Rezension über:

Larry Silver: Hieronymus Bosch, München: Hirmer 2006, 424 S., 300 Farbabb., ISBN 978-3-7774-3135-2, EUR 135,00
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Rezension von:
Stefan Fischer
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Dagmar Hirschfelder
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Fischer: Rezension von: Larry Silver: Hieronymus Bosch, München: Hirmer 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 6 [15.06.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/06/11886.html


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Larry Silver: Hieronymus Bosch

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Der zweite internationale Bosch-Kongress in Hieronymus Boschs Heimatstadt 's-Hertogenbosch im Mai 2007 [1] offenbarte, dass die Forschung zu diesem weiterhin als rätselhaft geltenden Maler nach dem Schub der 1980er und 1990er Jahre und der Rotterdamer Ausstellung 2001 nunmehr auf der Stelle tritt. Gleiches gilt auch für Silvers vorliegende großformatige Monografie im Vergleich zu seinen früheren Veröffentlichungen. [2] Zwar hat er mit diesem Buch ein äußerst reichhaltiges Kompendium vorgelegt, dass dem neusten Forschungsstand weitgehend Rechnung trägt, innovativ ist es jedoch nicht.

Die Publikation ist sehr reich bebildert und setzt neue Maßstäbe unter den üblicherweise stark illustrierten Bosch-Monografien. Zusammenstellung sowie Quantität und Qualität lassen keine Wünsche offen. Nicht nur die Werke von Bosch, sondern auch anderer wichtiger Maler des 15. und 16. Jahrhunderts sind oft zusätzlich großformatig und mit Detailabbildungen zu finden. So wird dem Leser und Betrachter der Überblick leicht gemacht, denn der Autor stellt Bosch in die Reihe der altniederländischen Tafelmalerei wie es seit Friedländer üblich ist. Damit lenkt Silver das Erkenntnisinteresse auf das stilistische und ikonografische Gebiet sowie auf sakrale und moralisierende Funktionen. Überhaupt liegen die Stärken dieses Buches (neben der Bebilderung) in den detaillierten ikonografischen Ausdeutungen der Werke, wobei sich Silver allerdings auf eine umfangreiche Forschung berufen kann.

Der Autor trifft den Kern, wenn er feststellt, dass die "kühnen Neuerungen" Boschs einer "innovativen Kombination von verschiedenen Elementen und den komplexen Beziehungen zwischen den Komponenten [entspringen]." (24) Statt diesen Beziehungen nachzugehen, verfährt Silver allerdings traditionell und arbeitet auf der Basis der Zweiteilung von Form und Inhalt: Die Stilkritik dient der Zuschreibung und der entwicklungsgeschichtlichen Einordnung, die Ikonografie der Deutung des Einzelwerkes. Dies ist nicht nur für die Bosch-Forschung typisch und erweist sie sich als geradezu fatal.

Eine vergebene Chance ist z.B. die Interpretation des Christophorus in Rotterdam (196ff.). Hier beschreibt Silver zwar die Unterschiede zu älteren Darstellungen des Themas und sieht in dem Gemälde zu Recht eine frühe "Weltlandschaft" mit dem Thema des Lebens als Pilgerreise. Doch dann wertet er die bedrohlichen Landschaftsdetails (gesunkenes Schiff, Drache) als Ausdruck eines bloßen Pessimismus ohne zu erläutern, wie sich dieser mit der christlichen Heilsbotschaft verträgt und ohne die Herkunft und Zusammenhänge der Details zu klären. [3] Sie lassen sich nämlich zu einer sinnvollen kontrastiven Argumentation zusammenschließen, die dem Betrachter fern sinnlich-leiblicher Verführungen nur umso eindringlicher den Weg zu Christus und damit zum Seelenfrieden und zur Gelassenheit eröffnen kann. Vor allem zeigt sich in diesem Gemälde Boschs der Wandel von der Schutzpatronfunktion hin zu einem Bildtyp mit moralisierender und anagogisch-mystischer Ausrichtung als Antwort auf die Kritik an der Verehrung von Schutzpatronen, wie sie bei Erasmus von Rotterdam zu finden ist.

An dieser Stelle zeigt sich, dass genauso wie Form und Inhalt nicht getrennt betrachtet werden können, eine Polarisierung der Deutung zugunsten des Moralisierend-Profanen oder des Sakralen problematisch ist (239ff.). Gerade die innovativen Werke Boschs sind nicht in profane und sakrale zu scheiden, sondern befinden sich im Spannungsfeld beider Kategorien: "Der Garten der Lüste" und "Der Heuwagen" haben biblische Themen und eine eschatologische Ausrichtung, die moralisierenden Einzeltafelfragmente "Geizhals", "Narrenschiff" und "Hausierer" hatten wahrscheinlich die "Hochzeit zu Kana" als gemeinsame Mitteltafel. [4] Das einzige profane Werk im Bosch-Œuvre, das kleine "Steinschneiden", besitzt mit Blick auf Funktion und Bildinhalt vordergründig keine religiösen Bezüge. Allerdings ist das Oberthema des Gemäldes, die Torheit, letztlich biblischen Ursprungs. Wie kann aber ein Werk, dessen Thematik der Bibel entnommen ist und dessen Details wie beim "Garten der Lüste" unter anderem Sündendarstellungen umfassen, profan-moralisierend sein, wie Silver meint (239)?

Es ist zwar richtig, wenn Larry Silver entgegen aller Spekulationen früherer Exegeten, etwa Wilhelm Fraengers, die christliche Religion als Grundlage von Boschs Bilderwelt sieht, wie es auch Reindert L. Falkenburg basierend auf seinen Forschungen zu Joachim Patinir tut. [5] Jedoch verkennt Silver die Wandlungen und Entwicklungen, wenn er formuliert, dass für Bosch "die Leben der Heiligen immer noch [Hervorhebung SF] lebendige Beispiele angemessener Lebensführung, insbesondere in Gestalt eines demütigen vollkommenen Rückzugs aus einer zur Sünde verlockenden Welt" (125) lieferten. Es ist hier zu fragen, ob es nicht eher schon anstatt immer noch heißen müsste. Gerade die reformchristlich gesinnten Humanisten um 1500, z.B. der von der Devotio Moderna geprägte junge Erasmus von Rotterdam, forderten, Heilige als Vorbilder zu sehen und orientierten sich an Antonius und Hieronymus, während bei den anderen Gläubigen (selbst dem Hochadel) die Schutzpatrone immer noch in sehr hohem Ansehen standen. Bei Bosch treten alle Heiligen, auch z.B. Christopherus, nicht primär als Schutzpatrone auf, sondern als Vorbilder für einen moralisch orientierten und vor Gott guten Lebenswandel. Dies machen die zahlreichen Nebenszenen deutlich, die als Kontrast zur jeweiligen Hauptfigur dienen.

Ein wesentliches Merkmal der Werke des Malers aus 's-Hertogenbosch sind groteske Figurenerfindungen und -anhäufungen, für die er seit jeher bewundert wird. Diese finden sich aber vor Bosch kaum in der Tafelmalerei. Deshalb sollte auch hier angesetzt werden und sollten die Analogien Boschs zu den Drolerien der Buchmalerei und marginalen Sakralskulptur nicht nur pauschal konstatiert (24), sondern genau aufgezeigt werden. Die Drolerien der illuminierten Manuskripte fungieren als kunstvoller Schmuck, erzeugen visuelle Aufmerksamkeit, haben moraldidaktische und moralsatirische Funktionen ähnlich der Exempla und sind im direkten oder indirekten Sinn gestalterisch und/oder inhaltlich mit dem Hauptthema verbunden. All das lässt sich auch in Boschs Werken zeigen [6], wird von Silver jedoch vernachlässigt. Erwähnenswert ist noch, dass der Autor im abschließenden Kapitel "Bosch und die Nachwelt" (361ff.) die Rezeption von Boschs innovativer Kunst aufzeigt und zwar nicht nur bezogen auf die groteske Seite und die Landschaftsmalerei, sondern auch auf die Genre-Elemente.

Trotz der genannten Schwächen und seines nicht sehr innovativen Ansatzes hat Silver ein hervorragend illustriertes und informatives Überblickswerk geschaffen, das Bosch in den ikonografischen und entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang der Tafelmalerei stellt und einen guten Einstieg in die Beschäftigung mit einem der bedeutendsten niederländischen Maler gibt.


Anmerkungen:

[1] Ort war das kurz zuvor eröffnete Bosch-Centrum mit Bibliothek und originalgroßen Werkreproduktionen (http://www.jheronimusbosch-artcenter.nl).

[2] Larry Silver: God in the Details. Bosch and Judgement(s), in: Art Bulletin 83 (2001, Nr. 4), 626-650; ders.: Second Bosch. Familiy Resemblance and the Marketing of Art, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 50 (1999), 31-56.

[3] Hierzu: Eric de Bruyn: De betekenis van de gebroken kruik op Jheroniums Bosch's Sint Christoffel-paneel te Rotterdam, in: Desipientia - Zin & Waan 8 (2001, Nr. 2), 4-9; ders.: The iconography of Hieronymus Bosch's "St. Christopher carrying the Christ Child" (Rotterdam), in: Oud Holland 118 (2005, Nr. 1/2), 28-37.

[4] Vgl. Johannes Hartau: Suche nach Glück bei nahem Untergang, in: FAZ 182 (8.8.2001), 6; ders.: A Newly Established Triptych by Hieronymus Bosch, in: H. Verougstraete / R. v. Schoute (Hg.): Jérôme Bosch et son entourage et autres études, Colloque XIV, 13-15.9.2001, Bruges / Rotterdam 2003, 33-38; vgl. ders.: Das neue Triptychon von Hieronymus Bosch als Allegorie über den "unnützen Reichtum", in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 68 (2005), 305-338.

[5] Verschiedene Vorträge, etwa in Dresden, Publikation in Vorbereitung.

[6] Stefan Fischer: Hieronymus Boschs Innovationen zwischen Vision, Lehrbild und Kunstwerk. (Dissertation, Universität Bonn 2007), Köln 2009 (in Vorbereitung).

Stefan Fischer