Rezension über:

Georg Fertig: Äcker, Wirte, Gaben. Ländlicher Bodenmarkt und liberale Eigentumsordnung im Westfalen des 19. Jahrhunderts (= Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. Beiheft; Bd. 11), Berlin: Akademie Verlag 2007, 275 S., 27 Abb., ISBN 978-3-05-004378-4, EUR 79,80
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Rezension von:
Dirk Schleinert
Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Dirk Schleinert: Rezension von: Georg Fertig: Äcker, Wirte, Gaben. Ländlicher Bodenmarkt und liberale Eigentumsordnung im Westfalen des 19. Jahrhunderts, Berlin: Akademie Verlag 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 7/8 [15.07.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/07/15832.html


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Georg Fertig: Äcker, Wirte, Gaben

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Vorliegendes Buch stellt die stark überarbeitete Habilitationsschrift des Autors aus dem Jahr 2001 dar. Einer gängigen Vorstellung vom Bodenmarkt, also dem Verkehr mit landwirtschaftlichen Grundstücken, seit den Agrarreformen des 19. Jahrhunderts zufolge wandere der Acker immer zum besseren Wirt. Sprich, es hätte sich auch in diesem Bereich ein von Angebot und Nachfrage geregelter moderner Markt gebildet. Dem widersprechen jedoch heutige Befunde wie historische Umsatzraten, nach denen fast gar keine oder nur eine geringe Bewegung auf dem Bodenmarkt feststellbar ist. Ob dies ein Zeichen für einen fehlenden Bodenmarkt ist, oder ob es einen solchen doch gibt und wenn ja, wie dieser funktionierte, ist Gegenstand von Fertigs Untersuchung. Dazu hat er drei westfälische Kirchspiele aus unterschiedlichen Gegenden und mit einer unterschiedlichen sozial-ökonomischen Struktur ausgewählt. Als Quellen dienen serielle Unterlagen - die Hypothekenbücher zu den betreffenden Orten, nachdem sich ein anfänglicher Versuch mit den Katasterfortschreibungsverhandlungen als untauglich erwiesen hatte. Diese Angaben wurden in eine Datenbank eingegeben und mit anderen Daten, insbesondere zu Familien und Höfen, verknüpft. Dadurch ergab sich die Möglichkeit einer systematischen Verknüpfung von Bewegungen auf dem Bodenmarkt mit Lebensläufen und verwandtschaftlichen Beziehungen.

Hierin liegt auch der methodische Ansatz der Arbeit. Sie wertet mit Hilfe einer Datenbank serielle Massendaten aus und verknüpft dabei volkswirtschaftliche Fragestellungen zum Bodenmarkt mit solchen aus der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, die bis in den Bereich der Familien- und Mentalitätsgeschichte reichen. Insgesamt gliedert sich die Untersuchung in acht Hauptabschnitte. Nach einer Einführung in die Problematik, in der auch der Forschungsstand in den eben genannten Bereichen referiert wird, folgt eine systematische Vorstellung der drei analysierten Kirchspiele im Untersuchungszeitraum. Mit Abschnitt 3 beginnt die eigentliche Auswertung der Datenbank unter verschiedenen Blickwinkeln bzw. Fragestellungen. Dabei wird jeweils ein bestimmter Faktor oder ein Faktorenbündel, das Einfluss auf die Gestaltung des Bodenmarktes haben könnte, analysiert. Im Einzelnen sind dies Familie und Verwandtschaft, Überreste der Grundherrschaft, Zugang zum Land bzw. Nähe der Interessenten zum Land, Zeit in konjunktureller und biografischer Dimension, Preisbildung sowie bäuerliche Kultur und Praxis. Jeder der Abschnitte 3 bis 8 wird mit einer problemorientierten Fragestellung eingeleitet und mit einer Zwischenauswertung abgeschlossen, bei der die in der jeweils einleitenden Problemstellung genannten Forschungsansätze auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft werden.

Die Arbeit ist sehr systematisch aufgebaut. Jeder Abschnitt greift sozusagen den roten Faden auf und versucht, die im vorherigen Abschnitt offen gebliebenen Fragen mit neuen Erklärungsansätzen zu beantworten. Dabei werden konsequent die vorhandenen Ergebnisse der Forschung herangezogen und diskutiert. Bemerkenswert ist die Breite der berücksichtigten Forschungsansätze. Das Gesamtergebnis der Untersuchung, welches unter Teilabschnitt 8.6. Schlussbemerkung recht knapp auf anderthalb Seiten präsentiert wird, fällt trotzdem relativ bescheiden aus. Einen Bodenmarkt im volkswirtschaftlich idealtypischen Sinne hat es in den untersuchten Gebieten im 19. Jahrhundert nicht gegeben. Die dafür von Teilen der Forschung als Erklärung herangezogene Reziprozität treffe aber auch nur teilweise zu, sei aber insgesamt sowieso schwer fassbar. Vielmehr würden "echter" Markt, Reziprozität und Redistribution als funktionale Äquivalente eingesetzt und hingen von einer Vielzahl von Faktoren ab.

Am Schluss der Arbeit folgen noch zwei Anhänge. Anhang 1 beschreibt die Quellen, Metaquellen und Methoden der Arbeit. Diesen Abschnitt hätte man sich eigentlich vor der eigentlichen Untersuchung platziert gewünscht. Aber man kann ja schließlich blättern, insofern ist das kein wirkliches Problem. Neben den archivalischen Quellen wird hier insbesondere der Aufbau der zugrunde liegenden Datenbank beschrieben. Anhang 2 enthält das Verzeichnis der verwendeten Quellen und Literatur.

Fertigs Untersuchung ist trotz des - nicht ganz unerwarteten - bescheidenen Gesamtergebnisses in mehrfacher Hinsicht beeindruckend. Sie zeigt einmal mehr, dass serielle Massendaten eigentlich nur mit Hilfe von Datenbanken handhabbar sind und diese bei entsprechender Konfiguration zahlreiche Verknüpfungen und damit Auswertungsmöglichkeiten bieten. Dies gelingt umso besser, je mehr unterschiedliche Forschungsansätze nicht nur bei der Auswertung, sondern bereits bei Anlegung der Datenbank Berücksichtigung finden. Die zugegeben streckenweise ziemlich sperrige Arbeit habe ich mit großem Gewinn gelesen.

Dirk Schleinert