Rezension über:

Tobias Churton: The Magus of Freemasonry. The Mysterious Life of Elias Ashmole. Scientist, Alchemist, and Founder of the Royal Society, Rochester: Inner Traditions 2006, XI + 303 S., ISBN 978-1-59477-122-4, USD 16,95
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Rezension von:
Renko Geffarth
Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA), Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Holger Zaunstöck
Empfohlene Zitierweise:
Renko Geffarth: Rezension von: Tobias Churton: The Magus of Freemasonry. The Mysterious Life of Elias Ashmole. Scientist, Alchemist, and Founder of the Royal Society, Rochester: Inner Traditions 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 10 [15.10.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/10/11997.html


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Tobias Churton: The Magus of Freemasonry

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Die ungebrochene Konjunktur der biographischen Literatur trägt aktuell besonders in der Wissenschaftsgeschichte neue Früchte, und so scheint sich auf den ersten Blick auch das Buch des englischen Historikers und Theologen Tobias Churton über den englischen Alchemisten und Historiker Elias Ashmole (1617-1692) in die wachsende Zahl von Lebensbeschreibungen mehr oder weniger bekannter und bedeutender Personen, vor allem aus der Geschichte der Naturwissenschaften, einzureihen. Der ebenso ansprechende wie reißerische Titel verweist aber bereits auf das erkenntnisleitende Interesse des Autors, und schon das in angelsächsischer Manier gestaltete Inhaltsverzeichnis mit prägnant-suggestiven Überschriften hinterlässt den Eindruck einer eher hagiographisch als historisch-kritisch angelegten Biographie: Der Autor sucht mit ihr nicht nur das Leben seines Protagonisten zu erhellen, sondern er sucht den "wirklichen Ashmole", den "great man" (3).

Churton gliedert seine Biographie chronologisch und thematisch und charakterisiert Ashmole dabei entlang dessen Lebensstationen als Alchemisten, als Astrologen, als Wissenschaftler, als Freimaurer, als Historiker ("Antiquarian") sowie als "Magus". Dies geschieht stets vor dem Hintergrund der innenpolitischen Entwicklung im Zuge der Bürgerkriege, der Republik unter Cromwell und der Stuart-Restauration. Die Ausführungen orientieren sich über weite Strecken, allerdings wird dies nur zum Teil explizit so benannt, an dem Werk des Ashmole-Biographen und -Herausgebers C.H. Josten [1], sowohl im Hinblick auf die Lebensbeschreibung, als auch besonders auf die Einordnung einzelner Ereignisse, Charakterzüge und Bekenntnisse Ashmoles. So übernimmt Churton etwa die Meinung Jostens, Ashmoles "Natürliche Magie" sei modern gesprochen nichts anderes als Wissenschaft - nach Ashmole war diese Magie aber als absolutes Wissen im Besitz des paradiesischen Adam, demnach kann sie eben keine "Wissenschaft" im modernen Sinne sein. Ähnlich unbekümmert verfährt der Autor mit anderen wissenschaftshistorischen Großbegriffen wie jenem der "Alchemie". So erfährt der Leser in der Beschreibung der Oxforder Studienzeit Ashmoles, dieser habe reiche hermetische und alchemische Literatur gelesen, u.a. die antiken Schriftsteller Xenophon und Thukydides, denen Churton das erstaunliche Etikett "alchemical writers" (84) beilegt. Überhaupt sind Ashmoles Interessen und Kompetenzen in Magie und Alchemie das bestimmende Moment des Buches: So ist der Autor der Auffassung, Ashmole habe nach dem Tode seiner ersten Ehefrau mit zahlreichen "flirtations" (89), wohl mit Affären zu übersetzen, seine alchemische und magische Entwicklung schwer beeinträchtigt, was überdies mit Carl Gustav Jung tiefenpsychologisch erklärt wird. Besondere Aufmerksamkeit widmet Churton denn auch den alchemischen Schriften seines Protagonisten, vor allem dem "Theatrum Chemicum Britannicum" von 1652, einer Sammlung teilweise bis dahin ungedruckter britischer alchemischer Literatur, mit der er in das Zentrum der britischen Rosenkreuzer-Rezeption gerückt sei. Aus Ashmoles Papieren gehe hervor, dass er sich um eine Aufnahme in diese Bruderschaft bemüht habe, deren Urschrift in der ersten englischen Übersetzung in seinem Besitz gewesen sei. An Dedikationsadressen in rosenkreuzerischer Literatur des 17. Jahrhunderts lasse sich zudem ablesen, dass Ashmole in einschlägigen Kreisen als bedeutender Rosenkreuzer und Alchemist galt, obwohl er selbst dies niemals behauptet habe. Analog zu den zeitgenössischen Spekulationen um die Rosenkreuzer-Bruderschaft und die Mitgliedschaft bedeutender Personen darin, spekuliert auch Churton über Ashmoles wahres Verhältnis zur Rosenkreuzer-Bewegung, das angeblich von stiller Sympathie für die spirituelle Botschaft und Vermeidung öffentlicher Identifikation geprägt gewesen sei.

Dem an der Geschichte der Freimaurerei Interessierten wird Ashmole vor allem als ein besonders frühes nachweisbares Mitglied einer Freimaurerloge ein Begriff sein - von ihm stammt eine Notiz über seine Aufnahme im Jahre 1646. Dieses dem Buch seinen Titel gebende Thema verfolgt Churton in zwei Kapiteln, wobei der Leser auch manches über Herkunft und Wesen der Freimaurerei erfährt, von Churton teilweise aus Manuskripten entnommen, die er in der British Library eingesehen hat. Die Bedeutung der Freimaurerei habe für Ashmole vor allem in der auf den mythischen Hermes rekurrierenden Traditionsbildung mit ihrem starken Bezug zu Alchemie und Astrologie bestanden, eine Perspektive, die mit neueren Forschungsergebnissen über die frühe Freimaurerei korrespondiert und die Mitgliedschaft in einer Loge als Konsequenz entsprechender Interessen ausweist. Ashmoles Beteiligung an der Gründung der Royal Society hingegen wird nur kurz angerissen und erscheint als Teil seines Strebens nach Einsicht in die großen Zusammenhänge des Kosmos, der Alchemie und Magie.

Grundsätzlich zu bemängeln ist Einiges: Alle Kapitel kommen über weite Strecken ohne Quellen- und Literaturbelege aus, das Buch ruht insgesamt auf einer sehr schmalen Literaturgrundlage, Quellen werden nicht von Forschungsliteratur unterschieden. Mancher Literaturbeleg aus den wenigen Fußnoten taucht in der Bibliographie gar nicht erst auf und die offensichtlich verwendeten Archivalien (wie etwa jene aus der British Library) werden nicht ausreichend nachvollziehbar belegt. Als Grundton des Buches fällt die deterministische Perspektive auf Ashmoles Lebensgeschichte auf: Mit der Taufe auf den Namen Elias - der Kommende - ist seine Bestimmung bereits vorgezeichnet und der Bezug auf den mythischen Alchemisten "Elias Artista" weist auf den "Magus", den "great man" Ashmole voraus. Dass Churton in Ashmole einen solchen "Magus" zu erkennen meint, also eine intellektuelle und spirituelle Autorität, ist der persönlichen Perspektive des Autors geschuldet. In Ashmoles Biographie verbindet sich für ihn ein als holistisch vorgestelltes Wissenskonzept der Renaissance mit kritischer bis ablehnender Distanz zur aufgeklärten Moderne, deren Wissenschaften ebenso wie die demokratische Gesellschaftsordnung depraviert scheinen. Dieser enthistorisierenden Sicht fehlt es zudem über weite Strecken an wissenschaftlich gebotener Sachlichkeit - ein Umstand, der den wissenschaftshistorischen Wert des Buches deutlich schmälert und mehr über die Vorstellungen des Autors als über Ashmole aussagt.

Insgesamt handelt es sich um ein durchaus gut lesbares, da überwiegend erzählend gehaltenes Buch, das die Lebenswelt Ashmoles lebendig schildert - sofern man bereit ist, dem imaginativen, oft suggestiven Stil des Autors zu folgen. Als wissenschaftliches Referenzwerk ist es dagegen kaum zu gebrauchen, da es den gängigen Standards nicht genügt und überdies neben der unverhüllten Begeisterung für den Protagonisten ebenso die Retablierung vormoderner Wissenskonzepte betreibt wie eine dem Gegenstand nicht zuträgliche allgemeine Religions- und Zivilisationskritik.


Anmerkung:

[1] Elias Ashmole (1617-1692), his autobiographical and historical notes, his correspondence and other contemporary sources relating to his life and work, hg. mit einer biographischen Einführung von C.H. Josten, 5 Bde, Oxford 1966.

Renko Geffarth