Rezension über:

Werner Hofmann: Degas und sein Jahrhundert, München: C.H.Beck 2007, 320 S., 241 Abb., ISBN 978-3-406-56497-0, EUR 68,00
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Rezension von:
Christian Berger
Kunstgeschichtliches Institut, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Sigrid Ruby
Empfohlene Zitierweise:
Christian Berger: Rezension von: Werner Hofmann: Degas und sein Jahrhundert, München: C.H.Beck 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 5 [15.05.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/05/13758.html


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Werner Hofmann: Degas und sein Jahrhundert

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Trotz seiner Zugehörigkeit zum Veranstalterkreis der Impressionisten-Ausstellungen gilt Edgar Degas der neueren Forschung nicht als 'Impressionist'. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang Richard Kendalls Ausstellung und Katalog "Degas beyond Impressionism" [1] sowie Carol Armstrongs Studie "Odd Man Out". [2] In diese Tradition stellt sich auch Werner Hofmanns groß angelegte und aufwendig ausgestattete Monografie, deren erstes Kapitel mit der lapidaren Feststellung beginnt: "Degas war kein Impressionist, und er wußte das." (9) Die spannende Frage freilich ist, was an die Stelle einer Zurechnung zum Impressionismus tritt oder zu treten hat. Kendall arbeitet die - häufig aus einer sehr spezifischen Auseinandersetzung mit künstlerischen Traditionen erwachsene - Radikalität und Modernität vor allem des späten Degas und seiner um wenige Themen und Motive kreisenden Werkgruppen heraus. Armstrongs Degas ist nicht nur in Bezug auf den Impressionismus der "Odd Man Out": Vielmehr habe er zwischen geschickter Aneignung der Tradition und ihrer subtilen Auflösung, zwischen "realistischer Ähnlichkeit" und deren Überwindung operiert und widersetze sich in seiner Kunst wie auch als Künstlerpersönlichkeit der Einordnung in die Heldengeschichte des Modernismus.

Für Werner Hofmann hingegen ist Degas zuerst ein Realist. Der "Schlüssel zu Degas' Welt" liege in der Entdeckung des "gesellschaftlichen Helldunkels" ("Clair-obscur social"). (9) Der Begriff ist Edmond Durantys im Vorfeld der zweiten Impressionisten-Ausstellung entstandenem Text "La Nouvelle Peinture" [3] entnommen, der - ohne dass Degas' Name explizit fällt - eine zentrale Quelle jeder realistischen Degas-Interpretation darstellt. Neben Durantys Text von 1876 zieht Hofmann für seine Ausführungen Gustave Courbets "Atelier des Künstlers" von 1854/55 heran - ein Schlüsselwerk des 19. Jahrhunderts und auch in Hofmanns eigenem Schaffen, bildete es doch schon 1960 den Ausgangspunkt seines wegweisenden Buches "Das irdische Paradies". [4] Auf Bezüge zu Courbets Werk und speziell zu dessen "Atelier" kommt Hofmann in seiner Degas-Monografie wiederholt zu sprechen.

Das realistische Projekt, das Degas zur Entstehungszeit von Durantys Text verfolgte, sieht Hofmann schon im Frühwerk angedeutet. So stellt er an den Historien der 1860er Jahre vor allem das Prosaische und die Körperlichkeit heraus, die bereits auf die Akte des Spätwerks verweisen. Zu Recht richtet er sein Augenmerk auf die Kontinuität der künstlerischen Interessen Degas' im Verlauf von dessen etwa sechs Jahrzehnte umspannender Schaffenszeit. Hofmann zeigt, wie der Künstler unter Zuhilfenahme verschiedener Modi des klassischen Historienbildes "die Vergangenheiten [benutzte], um unverbrauchte, noch nicht kodifizierte Sprachmodi zu erproben." (285)

Besonders interessant an Hofmanns Buch sind die Ausführungen über Degas' Umgang mit dem Raum. Indem die Kohäsion der dritten Dimension aufgehoben wird, kann der heterogene, häufig zerschnittene Bildraum als "Spannungsträger" (83) in Erscheinung treten und zu einem "variable[n] Produkt von Konstellationen [werden], über das der Maler frei entscheiden darf." (81) Changierend zwischen den Extremen einer rigorosen Bildtektonik und eines einhüllenden "Raummantel[s]" (81), schafft Degas - so Hofmann - "Resonanzfolie[n] menschlichen Verhaltens. Er läßt den Menschen seinen Raum tragen wie seine Kleidung, seine Erstreckungen gehören ihm wie seine Gesten." (98) Diese Einblicke und Beobachtungen rücken Degas' Umgang mit Räumlichkeit als einem zentralen Spannungsfeld seiner Kunst ins Blickfeld. Dabei kann nicht zu einer Seite der Dichotomie von Fläche und Raum hin entschieden werden. So sehr Degas - etwa in der leeren Mitte einiger Kompositionen - die Bildfläche sprechen lässt, so wenig verzichtet er auf das formale und expressive Potenzial der Raumkonstruktion. In den Gemälden, Zeichnungen und Pastellen ebenso wie in der Wachsplastik stellen Körper und Raum stets wesentliche Bezugsgrößen dar.

Ob sich Degas' Schnitte durch Räume und selbst Figuren in der Tat Edouard Manets brutaler Zuschneidung jenes Bildnisses verdanken, das dieser von Degas als Geschenk erhalten hatte, muss letztlich offen bleiben. [5] Gleiches gilt für die Bedeutung der japanischen Kunst für Degas, die Hofmann als gering einschätzt. Frühere Untersuchungen, etwa von Yujiro Shinoda [6] sowie zuletzt Jill DeVonyars und Richard Kendalls Ausstellung "Degas and the Art of Japan" [7] lassen dessen Beziehung zum Japonismus weniger distanziert erscheinen.

Degas' Kunst operiert zwischen den Polen einer eigenartigen Beschäftigung mit - teils abseitigen - Aspekten modernen Lebens und einer letztlich selbstgenügsamen und selbstreflexiven Beschäftigung mit Fragen der Kunst und des künstlerischen Schaffens. Dieser Aspekt klingt im vorletzten Kapitel ("Der Experimentator") durchaus an. In der Hauptsache bietet Hofmanns Buch jedoch eine Auseinandersetzung mit dem ersten dieser beiden Pole und bemüht sich dabei insbesondere um die Herausarbeitung von "Spannungen zwischen dem künstlichen und dem natürlichen Menschen" (275) in den Werken. Dabei werden häufig die Gegenstände ebenso wie der Schaffensprozess sexuell konnotiert gedeutet: Für Hofmann erfüllte sich Degas "[...] seine sexuelle Erregung, wenn er zu Pinsel und Pastellkreide griff." (230) Das ist vielleicht ein wenig klischeehaft.

Eingebettet sind diese Überlegungen in einen auch für Laien gut lesbaren, an verschiedenen Aspekten und Gegenständen des Œuvres orientierten Überblick über Degas' Leben und Werk. Dabei versteht es der Autor, eine Vielzahl von Hintergrundinformationen, Randbemerkungen und in Vergangenheit und Zukunft gerichteten Bezügen - von Cennini bis de Chirico, von Shakespeare bis Viktor Šklovskij - in seine Ausführungen aufzunehmen. Abschließend eine Bemerkung zur Bebilderung: Diese ist mit 241 Abbildungen, davon rund zwei Drittel in Farbe, üppig ausgefallen. Die Qualität der Reproduktion ist dabei durchweg gut, in manchen Fällen sogar so hervorragend, dass die wenigen negativen Ausnahmen (etwa Abb. 39, 140) umso deutlicher ins Auge stechen.


Anmerkungen:

[1] Kat. Ausst. Degas beyond Impressionism, bearb. von Richard Kendall, London: National Gallery, Chicago: Art Institute 1996/97, New Haven / London 1996.

[2] Carol Armstrong: Odd Man Out. Readings of the Work and Reputation of Edgar Degas, London / Chicago 1991.

[3] Edmond Duranty: La nouvelle peinture. A propos du groupe d'artistes qui expose dans les Galeries Durand-Ruel (1876), hg. von Marcel Guérin, Paris 1946.

[4] Werner Hofmann: Das irdische Paradies. Kunst im neunzehnten Jahrhundert, München 1960.

[5] "Manet und seine Frau", 1868/69, Kitakyushu: Municipal Museum of Art.

[6] Yujiro Shinoda: Degas. Der Einzug des Japanischen in die französische Malerei, Diss. Köln 1957.

[7] Kat. Ausst. Degas and the Art of Japan, bearb. von Jill DeVonyar und Richard Kendall, Reading: Public Museum 2007, New Haven / London 2007.

Christian Berger