Rezension über:

Klaus Ries: Wort und Tat. Das politische Professorentum an der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert (= Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; Bd. 20), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, 531 S., ISBN 978-3-515-08993-7, EUR 88,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Helma Brunck
Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Helma Brunck: Rezension von: Klaus Ries: Wort und Tat. Das politische Professorentum an der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 2 [15.02.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/02/13629.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Klaus Ries: Wort und Tat

Textgröße: A A A

Die Habilitationsschrift von Klaus Ries über das politische Professorentum an der Universität Jena zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 482 "Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800" an der Friedrich-Schiller-Universität Jena entstanden. Es geht dem Verfasser in erster Linie darum, den Anteil des in der Forschung bisher vernachlässigten politischen Professorentums (hier speziell in Jena) an der Entwicklung des deutschen Liberalismus zu untersuchen. Weiterhin soll geprüft werden, ob und inwieweit durch das Wirken dieser Professoren erste Ansätze für die spätere Parteienentwicklung in Deutschland erkennbar sind. Neue Aspekte auf dem Gebiet der Liberalismusforschung speziell für den Zeitraum von 1800 bis zu den Karlsbader Beschlüssen sollen vor allem dadurch erschlossen werden, dass der Autor dem Leser das politische Engagement jener Gelehrten vor Augen führt, die sich von Beginn an offen zum Liberalismus bekannten und ihn an die studierende Jugend weitervermittelten. Nationalismus und Liberalismus waren danach eng miteinander verknüpft. Die Universität Jena kann zudem als Vorreiterin der Freiheit in Forschung und Lehre gelten, was nicht zuletzt auch Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach zu verdanken war. Somit treten über die bislang in der Forschung immer sehr allgemein und strukturgeschichtlich behandelten Hochschulen hinausgehend neue universitäts- und studentengeschichtliche, aber auch lokalhistorische Aspekte zutage.

Ries geht zunächst von der Rolle des politischen Professorentums in Verbindung mit der politisch organisierten Studentenschaft aus und untergliedert seine Arbeit in drei Entwicklungsphasen. Nach der Einleitung und der Definition des politischen Professorentums in seiner politisch-rechtlichen Stellung innerhalb der Gesellschaft und der Strukturbedingungen um 1800 stellt Ries die damals einflussreichen und stark von der Französischen Revolution geprägten Professoren einzeln vor: Friedrich Schiller, Gottlieb Hufeland und Johann Gottlieb Fichte. Daran schließt sich ein Kapitel über Nationalisierung vom Untergang des Alten Reiches bis zu den Befreiungskriegen an. Die liberal-nationale Bewegung im frühen Deutschen Bund und die Konstitutionalisierung des Weimarer Großherzogtums werden in einem dritten Abschnitt bis zum Wartburgfest in den Blick genommen. Hier spielten vor allem Dietrich Georg Kieser und Jakob Friedrich Fries eine herausragende Rolle. Am Ende werden die Karlsbader Beschlüsse als abrupte Beendigung einer konsequenten Radikalisierung und damit als wichtige Zäsur dargestellt. Ein Ausblick auf die Zeit bis 1840 rundet die Arbeit ab.

Ries kommt zum Schluss, dass Schiller, durch sein Erstlingswerk "Die Räuber" als Freiheitsdichter bei der akademischen Jugend schon früh populär, noch nicht als "politischer Professor" im eigentlichen Sinne gelten kann, obwohl er Wichtiges für die Ausbildung der national-liberalen Bewegung in Deutschland geleistet hat. Auch der gemäßigt liberale, staatsorientierte Jenaer Jurist Hufeland blieb noch ohne größere Wirkung auf die Studenten. Fichte dagegen entdeckte und prägte bis zu seiner Entlassung mit seiner aus der Lehre Kants entwickelten "Philosophie der Tat" zur Verbesserung des sittlichen Daseins als einer der ersten die Studenten als bewussten Ansprechpartner der Gesellschaft. Erst der Universalhistoriker Heinrich Luden wurde zum eigentlichen Mentor einer politischen Gemeinschaft, "die man als Vorläufer der Burschenschaftsbewegung ansehen kann" (181), gefolgt von Lorenz Oken, der Naturphilosophie mit Politik verband und dadurch zum Kriegspropagandisten wurde. Die Befreiungskriege werden dabei zum Katalysator einer national-liberalen Bewegung, eingeleitet durch Fichtes vierzehn "Reden an die Deutsche Nation".

Eine rege publizistische Tätigkeit der Professoren ergab sich unter der zumindest formell garantierten Pressefreiheit der Weimarer Verfassung von 1816, die wie auch die Nassauische Verfassung von 1814 zum Frühkonstitutionalismus zu zählen ist. Hier finden sich Erläuterungen zu Jakob Friedrich Fries, der - neben Oken, Dietrich Georg Kieser und Christian Wilhelm Schweitzer - beim Wartburgfest eine dominierende Rolle spielte. Er gilt als ein Wegbereiter des modernen Antisemitismus in Deutschland und besaß nach Ries neben Luden einen besonders starken Einfluss auf die Studenten und die am 12. Juni 1815 in Jena gegründete Urburschenschaft, die in dieser Studie als politische Institution, aber auch als sittliche Reform, wegen zu disparater Zielsetzungen nicht aber als parteipolitische Organisation gedeutet wird. Luden und Fries galten als die eigentlichen Mentoren der Burschenschaft, weniger dagegen - wie vielfach zu finden - der "Turnvater" Friedrich Ludwig Jahn.

Beim Wartburgfest, das in der burschenschaftlichen Publizistik gern als Akt zur Feier des Jahrestages der Reformation und der Leipziger Völkerschlacht bezeichnet wird, in Wahrheit aber, wie Ries belegen kann, vor allem von der radikalisierten Turnbewegung ausging, war Fries mit seinem radikalisierten Wahrheitsbegriff der Wortführer. Nach Ries kann man die spektakuläre Rede von Fries als einen versteckten, indirekten Aufruf zur Bücherverbrennung deuten. Die dort gefassten 35 Grundsätze und 12 Beschlüsse prägten die Programmatik des deutschen Frühliberalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nicht so sehr die burschenschaftliche Bewegung zeigte Ansätze zu einer Parteienentwicklung, sondern die sich herausbildenden Vereine, zu denen sich auch die Giessener "Schwarzen" als die "Unbedingten" zählten. Ries kommt unter anderem zu dem Urteil, "dass die politischen Professoren auch entscheidende Motoren der politischen Parteibildung in Deutschland" (481) waren.

Besonders verdienstvoll ist die differenzierte Charakterisierung der behandelten und bereits weitgehend erforschten Biografien der Professoren, deren unterschiedliche Einwirkungsmöglichkeiten als politische Mentoren auf die Studenten erstmals sorgfältig analysiert werden. Außerdem ist der Radikalisierungsprozess in der von Herman Haupt, Georg Heer, Paul Wentzcke und Günter Steiger dominierten burschenschaftlichen Publizistik bislang zu wenig beachtet worden. Die besonders im ersten Teil systematisch strukturierte Arbeit, die auf profunden Archivrecherchen beruht, gibt Antworten auf bisher offene Fragen zum Entstehen eines unmittelbar auf die Studenten einwirkenden politischen Gelehrtentums und zu den Auswirkungen des Liberalismus. Zudem erleichtert Ries die historische Einordnung der zu keiner Zeit unumstrittenen Burschenschaft als eines politisch orientierten studentischen Korporationsverbandes. Indes hätte ein kompletter Abdruck der einen oder anderen (ungedruckten) Quelle im Anhang dem Leser ein konturenreicheres Bild vermittelt als die Einflechtung von Zitaten in den Gesamttext. Auch wäre ein kurzer Querverweis vom "Ereignisraum Weimar-Jena" vor allem zu den süd- und westdeutschen Universitäten, wo ebenfalls freiheitliche Ideen vordrangen, eine gute Ergänzung gewesen.

Als Resümee bleibt jedoch festzuhalten, dass dieses - übrigens durch 23 Abbildungen angereicherte - Buch für die allgemeine historische Forschung, für die Liberalismusforschung, aber auch für die bislang sehr verbandsorientierte und die radikalpolitischen Tendenzen meistens ausklammernde burschenschaftliche Geschichtsforschung als Lektüre sehr zu empfehlen ist.

Helma Brunck