Rezension über:

Matthias Asche: Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts, Münster: Aschendorff 2006, XXIII + 874 S., ISBN 978-3-402-00417-3, EUR 74,00
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Rezension von:
Susanne Lachenicht
Historisches Seminar, Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Lachenicht: Rezension von: Matthias Asche: Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts, Münster: Aschendorff 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/11685.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Migrationen" in Ausgabe 7 (2007), Nr. 11

Matthias Asche: Neusiedler im verheerten Land

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Auf 655 Seiten präsentiert Matthias Asche für die Mark Brandenburg des 17. Jahrhunderts (in einigen Kapiteln reicht der Untersuchungszeitraum bis zum Siebenjährigen Krieg) Kriegsfolgen und deren Bewältigung mittels konsequenter Ansiedlungspolitik und Wirtschaftshilfe durch Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg, und seine Nachfolger.

Asche liefert zunächst einen notwendigen einführenden Überblick über die politische Geschichte bzw. die die Mark Brandenburg betreffenden Kriegshandlungen in seinem Untersuchungszeitraum. Auf diesen folgen die Darstellung von Bevölkerungsverlusten und die Kriegsbilanz für die Prignitz, das Land Ruppin und die Uckermark (Teil A).

Teil B widmet sich der Nachkriegszeit und dem Landeswiederaufbau in der Mark Brandenburg unter den Kurfürsten Friedrich Wilhelm und Friedrich III. und untersucht deren Wirtschaftsförderungspolitik für die Bereiche Militär und Seehandel, Produktion und Gewerbe, Hoffakturen und Manufakturisten sowie Residenzen und Stadterweiterungen. Im zweiten Abschnitt beschäftigt sich Asche dann mit der Peuplierungs- und Rekultivierungspolitik in der Mark Brandenburg, die, so Asche, "die Grundlagen für das polykonfessionelle Staatswesen in Brandenburg-Preußen" legte (141).

Die Neusiedlung und Kolonisation in der Mark Brandenburg unter besonderer Berücksichtigung der Dominialdörfer in der Prignitz, im Land Ruppin und in der Uckermark wird in Teil C beschrieben. Hier wurden unter den Kurfürsten Friedrich Wilhelm und Friedrich III. vor allem Hugenotten und Schweizer Kolonisten, in geringerem Umfang auch Niederländer, angesiedelt.

Teil D untersucht zunächst die Privilegienpolitik der hohenzollernschen Kurfürsten sowie im weiteren die Analyse der rechtlichen Stellung der Neusiedler bis zum Tod König Friedrich Wilhelms I.. Er bietet bezüglich der Hugenotten nichts Neues. Die Analyse fokussiert zunächst vor allem das Edikt von Potsdam von 1685 und reflektiert hier und im Folgenden lediglich den bereits bekannten Forschungsstand. Quellen, die eine gewisse Wechselhaftigkeit in der Privilegienpolitik Friedrichs III. bzw. eine Frustration desselben und seines Nachfolgers angesichts der nur schleppenden Erfolge der Kolonisation von Hugenotten dokumentieren, werden allerdings nicht mit einbezogen. [1]

Wichtig und neu ist bei Asche jedoch die Analyse der Privilegien und Rechtsstellung der Schweizer Kolonisten, der Vergleich der Privilegienpolitik hinsichtlich der Hugenotten und der Schweizer Kolonisten bzw. die Analyse der kolonisatorischen Erfahrungen der Hohenzollern vor 1685. Ebenso macht der Kampf der ländlichen Réfugiés und der Schweizer Kolonisten um ihre Privilegien unter der Herrschaft König Friedrich Wilhelm I. deutlich, dass nun eine Integrationspolitik des Landesherren einsetzte, gegen die sich die Neusiedler zum Teil erfolgreich zur Wehr zu setzen vermochten (485-500 und 529-539). Asches Studie dokumentiert damit einmal mehr, wie sehr "Glaubensflüchtlinge" in der Lage waren, ihre Privilegien erfolgreich zu verhandeln und als selbstbewusste Untertanen ihrem Landesherren gegenüber aufzutreten.

Asches Analyse des "Eigenen und des Fremden" (Teil D.III) eröffnet in Heiratsverhalten und dem Rückgang und Verlust der französischen Sprache bei den ländlichen Réfugiés einige interessante Perspektiven, spiegelt aber im Bereich Spracherwerb und -verlust weitgehend den bekannten Forschungsstand wider. Hier wäre überdies die Einbeziehung neuester, 2006 bereits vorliegender Arbeiten wünschenswert gewesen. [2]

Die im letzten Teil (E) zusammengefassten Ergebnisse präsentieren auf den ersten Blick keine grundlegend neuen Erkenntnisse. Dass die "Repeuplierung entvölkerter Landstriche" "neben dem Aufbau eines stehenden Heers und einer leistungsstarken Verwaltung die entscheidenden Grundlagen für das moderne Preußen - nicht nur für dessen Staatsbildungsprozess, sondern auch für seinen Aufstieg zu einer europäischen Großmacht hundert Jahre später" schuf (629), ist für die Forschung nichts Neues. Dies gilt ebenso für die Bereiche "Migration und Rechtsordnung" und "Migration und Konfession".

Für den Bereich "Migration und Traditionsbildung" kommt Asche zu einem wichtigen Ergebnis, das sich aus dem Vergleich der Schweizer Kolonisten und der Hugenotten ergibt: Dass die Schweizer Kolonisten fast ohne Spur in der Aufnahmegesellschaft aufgingen, während die Hugenotten ihre Identität nicht nur bewahren, sondern als dominante Kultur in adligen und bürgerlichen Schichten zu etablieren vermochten, verdanken sie u.a., ähnlich wie die Sepharden und andere Migrantengruppen, ihrer intellektuell-urbanen Kultur - auf dem Land repräsentiert durch ihre Pfarrer -, die der "hugenottischen Identität" zu ihrer mutatis mutandis Kontinuität verhalfen (653-655).

Asches Studie besticht damit weniger durch grundlegend neue Erkenntnisse für die Deutung des Verhältnisses von Migration und Peuplierung, Rechtsordnung, Konfession und Traditionsbildung, als durch eine Bestätigung vieler bereits bekannter Erkenntnisse auf der Basis einer minutiösen Analyse der Ansiedlung, der Umsetzung von Privilegien, der Rechtsstellung sowie (ansatzweise) der Integration von Schweizer Kolonisten und Hugenotten (zum geringeren Teil auch von Niederländern) im ländlichen Raum der Mark Brandenburg. Für das hugenottische Refuge kommt damit Matthias Asche in der Tat das Verdienst zu, endlich einmal den Fokus weg von Berlin und den städtischen Colonien auf die kleineren Landgemeinden in der Mark Brandenburg gerichtet zu haben.

Die Quellenbasis, auf der Asche Aussagen zur Integration von Niederländern, Schweizern und Hugenotten in der Mark Brandenburg macht, ist für die Hugenotten allerdings zu dünn. Wichtiges Quellenmaterial wie etwa die Sammlung Formey in der Staatsbibliothek Berlin wurde nicht eingesehen. Aussagen von Landpastoren über Aufnahme, Ansiedlung und Integration von Neusiedlern im ländlichen Raum finden sich in dieser Korrespondenz zuhauf, die dem sehr holzschnittartigen Bild, das Asche im Kapitel Integration (D.III) zeichnet, manche wichtige Facette hinzugefügt hätten. Ebenso fehlen Quellen, die die Ansiedlungspläne Henri de Mirmands und anderer "Hugenottenführer" in der Schweiz und ihren Einfluss auf die Politik des Landesfürsten hätten aufzeigen können.

Gleichfalls zu kurz kommt die Auseinandersetzung mit frühneuzeitlicher Migration und zeitgenössischer Privilegien- und Vergünstigungspolitik (437-459). Zwar verweist Asche hier auf die wichtigen Arbeiten Anton Schindlings, Heinz Schillings, Heinz Duchhardts und Leslie Page Mochs (437), doch eine weiter gehende Auseinandersetzung mit Arbeiten aus dem weiteren europäischen und atlantischen Kontext wäre wünschenswert gewesen.

Asche hat weder die Arbeiten von Hermann Wellenreuther, noch die von Gregg Roeber, Rosalind J. Beiler oder Hartmut Lehmann zur Kenntnis genommen, die zeigen, dass das, was Asche als "ein bemerkenswertes Beispiel für das in der Forschung diskutierte "Nichtabsolutistische im Absolutismus"" (10 f.) beschreibt, nämlich die "Rückbeziehung" der Schweizer in der Mark Brandenburg in ihre Schweizer Heimat, typisch ist für die meisten frühneuzeitlichen Migranten und Flüchtlinge. Ähnliche Tendenzen finden sich bei den Sepharden, Hugenotten, Schweizer und niederländischen Mennoniten, Pietisten, Salzburgern und anderen religiösen Minderheiten bzw. Religionsflüchtlingen.

Ebenfalls wünschenswert wäre eine Diskussion der "Toleranzpolitik" des "Großen Kurfürsten" und seiner Nachfolger in europäischer Perspektive gewesen, vor allem unter Einbeziehung der neuesten Arbeiten u.a. von Po-chia Hsia und Ben Kaplan zu diesem Thema. [3]

Insgesamt also ein monumentales Werk, in dem man jedoch einige wichtige Aspekte transnationaler Geschichtsschreibung, u.a. die konsequente Einbeziehung nicht-deutscher Arbeiten und Debatten zu frühneuzeitlicher Migration in Europa, vermissen kann.


Anmerkungen:

[1] Vgl. dazu jetzt Susanne Lachenicht: Die Freiheitskonzession des Landgrafen von Hessen-Kassel, das Edikt von Potsdam und die Ansiedlung von Hugenotten in Brandenburg-Preußen und Hessen-Kassel, in: Guido Braun/Susanne Lachenicht (Hgg.): Les États allemands et les huguenots. Politique d'immigration et processus d'intégration, München 2007, 71-83.

[2] Manuela Böhm: Der französisch-deutsche Sprachwechsel in der hugenottischen Landkolonie Strasburg/Uckermark, in: Manuela Böhm, Jens Häseler, Robert Violet (Hgg.): Hugenotten zwischen Migration und Integration. Neue Forschungen zum Refuge in Berlin und Brandenburg, Berlin 2005, 135-153.

[3] Ronnie Po-chia Hsia/Henk van Nierop (Hgg.): Calvinism and Religious Toleration in the Dutch Golden Age, Cambridge 2002; Benjamin J. Kaplan: 'Fictions of Privacy: House Chapels and the Spatial Accommodation of Religious Dissent in Early Modern Europe', in: The American Historical Review 107/4 (2002), 1031-1064 und Christiane Berkvens-Stevelinck/ Jonathan Israel/ Guillaume Henri Marie Posthumus Meyjes (Hgg.): The Emergence of Tolerance in the Dutch Republic, Leiden 1997, 213-237.

Susanne Lachenicht