Rezension über:

Brigitte Meier: Jüdische Seidenunternehmer und die soziale Ordnung zur Zeit Friedrichs II. Moses Mendelssohn und Isaak Bernhard - Interaktion und Kommunikation als Basis einer erfolgreichen Unternehmensentwicklung (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs; Bd. 52), Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2007, 303 S., ISBN 978-3-8305-1362-9, EUR 39,00
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Rezension von:
Tobias Schenk
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Staats- und Personenstandsarchiv Detmold
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Schenk: Rezension von: Brigitte Meier: Jüdische Seidenunternehmer und die soziale Ordnung zur Zeit Friedrichs II. Moses Mendelssohn und Isaak Bernhard - Interaktion und Kommunikation als Basis einer erfolgreichen Unternehmensentwicklung, Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 5 [15.05.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/05/13627.html


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Brigitte Meier: Jüdische Seidenunternehmer und die soziale Ordnung zur Zeit Friedrichs II.

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In Berlin, das sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer der dynamischsten Metropolen Mitteleuropas entwickelte, prägten sich jene Widersprüche besonders deutlich aus, durch welche die Epoche der Aufklärung im Rahmen der deutsch-jüdischen Geschichte der Neuzeit gekennzeichnet ist. Einer schmalen Schicht jüdischer Münzpächter und Manufakturunternehmer boten die Ausnahmesituation des Siebenjährigen Krieges sowie das anschließende Rétablissement die Chance zur Akkumulation eines gewaltigen Vermögens. Derweil - und vor dem Hintergrund der um 1780 einsetzenden Emanzipationsdebatte - geriet eine zunehmende Zahl von minder begüterten Familien in den Fokus der restriktiven Judenpolitik Friedrichs des Großen, durch welche der ökonomischen und demographischen Entwicklung der Minderheit möglichst enge Fesseln angelegt werden sollten.

Sofern nicht nur von der ökonomischen und intellektuellen Spitze der Berliner Gemeinde, sondern von "den" Juden in Preußen die Rede sein soll, bedarf es angesichts der hier lediglich anzudeutenden Disparitäten also einer Integration kulturgeschichtlicher wie auch regional- und wirtschaftshistorischer Aspekte. Mit Brigitte Meier nimmt sich nun eine ausgewiesene Sozialhistorikerin, die unter anderem mit einer gehaltvollen empirischen Arbeit über das brandenburgische Stadtbürgertum hervorgetreten ist, der Rolle jüdischer Unternehmer im staatlich protektionierten Seidengewerbe an, um auf dieser Basis die "soziale Ordnung zur Zeit Friedrichs II." zu analysieren. Im Mittelpunkt ihres Interesses steht die Tätigkeit Moses Mendelssohns in der Seidenmanufaktur Isaak Bernhards, die - so Meiers These - in ihrem Umfang von der vornehmlich kulturgeschichtlich ausgerichteten Mendelssohnforschung bislang erheblich unterschätzt wurde.

In der äußerst knapp ausgefallenen Einleitung (11-15) skizziert Meier den Forschungsstand hinsichtlich des preußischen Seidengewerbes, der Unternehmensgeschichte sowie der Tätigkeit Mendelssohns im Seidengewerbe. Beachtung verdient das Plädoyer der Autorin für "individuelle Sozialgeschichten einzelner Manufakturen mit zeitgemäßen Fragestellungen" (14). Worin diese zeitgemäßen Fragestellungen im vorliegenden Fall jedoch bestehen, bleibt offen. Die friderizianische Sozialordnung und die Position "der" Juden werden nicht thematisiert.

Der sich aufdrängende Eindruck mangelnder Konzeptionalisierung wird verstärkt durch das folgende Kapitel, in dem Meier die Entwicklung des Seidengewerbes in Brandenburg-Preußen verfolgt. Die breite empirische Untermauerung bei souveräner Beherrschung des Forschungsstandes verdient zwar Anerkennung, doch ist das Kapitel mit beinahe 70 Seiten entschieden zu umfangreich ausgefallen. Die Ausführungen verlieren sich nicht selten im Detail, ohne dass der übergeordnete Zusammenhang stets erkennbar wäre. Weitaus ertragreicher gestaltet sich die Lektüre der folgenden beiden Kapitel, in denen Meier detailliert die Entwicklung der Manufaktur Isaaks sowie anschließend die geschäftliche Tätigkeit Mendelssohns nachzeichnet. Dabei verfolgt sie den Aufstieg des um 1735 aus dem oberschlesischen Zülz nach Berlin zugewanderten Isaak vom Altkleiderhändler zum geachteten Manufakturunternehmer mit guten Kontakten zur Bürokratie und einem weit gespannten Netz von Geschäftsbeziehungen, das bald durch familiäre Bande verstärkt wurde. So gelang Isaaks Kindern die Einheirat in führende jüdische Familien der Gemeinden von Berlin, Hamburg und Königsberg.

Wachsenden Anteil an den Geschicken der Manufaktur nahm Mendelssohn - auch über Isaaks Tod im Jahre 1768 hinaus. Seit 1750 als Hauslehrer der Familie tätig, wurde er 1754 Buchhalter und stieg 1761 zum Prokuristen auf. Nach dem Tod der Witwe Isaak (1781) fungierte der europaweit bekannte Philosoph gemeinsam mit Abraham und Moses Bernhard, den beiden Söhnen des Fabrikgründers, als Teilhaber. Dabei gelingt Meier der überzeugende Nachweis, dass sich Mendelssohn nicht lediglich im Rahmen der Manufaktur seines Mentors engagierte. Seine zunehmenden Kontakte erlaubten es ihm darüber hinaus, sich auf eigene Rechnung im Handel mit Rohseide sowie im Wechselgeschäft zu betätigen. Diese Überlegungen verknüpft die Autorin mit der Neuinterpretation eines die Jahre 1779-1781 umfassenden Geschäftsjournals, von dem man bislang annahm, es bilde die Tätigkeit der Isaakschen Manufaktur ab. Auf Basis einer paläographischen und inhaltlichen Analyse gelangt Meier jedoch zu dem plausiblen Ergebnis, dass hier von Mendelssohns eigenen Geschäften zu sprechen ist, durch welche sich der Philosoph einen respektablen Wohlstand erarbeitete.

Diese Ergebnisse der Autorin werden künftig zu den Standardwerken über Mendelssohn zu zählen sein und stellen eine gewichtige perspektivische Erweiterung genuin kulturgeschichtlicher Ansätze dar. Über diesen Verdiensten ist jedoch nicht zu übersehen, dass die vorliegende Studie nicht unerhebliche Schwächen aufweist, sobald die im Titel angesprochene "soziale Ordnung" und die Rechtsstellung der Juden berührt werden. So hätte zunächst dargelegt werden müssen, ob sich im selbstbewussten Agieren jüdischer Seidenunternehmer die zeitgenössische Ordnung spiegelt oder nicht vielmehr dessen exzeptionelle Durchbrechung. Spricht aus einer utilitaristisch motivierten Berücksichtigung der Belange jüdischer Manufakturunternehmer eine voranschreitende Aufklärung, die in irgendeiner Weise auf jene 99 % der Juden zurückwirkte, die keine Manufaktur besaßen? Wie groß waren überhaupt die Spielräume der Verwaltung angesichts der antijüdischen Politik des Königs?

Diese sich aufdrängenden Fragen werden jedoch an keiner Stelle explizit gestellt und hinterlassen somit eine Leerstelle, die zu widersprüchlichen und mitunter fragwürdigen Interpretationen der Autorin führt. Mehrfach wird etwa betont, die antijüdische Politik Friedrichs wurzele in seinem Verständnis der Staatsräson und in dem Bestreben, "alles für das Wohl des Staates zu tun" (89, 156). Meiers Gewährsmann ist dabei ausgerechnet Walther Hubatsch (1915-1984), zu dem lediglich angemerkt sei, dass er es noch 1982 fertig brachte, seitenlang die "unverkennbare Rechtssicherheit und zunehmende Wohlstandsmehrung" zu rühmen, zu der es im Rahmen der "aufgeklärten Regierungsmaßnahmen" nach 1772 in Westpreußen gekommen sei. Jene aufgeklärten Regierungsmaßnahmen, die zur Vertreibung von rund 6 000 Juden aus ihrer Heimat führten, waren ihm dabei kein einziges Wort wert. [1] Auch Meier kommt nicht umhin, dem Preußenkönig "Voreingenommenheit gegenüber den Juden" (101) und "Schadenfreude" (105) zu attestieren.

Nicht minder widersprüchlich sind ihre Ausführungen zur Administration, deren Vertreter bereits in der Einleitung wie selbstverständlich als "die aufgeklärten Beamten" (7) vorgestellt werden, was den Eindruck erweckt, hier würden preußische Mythen eher tradiert als wirklich hinterfragt. Später ist davon die Rede, die Konfrontation mit antijüdischen Vorurteilen innerhalb der Behörden habe für Mendelssohn ein "permanentes Problem" dargestellt (147). Dieser Widerspruch bleibt unaufgelöst, wie denn auch die Reichweite der autokratischen Regierung Friedrichs aus dem Kabinett heraus nicht ausreichend beleuchtet wird. So können die Mängel der Manufakturförderung nicht lediglich einer "ineffizienten Arbeitsweise" des Fabrikendepartements (19) zugeschrieben werden. Ebenso wie in der Judenpolitik wurde der Handlungsspielraum der Fachbehörde nicht selten durch Machtsprüche aus dem Kabinett eingeschränkt, wobei auch die Rolle der Kurmärkischen Kammer hätte berücksichtigt werden müssen, der es vielfach weniger auf eine nachhaltige Wirtschaftsförderung als auf sozialkonservative Überlegungen ankam - und die es dabei mit dem Instanzenzug nicht immer so genau nahm.

Widerspruch fordert darüber hinaus Meiers These heraus, Juden, die vom König mit einem Generalprivileg ausgestattet wurden, hätten um 1780 eine "Grundüberzeugung in die Rechtsstaatlichkeit" Preußens an den Tag legen können (120). Hier macht sich bemerkbar, dass die Autorin den Privilegiencharakter eines Schutzbriefes, und sei es auch eines Generalprivilegs, nur ungenügend berücksichtigt. Jedes Privileg wurzelte in der sich Verrechtlichungstendenzen weitgehend entziehenden Potestas legislatoria des Landesherrn und war prinzipiell stets widerrufbar. Den Beleg bietet Meier selbst: Sohn und Schwiegersohn des generalprivilegierten Manufakturunternehmers Moses Ries drohte der König an, dass sie "ihres Privilegii und Schutzes für verlustig erklärt" werden würden, sofern sie ihren Betrieb nicht in konzessionsmäßigem Umfang weiterführten (70). Für eine Betonung der rechtsstaatlichen Errungenschaften des "Aufgeklärten Absolutismus" besteht somit gerade auf dem Feld der Judenpolitik kaum ein Anlass.

Als ungenügend muss schließlich das Lektorat bezeichnet werden, wodurch dem Leser neben einer Unzahl von Rechtschreib- und Interpunktionsfehlern auch einige bizarr wirkende Transkriptionen zugemutet werden. Wenn die Söhne Isaaks in einer Supplik offenbar betonten, man habe sich dem König "zu Füßen geworfen", wird daraus bar jeden inhaltlichen und grammatikalischen Sinns ein "zu Fürsten geworden" (114). Bezweifeln möchte der Rezensent darüber hinaus, dass Potsdamer Seide über den ostpreußischen Grenzort Stallupöhnen nach "Samoyitian" im Ural ausgeführt wurde, um dort von Angehörigen des Volksstamms der Samojeden aufgetragen zu werden (110). Nicht ganz so weit wäre jedenfalls der Weg nach Niederlitauen gewesen. Es war den Zeitgenossen als Samogitien bekannt.


Anmerkung:

[1] Walther Hubatsch, Friedrich der Große und die preußische Verwaltung, 2. Aufl., Köln/Berlin 1982, 180-189.

Tobias Schenk