Rezension über:

Christina Bussfeld: "Democracy versus Dictatorship". Die Herausforderung des Faschismus und Kommunismus in Großbritannien 1932-1937 (= Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2001, 336 S., ISBN 978-3-506-77517-7, EUR 51,60
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Magnus Brechtken
University of Nottingham
Empfohlene Zitierweise:
Magnus Brechtken: Rezension von: Christina Bussfeld: "Democracy versus Dictatorship". Die Herausforderung des Faschismus und Kommunismus in Großbritannien 1932-1937, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2001, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/10/3877.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Christina Bussfeld: "Democracy versus Dictatorship"

Textgröße: A A A

Das politische System Großbritanniens blieb nach dem Ersten Weltkrieg, anders als in weiten Teilen Europas, wo von 25 Demokratien des Jahres 1919 im Jahr 1938 nur noch elf existierten, bemerkenswert stabil gegenüber den Versuchungen faschistisch-totalitärer Organisationen. Allerdings gehörten auch auf der Insel extreme politische Bewegungen auf der Linken wie auf der Rechten zur dauerhaften Zeiterscheinung der Zwanziger- und Dreißigerjahre. Unter den zahlreichen rechten Splittergruppen gewann die von Oswald Mosley geführte British Union of Fascists (BUF) die größte Prominenz und Anhängerschaft. Auf dem linken Ende des Spektrums fand sich spiegelbildlich die Communist Party of Great Britain (CPGB). Beide Bewegungen konnten in der Zwischenkriegszeit für einige Zeit eine große Anhängerschaft mobilisieren. Gleichwohl erreichten sie zu keinem Zeitpunkt jene kritische Masse, die sie ernsthaft in die Nähe der politischen Macht brachte. Wo liegen - jenseits des immer wieder als Stabilitätsfaktor angeführten Mehrheitswahlrechts, das ein Zwei- bis Dreiparteiensystem mit Tendenz zur politischen Mitte fördert - die mentalen und kulturellen Gründe für die britische Immunität gegen alle Versuche, auch auf der Insel einen autokratischen Führerstaat, sei es nach italienisch-deutschem, sei es nach sowjetrussischem Vorbild als Lösung der politischen Krisen in Wirtschaft, Gesellschaft und Empire zu favorisieren?

Dieser immer wieder aufgeworfenen, in der Doppelperspektive nach links und rechts aber bislang nicht systematisch analysierten Frage widmet sich Christina Bussfeld in ihrem Buch, das auf einer Bonner Dissertation bei Klaus Hildebrand basiert. Bussfeld will vor allem zeigen, "wie sich die Existenz der englischen kommunistischen und faschistischen Gruppierungen auf die Politik der großen demokratischen Parteien auswirkte" (20). Sie tut dies in einer vorbildlich systematisch-stringenten Weise. Bussfeld gliedert ihre Analyse in vier etwa gleichgewichtige Blöcke. Sie charakterisiert zunächst die spezifischen Hintergründe der politischen Linken und Rechten in England. Ausgehend von der jeweiligen Tradition porträtiert sie die CPGB und die Labour Party auf der einen Seite, BUF und Conservative Party auf der anderen. Vor diesem Hintergrund analysiert sie im zweiten Teil die Reaktionen auf den Kommunismus in Großbritannien. Deutlich wird, wie die im Jahr 1928 von Moskau vorgegebene Linie "Klasse gegen Klasse" die Glaubwürdigkeit der kommunistischen Gewerkschaftsbewegung in Großbritannien unterminierte. Sie hatte zugleich "verheerende Auswirkungen für die CPGB, da potenzielle Sympathisanten am linken Rand der Labour Party vor die Entscheidung gestellt wurden, ob sie in die CPGB eintreten oder ihre Loyalität zur Labour Party aufrechterhalten sollten. Angesichts der verschärften Propaganda der Kommunisten gegen die Labour Party entschieden sich daraufhin viele für den Verbleib bei Labour." (47) Ein Schwerpunkt liegt naturgemäß auf den Diskussionen und Reaktionen in jenem Mischfeld, in dem sich Labour-Linke und Kommunisten kaum mehr unterscheiden ließen. Angesichts solcher Überschneidungen und Unschärfen konnte die Conservative Party aus der propagandistisch effektvollen Gleichsetzung von Communist und Labour Party regelmäßig strategischen Nutzen ziehen. Als Argumentationsschlüssel diente den Konservativen der angeblich "unenglische" Charakter von Kommunismus und Labour-Sozialismus, aber auch - wie in späteren Kapiteln über den allgemeinen Kampf gegen die Extremismen deutlich wird - des Faschismus.

Die Reaktionen beider großer Parteien auf die faschistische Herausforderung werden in einem dritten großen Teil analysiert. Der National Council of Labour führte eine hartnäckige Kampagne gegen die BUF, nicht zuletzt, weil man fürchtete, Mosleys Programm könne auch für die britische Arbeiterschicht attraktiv wirken. Zugleich warnte man sich immer wieder selbst vor Überreaktionen. Einerseits wollte man der BUF nicht unnötige Prominenz verschaffen, andererseits vertraute man auf die Grundvernunft des britischen Wahlvolkes. Hier trafen sich die zur Mitte tendierenden Mehrheiten beider großer Parteien. Denn auch in der Conservative Party vertraute man auf den common sense der britischen Bevölkerungsmehrheit, der zugleich als Gewähr der eigenen Herrschaftschancen galt. Wenngleich es manche Überlappung des Gedankenguts rechter Konservativer mit faschistischen Idealen gab, scheuten die meisten den Parteiwechsel. Dies lag nicht nur am Bewusstsein der begrenzten Erfolgsaussichten im Mehrheitswahlrecht, sondern auch an der zunehmenden Diskreditierung der BUF. Brutal durchgezogene Versammlungen, in denen vermeintliche Gegner beim leisesten Ton niedergeprügelt wurden, unterminierten deren Ruf und Resonanz. Solche Auftritte galten in der Tat als "unenglisch". Ähnliches galt für den forcierten Antisemitismus. In diesem Grundgefühl, dass die BUF einem fremden Vorbild anhing, verschwand jeder Respekt. Rasch distanzierten sich auch die Geistesverwandten im Establishment, namentlich deren einflussreichste Stimmen wie Pressebaron Lord Rothermere, dessen Publikationen Mosleys Treiben lange Zeit mit Sympathie betrachtet hatten. Als Wendepunkt gilt das berüchtigte Treffen im Londoner Olympia vom 7. Juni 1934. Während sich in Deutschland viele durch Gewalt berauschen ließen, die Brutalität der Nazihorden gar mit schaudernder Faszination beobachteten, stieß dergleichen hier auf harte Ablehnung, die sich quer durch Parlament, Parteien und Presse zog. Auch der politische Gegner hatte, so das dominierende Grundgefühl, ein Recht auf Fair Play. Wer dagegen verstieß, schloss sich automatisch selbst aus. Bussfeld bietet insgesamt eine enorme Zusammenschau zeitgenössischer Stimmen aus den Reihen der Konservativen und der Labour Partei zu ihren jeweiligen Konkurrenten auf der extremen Rechten und Linken. Sie zitiert in großer Zahl ausführliche Stellungnahmen zu zeitgenössischen Einschätzungen von "Englishness".

In ihrem vierten Teil über die "Abwehr des Extremismus" lässt Bussfeld deutlich werden, dass neben Winston Churchill und Margaret Thatcher auch Stanley Baldwin in die Reihe der großen konservativen Parteiführer gehört. Baldwin führte die Konservativen von 1923 bis 1937 und errang in dieser Zeit nicht nur drei Wahlsiege (1924, 1931 und 1935), sondern ihm gelang auch, was bekanntlich selten ist, ein nobler Abgang auf dem Höhepunkt seines Ansehens. Baldwins politische Mentalität und die Attraktivität seiner Positionen trugen erheblich zur Stabilität der politischen Mitte und damit zu den Erfolgen seiner Partei bei. Ähnlich wie Franklin D. Roosevelt in den Vereinigten Staaten nutzte auch Baldwin die neuen Medien, um den Menschen die Sicherheit einer bürgerlichen Mitte zu signalisieren, die jedem Extremismus mit gefasster Gelassenheit begegnet. Er präsentierte sich bei Radioansprachen "am Kamin sitzend und Pfeife rauchend, während er sein politisches Programm verkündete. Um dabei eine heimelige und alltägliche Atmosphäre zu erzeugen, saß seine Frau strickend neben ihm, und er selbst unterbrach zum Teil seinen Vortrag, um sich die Pfeife anzuzünden" (248). Baldwin verkörperte mithin jene immer wieder aufgeführten Argumente, wonach "die Engländer" gegen Radikalismus, gegen Unfairness, für politisches Abwägen und Fair Play seien.

Bussfeld bietet mit ihrer Fülle von Zitaten, die, grob geschätzt, mindestens ein Viertel des Textes ausmachen, einem prägnanten Überblick zur Auffassung von Politikern und Publizisten. Diese betreiben gleichsam Selbstdefinition, wenn von "Englishness" die Rede ist. Was sie nicht bieten (können), ist eine Erklärung, woher dieses Grundgefühl tatsächlich rührt. Warum beachtete die große Mehrheit der englischen Bevölkerung auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten bestimmte Regeln der Gesellschaft und des politischen Umgangs als selbstverständlich, gleichsam dogmatisch "nationalcharakterlich"? Woher rührt - in den längeren Perspektiven der Gesellschaftsentwicklung - die Stabilität der Auffassung, dass Fairness und Minderheitenschutz über jede Krise erhaben bleiben sollen? Welche geistigen Grundströmungen und mentalen Traditionen liegen jenseits jener Erziehungsideale von Public Schools und Oxbridge, die selbstverständlich auch von Bussfeld angeführt werden? Gewiss haben diese eine enorme Prägekraft für einen großen Teil der politischen Klasse und Administration. Aber sie können wohl kaum eins zu eins als bestimmende Eigenschaften für die Verhaltensregeln der Arbeitermassen angesehen werden - denen jedoch die Führung der Labour-Party ebenfalls die stabilisierende Tendenz zur pragmatischen politischen Vernunft zutraute. Bussfeld bietet in ihrer systematischen Analyse für die dreißiger Jahre ein kenntnisreiches Panorama, in der diese Traditionsgründe der letztlich immer wieder zur Mitte schwingenden Grundmentalität, die durch regelmäßige öffentliche Vergewisserung aktiviert wird, als politischer Stabilitätsfaktor hervortreten. Bussfeld hat damit ein bislang vernachlässigtes Forschungsgebiet mit quellenorientierter Akribie erschlossen. Es bleibt der weiteren Forschung als Aufgabe, die Entstehung und Traditionsbildung der hier für die dreißiger Jahre porträtierten Mentalität und Kultur in ihren größeren Linien in ähnlicher Weise präzise zu charakterisieren, auch, um sie in ihrer Prägekraft bis zur Gegenwart deuten zu können.

Magnus Brechtken