Rezension über:

Julia A. Schmidt-Funke: Karl August Böttiger (1760-1835). Weltmann und Gelehrter (= Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800. Ästhetische Forschungen; Bd. 14), Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2006, 205 S., ISBN 978-3-8253-5229-5, EUR 34,00
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Rezension von:
Jochen Strobel
Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Jochen Strobel: Rezension von: Julia A. Schmidt-Funke: Karl August Böttiger (1760-1835). Weltmann und Gelehrter, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 6 [15.06.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/06/13911.html


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Julia A. Schmidt-Funke: Karl August Böttiger (1760-1835)

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Der Altertumswissenschaftler und Journalist Karl August Böttiger lebt vor allem als Karikatur. Der Romantiker Ludwig Tieck hat ihn in seiner Komödie "Der gestiefelte Kater" und in seiner späten Novelle "Die Vogelscheuche" als inkompetenten und ewig schmeichelnden Kritiker gezeichnet, Goethe hatte längst ein vernichtendes Urteil über den "Magister ubique" und seine angebliche Klatschsucht gefällt.

Die wohl bis heute bekannteste unter Böttigers Namen erschienene Veröffentlichung, der postum publizierte Band "Literarische Zustände und Zeitgenossen", ist ein Kaleidoskop aus tagebuchartigen Beobachtungen und Reflexionen zu den prominenten Weimarern von Goethe bis Wieland. Das Buch schien den altbekannten Ruf des indiskreten Schwätzers zu bestätigen.

Es ist längst an der Zeit, dieses Urteil zu revidieren. Prädestiniert dazu war mit Julia Schmidt-Funke eine (ehemalige) Mitarbeiterin des Sonderforschungsbereichs 482 "Ereignis Weimar - Jena. Kultur um 1800". An der Universität Jena wurde Schmidt-Funke mit einer Arbeit zum Weimarer Verleger Bertuch promoviert [1], die ihr Interesse an Bertuchs wohl wichtigstem Mitarbeiter begründet haben dürfte.

Böttiger bezeichnet so etwas wie einen Knotenpunkt der Diskurse um 1800, hat er doch als Pädagoge und Archäologe Anteil an der modernen Ausdifferenzierung, Professionalisierung und Spezialisierung der Wissenschaften, obgleich er andererseits noch den polyhistorhaften "Gelehrtentypus des humanistisch gebildeten Spätaufklärers" [2] verkörperte. Zugleich war er "Weltmann" im Sinn des frühneuzeitlichen "honnête homme": Aufgrund seiner Kommunikativität und Geselligkeit, seiner rhetorischen Exzellenz, der ausladenden Korrespondenz und zahlloser wissenschaftlicher und journalistischer Publikationen war er eine paradigmatische Vermittlerfigur seiner Zeit - dabei eben keineswegs diskret, sondern daran interessiert, immer wieder intime Neuigkeiten aus den Künsten und Wissenschaften in Erfahrung zu bringen und sein Wissen über Personen und ihre Aktivitäten öffentlich zu machen.

Solche scheinbaren kommunikativen Defizite bei nicht zu leugnender Fähigkeit zur Bildung von Netzwerken und gewiss auch seine bald angewachsene Macht auf dem Gebiet der Literaturkritik machten ihn zum gefürchteten und oft auch angefeindeten Mann. Von der Freimaurerei, der Mitgliedschaft in in- und ausländischen Gelehrtengesellschaften und Vereinen bis zur informellen Geselligkeit der Clubs, Salons und Lesezirkel scheint Böttiger nichts ausgelassen zu haben.

Schmidt-Funke informiert nüchtern zunächst über den beruflichen Werdegang des 1790 durch Herder nach Weimar gerufenen Gymnasialrektors, der sich bald so unbeliebt gemacht hatte, dass er 1804 als Direktor des Pageninstituts, später der Ritterakademie und als Oberinspektor der Antikensammlungen nach Dresden wechselte.

Nicht sein jeweiliger Brotberuf, sondern die journalistische und literarische Existenz war Böttigers Element. Es galt, den Spagat zwischen Wissenschaft und Journalismus auszuhalten, auf beiden Schauplätzen glaubhaft zu bleiben. Doch obgleich er noch 1820 ein streng wissenschaftliches, dabei recht kurzlebiges Fachorgan begründete ("Amalthea oder Museum der Kunstmythologie und bildlichen Alterthumskunde"), blieb sein wissenschaftlicher Ruf bald schon auf der Strecke. Nicht klar wird, wie sich Böttiger im Kontext des neuen, humboldtschen Humanismus nach 1800 positioniert. Die "Popularisierung und Kommerzialisierung der Antike" (92), wie sie Winckelmann erfunden hatte, dürfte ihm mehr am Herzen gelegen haben als pädagogische Programme.

Jedenfalls bleibt in Schmidt-Funkes Buch der Schulmann und Wissenschaftler hinter dem Tausendsassa des Kulturbetriebs deutlich zurück. Erstaunlich modern ist Böttiger, indem er die Antike als Kultur- und Alltagsgeschichte einem weiblichen Leserkreis näherbringen möchte. "Sabina oder Morgenscenen im Putzzimmer einer reichen Römerin", 1803 als Buch erschienen, wurde von der Fachwelt nur mit Kopfschütteln aufgenommen. Er schreckte nicht davor zurück, der modischen Manufakturproduktion von Nachbildungen römischer Prachtgefäße zuzuarbeiten. Höchst aktiv war Böttiger auch auf dem Feld der Erinnerungskultur, als Verfasser von Nekrologen, als Biograf und Briefeditor. Lohn seiner Umtriebigkeit waren eine Bibliothek von 20.000 Bänden, kostspielige Reisen und ein gehobener Lebensstil - für einen Schulmann um 1800 keine Selbstverständlichkeiten.

Seine weltweit geführte Korrespondenz nutzte Böttiger als journalistische Quelle. Er wurde dadurch so etwas wie eine wandelnde Presseagentur avant la lettre. Höchst aktiv war er als Mitarbeiter der bedeutendsten Periodika der Zeit, so Wielands "Teutschem Merkur", Bertuchs "Journal des Luxus und der Moden" und "London und Paris", später auch der Dresdner "Abend-Zeitung". Seine Stärke waren neben altertumskundlichen Beiträgen vor allem Nachrichten und Rezensionen aus den Bereichen Theater, bildende Kunst, Literatur und Mode. Die jüngere Forschung sieht Böttiger als Träger des deutsch-französischen Kulturtransfers: Heute noch reizvoll anzusehen sind die von ihm in der Zeitschrift "London und Paris" kommentierten Karikaturen. [3]

Die Autorin berücksichtigt nicht nur zahlreiche gedruckte Quellen und eine beeindruckende Anzahl an Forschungsarbeiten aus den kulturwissenschaftlichen Disziplinen, sie hat für ihre Studie auch Böttigers Dresdner Nachlass und weitere, vor allem Weimarer Archivalien erschlossen. Ihr unprätentiöses Buch wertet gleichsam nebenbei den vielgeschmähten Böttiger auf, belässt ihn zwar zwischen der Tradition der Aufklärung und der anbrechenden Moderne um 1800 zwischen allen Stühlen, markiert diese seine Position aber sehr genau. Vor allem mit den Romantikern, ihrer Aktualisierung des Mythologischen, ihrer Naturphilosophie und ihrem aus seiner Sicht unwürdigen Umgang mit der Antike konnte Böttiger nichts anfangen.

Zu Recht wird aus Böttiger nach neuer Lesart "ein erfolgreicher Infotainer und Networker" (11) - das verbindet ihn, wie man jetzt erkennt, ausgerechnet mit seinen langfristig erfolgreicheren Gegnern, den Weimarern wie auch den Jenaern, soll heißen: dem Kreis um Goethe wie den Romantikern. Eine Zentralgestalt der Konstruktionsphase des künstlerischen Feldes, war Böttiger "zwischen Kunstautonomie und Kulturindustrie hin- und hergerissen." (17) Erst Schmidt-Funkes exemplarische Darstellung zu einem Journalisten um 1800, als Forschungsbeitrag fast allein auf weiter Flur [4], zeigt nun, wie sich traditionell aufklärerische Intentionen - Geschmacksbildung oder die Popularisierung von Wissensinhalten etwa - mit einer fast bedingungslosen Orientierung an der "Kommerzialisierung des literarischen Marktes" (126) verbinden.


Anmerkungen:

[1] Julia A. Schmidt-Funke: Auf dem Weg in die Bürgergesellschaft. Die politische Publizistik des Weimarer Verlegers Friedrich Justin Bertuch, Köln/Weimar 2005.

[2] Eckhard Richter: "Verehrtester Herr Hofrath". Tieck und Böttiger, in: Ludwig Tieck. Literaturprogramm und Lebensinszenierung im Kontext seiner Zeit, hrsg. von Walter Schmitz, Tübingen 1997, 169-191, hier 174.

[3] Vgl. Christian Deuling: Die Karikaturen-Kommentare in der Zeitschrift "London und Paris" (1798-1815), in: Napoleons neue Kleider. Pariser und Londoner Karikaturen im klassischen Weimar, hrsg. von Wolfgang Cilleßen / Rolf Reichardt / Christian Deuling, Berlin 2006, 79-93.

[4] Vorwiegend zu Böttigers Briefwechsel mit dem Verleger Cotta: Ernst Friedrich Sondermann: Karl August Böttiger. Literarischer Journalist der Goethezeit in Weimar (= Mitteilungen zur Theatergeschichte der Goethezeit, 7), Bonn 1983. Sowie eben erschienen: René Sternke: Böttiger und der archäologische Diskurs, Berlin 2008.

Jochen Strobel