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Stephan Conermann: Islamische Welten. Einführung, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 1 [15.01.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
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Islamische Welten

Einführung

Von Stephan Conermann

Erst einmal wünsche ich allen Lesern der Islamischen Welten alles Gute für 2009! Das neue Jahr bringt uns gleich wieder die Besprechungen einer ganzen Reihe von interessanten Büchern aus unserem Fach.

Beginnen wir mit zwei zeitlich übergreifenden Werken. Da haben wir zum einen einen von Wiener Fachleuten zusammengestellten Sammelband über die Geschichte des Orients seit den Anfängen bis in die heutige Zeit. 5000 Jahre auf 300 Seiten, ist das wirklich möglich? In diesem Fall ist das Projekt offenbar gescheitert. Die einzelnen Beiträge enthalten durchaus solide Informationen und sind im Einzelfall auch sehr gut. Enttäuschend ist jedoch die inhaltliche und methodische Konzeptlosigkeit des gesamten Bandes. Es gibt weder eine durchgehende Fragestellung noch einen thematischen Schwerpunkt. (Siebertz zu Steffelbauer/Hakami) Zum anderen liegt ein kürzeres Übersichtswerk über die Christen in der islamischen Welt vor. Der Autor möchte einem breiteren Publikum verdeutlichen, dass die Wahrnehmung des Nahen Ostens als "islamisch" eben immer nur einen Teil der Lebenswirklichkeit darstellt und stets dargestellt hat. Über viele Jahrhunderte hinweg waren Christen die Mehrheit der Bevölkerung in der Region. Angesichts des begrenzten Umfanges gibt es zwar Lücken und Verkürzungen, insgesamt liegt aber eine konzise Einleitung in dieses hochspannende Thema vor. (Scheiner zu Tamcke)

Die Zeit vor dem 19. Jahrhundert decken dieses Mal vier Neuerscheinungen ab. Den Anfang bildet die sehr gelungene Übersetzung des ältesten Kochbuches der islamischen Welt. Um die Mitte des 10. Jahrhunderts erhielt der uns unbekannte Ibn Sayyar al-Warraq den Auftrag, die Rezepte der feinen Bagdader Küche zusammenzustellen. Insgesamt trug der Verfasser Anweisungen zur Zubereitung von 615 Gerichten zusammen. Das Werk stellt damit nicht nur eine ausgezeichnete sozialgeschichtliche Quelle zur abbasidischen Hof- und Speisekultur dar, sondern zeigt auch, wie sehr die Essenskultur in die philosophische Theorie der humoralen Kräfte eingebunden war. (Scheiner zu Nasrallah) In einer zweiten Publikation, eine an der Universität Leiden eingereichte Promotionsschrift, hat die Verfasserin eine exzellente Dokumentation in situ befindlicher, zwischen 1250 und 1517 in der Levante und Ägypten hergestellter, verzierter Schmiedekunst (etwa: Fenstergitter, Lampen, Becken, Türklopfer) vorgelegt. Es handelt sich um eine Grundlagenarbeit, die jedoch über eine reine Bestandsaufnahme hinausgeht und die Objekte in ihrem architektonischen, künstlerischen und gesellschaftlichem Kontext analysiert. (Kühn zu Mols) Ferner erfreuen wir uns an einer Veröffentlichung zur Geschichte der Moriscos - also der in Spanien durch Zwang zum Christentum konvertierten Muslime - während der Zeit von 1500 bis 1614. Am Ende der Lektüre wissen wir sehr viel mehr darüber, was die (wirklichen) Christen über ihre neuen Glaubensbrüder bzw. was die Moriscos über sich selbst und über ihre (alt-)christlichen Nachbarn gedacht haben. (Conermann zu Harvey) Schließlich geht es noch um den Indischen Ozean und das Mittelmeer: Bereits vor mehreren Jahren appellierte Sanjay Subrahmanyam an die Forschung, den Fokus der euro-asiatischen geschichtlichen Vernetzung (entanglement) nicht alleine auf die Neuere Geschichte zu begrenzen. Vielmehr müsse in gleichem Maße die Epoche der Frühen Neuzeit berücksichtigt werden, in der es zwischen den expandierenden europäischen Mächten und dem Indischen Subkontinent zu einer Vielzahl von kulturgeschichtlichen Vernetzungen kam; hierfür führte Subrahmanyam den Begriff der 'connected History' ein. Subrahmanyams Aussage ist deutlich: man könne eine Geschichte der europäischen Méditerranée der Frühen Neuzeit nicht ohne die des Indischen Ozean und umgekehrt schreiben, da beide Räume schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr losgelöst voneinander 'arbeiteten'. (Kulke zu Subrahmanyam)

Mit dem 20. Jahrhundert befassen sich vornehmlich die von Wolfgang G. Schwanitz besprochenen Arbeiten. So thematisiert der Geschichtsphilosoph Laurent Murawiec die Entwicklung des Jihads im vergangenen Jahrhundert. Sehr schön verortet er die einzelnen Bewegungen in ihrem jeweiligen historischen Kontext. Leider benutzt Murawiec nur Sekundärliteratur in westlichen Sprachen, so dass die seit den 1970er Jahren beachtliche arabische Literatur zu diesem Thema unberücksichtigt bleibt. (Schwanitz zu Murawiec) Mit den Themen Antisemitismus und Geschichte des Judentums befassen sich zwei weitere wichtige Bücher unterschiedlichen Inhalts: Einmal wird von Sebastian Panwitz die Geschichte eines jüdischen Vereins in Deutschland nachvollzogen und auf eindrucksvolle Weise der Wunsch nach Assimilation an die deutsche Gesellschaft und die Verweigerung durch die Nationalsozialisten gezeigt. Des weiteren hat der 1921 in Breslau geborene Historiker Walter Laqueur die lange Geschichte des Judenhasses überzeugend aufgearbeitet. Interessant sind vor allem seine Ausführungen über die weite Verbreitung des Antisemitismus' in der islamische Welt. (Schwanitz zu Panwitz und zu Laqueur) Damit sind wir inhaltlich auch schon bei den nächsten beiden Publikationen. Gemeint ist zum einen die von Manuel Samir Sakmanis vorgelegten Abhandlung über die Entstehung der Hizb Allah im Libanon. Sakmani kann sehr schön das Entstehen der syrisch-iranischen Allianz mit der Hizb Allah gegen Israel und gegen den westlichen Einfluss im Libanon zeigen. Letzten Endes geht es der "Gottespartei" auch um den Aufbau eines islamischen Gesellschaftssystems im Libanon. Dieses Ziel möchte man ohne Gewalt erreichen - fragt sich nur, wie dies möglich sein wird. Mit der politischen Gegenseite, in diesem Fall mit der Stadt Jerusalem, setzt sich zum anderen der 1938 dorthin emigrierte Laqueur auseinander. Er geht der Frage nach, was diese Stadt an sich hat, dass so viele Menschen ihr Leben für sie opfern. Sein Buch stellt eine sehr geschickt formulierte und überaus erhellende Stadtteil-, Sozial- und Migrationsgeschichte dar. Unverkennbar ist der liberale Ansatz des Verfassers, der bezüglich der Zukunft der Lage in Jerusalem ein nüchternes, aber nicht pessimistisches Urteil fällt. (Schwanitz zu Sakmani und zu Laqueur) Zu guter Letzt liegt nun endlich eine (ausgezeichnete) Übersetzung des von Churchill als Mittzwanziger abgefassten Buches "The River of War" über die Rückeroberung des Sudans vor. Churchill, der selbst am 2. September 1898 bei Omdurman an der Entscheidungsschlacht teilgenommen hat, gibt uns einen faszinierenden Einblick in die mentalen und technischen Voraussetzungen dieses Kolonialkrieges. (Schwanitz zu Chruchill)

Zwei Studien jüngeren Datums beschäftigen sich mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unseres Faches. Das Werk von Ellinger, in der die Orientalistik die Bereiche der Arabistik, Iranistik, Islamwissenschaft, Semitistik und Turkologie umfasst, geht der Frage nach, ob die Orientalistik während der NS-Zeit eine Dienstleisterin der Verwissenschaftlichung von nationalsozialistischen Phantasien, Mythen, Legenden und Ideologien war. Und in der Tat bietet diese Dissertation auf der Grundlage gründlicher Recherchen ein umfassendes und geordnetes Bild der personellen, organisatorischen, institutionellen und inhaltlichen Interaktion von Orientalistik und Orientalisten und dem NS-Regime. (Conermann zu Ellinger) Ergänzend dazu erschien ein weiteres Buch, das die Islamwissenschaft zum Gegenstand hat: Im WS 2005/06 haben die Freiburger Islamwissenschaftler Abbas Poya und Maurus Reinkowski ein Kolloquium zum Thema "Was soll uns Islamwissenschaft bedeuten?" veranstaltet, aus dem dann schließlich der hier vorliegende Sammelband hervorgegangen ist. Da allerdings nur wenige Beiträger aus der damaligen Veranstaltung ihre Texte veröffentlichen wollten, musste eine ganze Reihe neuer Mitarbeiter gewonnen werden. Entstanden ist ein sehr ansehnlicher und informativer Band, der neben einer Einführung durch die Herausgeber 18 Artikel enthält. Die Texte beleuchten jeweils das Fach aus einer anderen Perspektive und tragen damit sehr zu einer Verdeutlichung der schwierigen Wesensbestimmung der gegenwärtigen Islamwissenschaft bei. (Conermann zu Poya/Reinkowski)

Ich wünsche allen viel Spaß bei der Lektüre der Besprechungen und vor allem dann auch beim Lesen des einen oder anderen besprochenen Werkes!

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