Rezension über:

Walter Rummel / Rita Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit (= Geschichte kompakt), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008, VII + 136 S., ISBN 978-3-534-19051-5, EUR 14,90
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Rezension von:
Barbara Groß
Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Barbara Groß: Rezension von: Walter Rummel / Rita Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 7/8 [15.07.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/07/14368.html


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Walter Rummel / Rita Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit

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Hexen und Hexenverfolgungen erfreuen sich seit vielen Jahren eines großen öffentlichen Interesses. Zehn Jahre sind vergangen, seit 1998 mit Wolfgang Behringers "Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung" die letzte Einführung in die Thematik auf dem deutschen Markt erschienen ist. [1] Nun legen Walter Rummel und Rita Voltmer, zwei Forscher, die sich seit vielen Jahren mit den frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen - vor allem im Westen des Alten Reiches und in den westlich angrenzenden Territorien - befassen, in der Reihe "Geschichte kompakt" der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft einen neuen Einführungsband vor, der "sich mit den Hexenprozessen [beschäftigt], welche während des 15. bis 18. Jahrhunderts überwiegend in Europa stattfanden" (3). Damit hat der Band im Vergleich zu der fast zeitgleich erschienenen Einführung "Hexen und Magie" von Johannes Dillinger [2], die auch magische Vorstellungen jenseits des Hexenglaubens thematisiert und zudem auch "Magie und Hexen nach den Hexenverfolgungen" ein Kapitel widmet, einen weitaus spezifischeren Fokus.

In die europäischen Hexenverfolgungen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit einzuführen, ist keine leichte Aufgabe. Schon 1995 ist die historische Hexenforschung, die seit einem grundlegenden Paradigmenwechsel in den 1960er Jahren zu einem der innovativsten Bereiche geschichtswissenschaftlichen Forschens wurde, mit einem kaum noch zu durchdringenden "Dschungel" verglichen worden. [3] Zahllose Regional- und Lokalstudien mit unterschiedlichen Forschungsansätzen, Erkenntnisinteressen und Methoden hatten zu einer Unmenge wertvoller Erkenntnisse geführt, wichen in ihren Teilergebnissen häufig aber so stark voneinander ab, dass sie generalisierende Aussagen zu zentralen Aspekten der Verfolgungen nicht zuließen.

Heute, zehn Jahre und viele weitere Regionalstudien später, ist deutlicher denn je, dass es sich bei den Hexenverfolgungen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit um ein hochgradig komplexes Phänomen mit sehr unterschiedlichen regionalen Ausprägungen handelt, dem mit Patentlösungen und monokausalen Erklärungen nicht beizukommen ist. Eine Einführung, die sich dieses Phänomens annimmt, wird sich daran messen lassen müssen, inwieweit es ihr gelingt, für Neulinge auf dem Feld der Hexenforschung Pfade durch den scheinbar immer dichter werdenden Dschungel zu schlagen.

Der Einstieg der Autoren ist gut gewählt: Statt mit dem Phänomen selbst, beginnen sie mit dessen Historisierung (Kap. II.1). Sie zeichnen die Vorstellungen, Debatten und Diskussionen nach, die das Interesse an den Prozessen nach ihrer Beendigung im 18. Jahrhundert wach hielten und jene wirkmächtigen Klischees hervorbrachten, die noch heute das öffentliche Bewusstsein prägen: Die These von den Hexenprozessen als Unterdrückungsmaßnahme der katholischen Kirche, die im Kulturkampf instrumentalisiert wurde, begegnet dem Leser hier ebenso wie die Theorie von der "Vernichtung der weisen Frauen", die trotz ihrer Widerlegung bis heute kaum an Popularität eingebüßt hat. Die Warnung vor der unreflektierten Übernahme populärer Deutungsmuster und den damit verbundenen Aufruf zur kritischen Analyse der historischen Dokumente verbinden die Autoren mit einem Überblick über die einschlägigen Quellengattungen und Hinweisen zum Umgang mit ihnen (Kap. II.2).

Die folgenden drei Kapitel widmen die Autoren den beiden zentralen theologischen und juristischen Entwicklungen, die dazu führten, dass aus den Einzelverfahren des Mittelalters die Massenprozesse der Frühen Neuzeit werden konnten: die Entstehung und Durchsetzung eines neuen, kumulativen Hexereibegriffs (Kap. III) und die Herausbildung des weltlichen Inquisitionsprozesses mit dem Verfahrensinstrument der Folter (Kap. IV). Ergänzt werden die Ausführungen zu den allgemeinen Voraussetzungen der Verfolgungen durch ein Kapitel zum zeitgenössischen gelehrten Diskurs über die (Un-)Wirklichkeit des Hexereiverbrechens und über das (Un-)Recht der Gerichtsverfahren (Kap. V). Anschließend liefert Kapitel VI die statistischen Eckdaten der Verfolgung: Hinrichtungszahlen, räumliche und zeitliche Konzentrationen, Geschlechterverteilung. Dabei werden die Probleme, die mit solchen Angaben verbunden sind, eingehend thematisiert.

Die größte Herausforderung dürfte es wohl gewesen sein, in den beiden letzten Kapiteln (VII und VIII) die zahlreichen Deutungen zu systematisieren, die in den letzten Jahrzehnten zu den europäischen Hexenverfolgungen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit vorgelegt worden sind. Aus den heterogenen Ergebnissen der zahlreichen Regionalstudien haben die Autoren acht Faktoren herausgefiltert, "die intensive Hexenjagden auslösen (beziehungsweise verhindern) konnten" (86). Dieses "Faktorenbündel" umfasst neben den in den Kapiteln III und IV vorgestellten theologischen und juristischen Voraussetzungen der Massenprozesse noch sechs weitere Faktoren, die Hexenverfolgungen förderten: 1.) das Vorhandensein ökonomisch-sozialer, konfessioneller und/oder politischer Krisen, 2.) das Verfolgungsdrängen der Bevölkerung, 3.) die aktive Verfolgungsbereitschaft der mediaten Herrschaftsträger, 4.) der Verfolgungswille auf Seiten der Territorialherren, 5.) Karriere- und Bereicherungsinteressen lokaler Gerichtsbeamter oder anderer an der Durchführung der Prozesse Beteiligter sowie 6.) Kommunikationsstrukturen, die die Wirkung der anderen Faktoren verstärkten. Die regional unterschiedlichen Ausprägungen und Wirkungen dieser sechs Faktoren werden anschließend anhand konkreter Beispiele erläutert. Dem Forschungshintergrund der Autoren entsprechend stammt ein Großteil der Fallbeispiele aus dem Alten Reich, vor allem aus den westlichen Territorien, doch werden vergleichend auch immer wieder Fälle aus anderen Gegenden Europas herangezogen. Das Panorama zum Teil sehr unterschiedlicher Verfolgungstypen ("von unten", "von oben" usw.), das dem Leser dabei vor Augen gestellt wird, erhält seine Struktur durch die konsequente Orientierung an den jeweils relevanten Faktoren. Auf diese Weise ist eine Einführung entstanden, die das vielschichtige und facettenreiche Phänomen "Hexenverfolgung" systematisch vorstellt, ohne seine Komplexität zu unterschlagen.

Ein Manko dieser auch sprachlich gelungenen Einführung ist jedoch, dass Rummel und Voltmer grundsätzlich davon auszugehen scheinen, dass die Verfolgung von Hexerei nicht primär durch die zeitgenössische Hexenangst motiviert war, sondern dass es sich beim Aussprechen eines Hexereiverdachts beziehungsweise der Initiierung eines Hexenprozesses um eine Handlungsoption handelte, die von den zeitgenössischen Akteuren zynisch für die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen instrumentalisiert wurde - seien diese nun politischer, ökonomischer oder sozialer Art. Sie räumen zwar ein, der Rückgriff auf die Handlungsoption "Hexereiverdacht" müsse nicht immer von "einem zynischen Zweck-Mittel-Denken geleitet [gewesen] sein" (98), bemühen sich aber gleich im Anschluss, dem Einwand, die Zeitgenossen hätten "stets bona fide, aus gutem Glauben" (98) gehandelt, argumentativ zuvorzukommen. Es soll hier keineswegs behauptet werden, bei Hexereiverdächtigungen sei es nicht um die Lösung von Nachbarschaftskonflikten, die Behauptung von Herrschaftsrechten oder die Maximierung der eigenen Karrierechancen gegangen - Multifunktionalität gilt schon seit längerem geradezu als Wesen der frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen. Hexenprozesse dienten aber nicht nur diesen Interessen, wie die Autoren immer wieder suggerieren, sondern auch - eine Tatsache, deren stärkere Berücksichtigung wünschenswert gewesen wäre.

Alles in allem jedoch legen Walter Rummel und Rita Voltmer mit dieser Einführung einen gut begehbaren Pfad durch den Dschungel der Hexenforschung.


Anmerkungen:

[1] Wolfgang Behringer: Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung, München 1998.

[2] Johannes Dillinger: Hexen und Magie. Historische Einführungen Bd. 3, Frankfurt/New York 2007.

[3] Gerd Schwerhoff: Die Erdichtung der weisen Männer. Gegen falsche Übersetzungen von Hexenglauben und Hexenverfolgung, in: Hexenverfolgung. Beiträge zur Forschung - unter besonderer Berücksichtigung des südwestdeutschen Raumes, hg. von Sönke Lorenz/Dieter R. Bauer, Würzburg 1995, 393-419, 418.

Barbara Groß