "nordische" Kunst 1933 und die Aktion "Entartete Kunst" 1937. Nach 1945 wurde die Brücke-Kunst zunächst deutschlandweit wieder gezeigt. Bald aber galten die Künstler im Westen als "Symbolfiguren westlicher Freiheit", im Osten dagegen als Vertreter der "Dekadenz" und des "Formalismus". Bis 1990 wandelte sich diese Auffassung zu einer Anerkennung der Brücke als "klassisches Erbe". Das Buch endet mit einem Blick auf Stand und Aufgaben der Brücke-Forschung in der Gegenwart. Ob allerdings von dem Satz "Es wird eine wichtige Aufgabe der Forschung bleiben, die populärwissenschaftliche, werkimmanente Kurzsichtigkeit zu überwinden und den hermetischen Bezug von Werk und Biografie der Brücke-Künstler aufzubrechen" (113), Impulse ausgehen werden, ist zu bezweifeln. Ich jedenfalls habe vergeblich versucht herauszubekommen, was damit gemeint ist.

Saehrendts Buch ist eine Überblicksdarstellung mit allen daraus resultierenden Vor- und Nachteilen. Es ist ein schmaler, gut überschaubarer Band, der die Grundproblematik deutlich macht. Andererseits wünscht man sich an vielen Stellen ein tieferes Eindringen, und in einigen Fällen führt die Kürze zu Verzerrungen, wie bei der Darstellung der Ziele der Museumsreform, die sich nicht gegen die "ehrfurchtsvolle kontemplative Betrachtung" richtete (14), oder in Bezug auf die Ausstellung "Neuere deutsche Kunst" 1932 in Oslo, die Ludwig Thormaehlen "inoffiziell unter völkischen Gesichtspunkten" organisiert habe (41). Solche spielten sicher mit, aber vornehmlich ging es um eine Präsentation deutscher nachimpressionistischer Kunst.

Problematisch ist auch ein gelegentlich durchbrechendes simples Kausaldenken: Die Künstler wurden abgelehnt, deshalb beriefen sie sich auf eine "Ahnenreihe anerkannter nationaler Größen" (8) und nutzten "nationale Phrasen und Argumente" (9). Vielleicht wurden sie aber trotz dieser ihrer Vorstellungen abgelehnt. Schnell bei der Hand ist Saehrendt auch mit dem Vorwurf des Klischees und des "kanonischen" Charakters bestimmter Anschauungen. Überlegungen, wie weit die immer wieder ähnliche "Charakteristik der verschiedenen Malertemperamente der Brücke" (23) einfach eine gewisse Berechtigung hat, oder Argumente, die dies bestreiten, sind jedoch nicht zu finden. Dagegen verfällt Saehrendt selbst dem Klischee, wenn er Kirchner als den "Inspirator der Brücke" bezeichnet (25). Die Forschung hat längst festgestellt, dass Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff sich als Impulsgeber abwechselten. Sicher liegt der Forschungsschwerpunkt heute einseitig bei Kirchner, was nicht nur eine Folge seiner zahlreichen theoretischen Äußerungen, sondern auch dem Umstand zu verdanken ist, dass sein Werk im Gegensatz zu dem der anderen Brücke-Maler fast vollständig erhalten ist. Für die Forschung liegt die Aufgabe gerade darin, das Defizit bei Heckel, Schmidt-Rottluff, Mueller und Pechstein wenigstens teilweise auszugleichen. Saehrendt scheint deren Abwertung gegenüber Kirchner zuzustimmen (114). Sein größtes Verdienst besteht aber gerade in der Auflösung eines ähnlichen Defizits, indem er das Archiv des Deutschen Museumsbundes zurate zog, das bisher von der Forschung - offensichtlich zu Unrecht - vernachlässigt wurde.

Andreas Hüneke