Rezension über:

Meike Hensel-Grobe: Das St.-Nikolaus-Hospital zu Kues. Studien zur Stiftung des Cusanus und seiner Familie (15.-17. Jahrhundert) (= Geschichtliche Landeskunde; Bd. 64), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, VII + 357 S., ISBN 978-3-515-08242-6, EUR 60,00
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Rezension von:
Thomas Frank
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Frank: Rezension von: Meike Hensel-Grobe: Das St.-Nikolaus-Hospital zu Kues. Studien zur Stiftung des Cusanus und seiner Familie (15.-17. Jahrhundert), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10 [15.10.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/10/14999.html


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Meike Hensel-Grobe: Das St.-Nikolaus-Hospital zu Kues

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Parallel zur Trierer Neuedition der Urkunden [1] widmet sich diese Mainzer Dissertation der Geschichte des Nikolaus-Hospitals in Kues bis ins 17. Jahrhundert. Die Verfasserin beschränkt sich allerdings nicht auf den Kueser Urkundenbestand, sondern zieht u. a. auch die in Koblenz und Trier aufbewahrten Archivalien der Trierer Erzbischöfe heran, so dass sie vor allem in institutions- und wirtschaftshistorischer Perspektive über das bisher Bekannte weit hinausgelangt. An die Darstellung des Stiftungsvorgangs und die Würdigung der Fundatoren um Nikolaus von Kues, der zwar als prägender, aber nicht alleiniger Akteur dieser Familienstiftung anzusehen ist (Kap. 2), schließt sich eine Analyse der Geschichte des Hospitals bis etwa 1500 an (Kap. 3). Diese frühen Jahrzehnte waren die Bewährungsprobe für die eigenartige, mit anderen städtischen oder kirchlichen Hospitälern nur bedingt vergleichbare Konstruktion. Als Kardinal hatte Nikolaus sein Möglichstes getan, um seinem Hospital eine unabhängige Existenz zu garantieren: Das betraf sowohl die großzügige materielle Ausstattung (im Wert von etwa 30000 Gulden) als auch die rechtliche Absicherung durch direkte Unterstellung unter die römische Kirche. Doch nach dem fast gleichzeitigen Tod des Kardinals und Papst Pius' II. (1464) fiel es den von Cusanus testamentarisch eingesetzten Rektoren immer schwerer, die Exemtion des Hospitals gegen die Ansprüche des Trierer Erzbischofs zu verteidigen. Es ist eines der Hauptverdienste des Buches, herausgearbeitet zu haben, wie es den Verwandten und Familiaren des Kardinals, vor allem Peter von Erkelenz (†1494), durch Kleinarbeit an der römischen Kurie und Kompromisse mit dem Erzbischof letztlich doch gelang, die Unabhängigkeit der Institution zu sichern. [2]

Das nicht zuletzt wegen seiner Bibliothek - die wohl nicht von Anfang an, sondern erst im ausgehenden 15. Jahrhundert errichtet wurde (Kap. 7) - berühmte Hospital war eine merkwürdig hybride Institution. Es sollte laut Gründungsurkunde (3. Dezember 1458) 33 pauperes aufnehmen, allesamt ältere Männer, davon sechs Priester und sechs Adlige, der Rest homines communes. Die Insassen durften nicht verheiratet sein und hatten Keuschheit und Gehorsam zu geloben, lebten also quasi religiös, aber nicht nach einer bestimmten Regel; selbst die Statuten der Windesheimer Kongregation, der Cusanus nahestand, flossen nur punktuell in die Ordnung von 1458 ein. Die Autorin kann zeigen (Kap. 4 und 5), dass diese Ausgangsbedingungen im Laufe der Jahrhunderte zwar Veränderungen unterworfen waren, aber nie ganz aufgegeben wurden. Trotz einer ökonomisch bedingten Tendenz zur Verpfründung und zur Unterschreitung der ursprünglich festgelegten Zahl von 33 Insassen blieb es dabei, dass immer wieder auch realiter bedürftige Personen aufgenommen wurden. Zur Dauerhaftigkeit der Gründungsidee trug entscheidend bei, dass die Kontrolle über das Hospital auf drei verschiedene Instanzen verteilt war: auf den Rektor, auf zwei geistliche Visitatoren (den Prior der Kartause auf dem Beatusberg bei Koblenz und den Prior der Windesheimer Chorherren auf der Insel Niederwerth) und auf die Schöffen von Bernkastel und Kues, die als "Superintendenten" fungierten und neben der Aufsicht über die Hospitalwirtschaft auch bei der Bestellung der Rektoren mit den Visitatoren kooperieren sollten.

Dass diese Balance trotz aller inneren und äußeren Konflikte, in die die Quellen mehrfach, aber selten ausführlich Einblick geben, erstaunlich belastbar war, liegt auch am erfolgreichen Wirtschaften des Hospitals. Diesem Aspekt ist das gewichtigste Kapitel des Buches gewidmet (Kap 6). Die Auswertung der im Hospitalarchiv erhaltenen Aufzeichnungen über Rentenkäufe und der Rechnungsbücher ermöglicht es, die Struktur des Wirtschaftsunternehmens sowie die Krisen und Veränderungen, denen es ausgesetzt war, zumindest grob zu rekonstruieren. Dominierten anfangs die Einnahmen aus Geld- und Naturalrenten, so verlagerte sich der ökonomische Schwerpunkt vor allem im 17. Jahrhundert auf den Weinbau: angesichts der im langfristigen Mittel steigenden Weinpreise gegenüber der sinkenden Kaufkraft von Geldrenten eine sinnvolle Strategie. Wein war zwar nicht die einzige agrarische Aktivität des Hospitals - es produzierte daneben auch Bier, baute Roggen und Hafer an und besaß Viehherden - aber die auf lange Sicht bei weitem lukrativste. Da die rechtlichen, technischen und konjunkturellen Aspekte dieses hoch differenzierten Agrarbetriebs von Hensel-Grobe mit vorhandenen Forschungen zum Rhein-Mosel-Raum abgeglichen werden, bereichern sie unser Bild von der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Agrargeschichte der gesamten Region. Die gelegentliche Anspielung auf Missernten wirft allerdings die Frage auf, ob unter den negativen konjunkturellen Faktoren (Kriege, Steuerbelastung) nicht auch die tendenzielle Abkühlung des Klimas im Untersuchungszeitraum hätte genannt und systematischer einbezogen werden müssen.

Das ist keine gravierende Lücke, doch Symptom für ein generelles Merkmal des Buches: nämlich für die große Zurückhaltung der Verfasserin gegenüber verallgemeinernden Schlussfolgerungen und Ausblicken auf weitere Horizonte. Das mag bei einem landesgeschichtlichen Thema verständlich sein, doch hätte ein etwas kühnerer kritischer Blick z. B. auf die internationale Hospitalforschung im einleitenden Kapitel, das nicht zu den Stärken der Arbeit zählt, oder auf die Debatten um den mittelalterlichen Armutsdiskurs (in Kap. 5) sicherlich nicht geschadet. Von einer übertriebenen Verinnerlichung der an sich lobenswerten Tugend der prudentia zeugt auch die häufige Verwendung bedauernder Adverbien ("leider") bei Hinweisen auf unvermeidliche Quellendefizite. Eine für den Leser gelegentlich mühsame formale Unachtsamkeit besteht darin, dass nicht alle in den Anmerkungen verwendeten Abkürzungen in das Abkürzungsverzeichnis aufgenommen wurden: Dass "CuHo" für die Urkunden im Archiv des Cusanus-Hospitals steht, erschließt sich zwar schnell, doch ist "UBC" für Kortenkamps Urkundenedition weniger naheliegend; "RG" für "Repertorium Germanicum" dürfte nur Eingeweihten auf Anhieb klar sein, und um "RE" als Kürzel für die Rechnungsbücher zu durchschauen, muss man eine Weile nachdenken. Auch wäre es hilfreich gewesen, wenn in den Tabellen auf den Seiten 191ff. und 251ff. die zu Grunde liegenden Quellen wenigstens in Kurzform genannt worden wären, so dass man sie nicht umständlich aus den vorausgehenden Kapiteln zusammensuchen muss. Derlei blinde Flecken lassen sich als negative Kehrseite langer Vertrautheit mit einem Thema deuten. Sie ändern jedoch nichts am positiven Gesamteindruck einer runden, Neuland erschließenden Monografie, auf die die Hospitalforschung mit Gewinn zurückgreifen wird.


Anmerkungen:

[1] Gottfried Kortenkamp: Die Urkunden des St. Nikolaus-Hospitals in Bernkastel-Kues an der Mosel (Geschichte und Kultur des Trierer Landes 2), Trier 2004.

[2] Vgl. dazu bereits Meike Hensel-Grobe: Funktion und Funktionalisierung: Das St.-Nikolaus-Hospital zu Kues und die Erzbischöfe von Trier im 15. Jahrhundert, in: Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicher Hospitäler im europäischen Vergleich, hg. v. Michael Matheus (Geschichtliche Landeskunde 56), Stuttgart 2005, 195-212.

Thomas Frank