Rezension über:

Kristin Dohmen / Ulrike Heckner (Red.): Graefenthal. Ein Kloster der Zisterzienserinnen am Niederrhein. Eine Veröffentlichung des Landschaftsverbandes Rheinland, hg. von U. Mainzer (= Arbeitsheft der rheinischen Denkmalpflege; 72), Worms: Wernersche Verlagsgesellschaft 2008, 370 S., ISBN 978-3-88462-274-2, EUR 38,00
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Rezension von:
Carola Jäggi
Lehrstuhl Christliche Archäologie und Kunstgeschichte, Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Ute Verstegen
Empfohlene Zitierweise:
Carola Jäggi: Rezension von: Kristin Dohmen / Ulrike Heckner (Red.): Graefenthal. Ein Kloster der Zisterzienserinnen am Niederrhein. Eine Veröffentlichung des Landschaftsverbandes Rheinland, hg. von U. Mainzer, Worms: Wernersche Verlagsgesellschaft 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 11 [15.11.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/11/17089.html


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Kristin Dohmen / Ulrike Heckner (Red.): Graefenthal

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Kaum ein Bereich der mittelalterlichen Kunstgeschichte hat in den letzten Jahren einen solchen Aufmerksamkeitszuwachs erfahren wie die Frauenklöster. Die grundlegenden Impulse gingen vor allem von der angloamerikanischen Forschung aus, die bereits in den 1980er-Jahren das Thema 'entdeckt' und die Leitfragen formuliert hat. In Deutschland erfolgte die Rezeption mit geringer zeitlicher Verzögerung, und zwar zunächst an den Universitäten, wo in den späten 1990er-Jahren erste akademische Abschlussarbeiten zur Kunst und Architektur von Frauenklöstern entstanden. Viele dieser Arbeiten sind in den letzten fünf Jahren als reichbebilderte Buchpublikationen erschienen und wurden von der Scientific community wohlwollend aufgenommen. [1] Für eine Wahrnehmung des Themas auch jenseits der kunsthistorischen Forschergemeinschaft sorgte schließlich die 2005 in Essen und Bonn gezeigte Ausstellung "Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern", die flankiert wurde durch eine große Tagung, deren Akten inzwischen ebenfalls gedruckt vorliegen. [2] Dass das Thema mittlerweile auch in den Denkmalämtern populär geworden ist, zeigen die in den letzten Jahren verstärkten denkmalpflegerischen und archäologischen Aktivitäten in ehemaligen Frauenklosteranlagen.

Eine dieser Klosteranlagen ist das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Graefenthal bei Goch an der Niers im Rheinland, unweit der Grenze zu den Niederlanden. Das Kloster wurde um 1250 vom geldrischen Grafen Otto II. († 1271) und seiner ersten Frau Margaretha von Kleve († 1251) gegründet, 1258 geweiht und 1260 in den Zisterzienserorden aufgenommen; das Visitationsrecht lag beim Abt des 40 km entfernten Zisterzienserklosters Kamp. Der Gründungskonvent stammte aus Roermond, wo nur wenige Jahrzehnte zuvor, 1218, Ottos Vater, Graf Gerhard IV., ein Zisterzienserinnenkloster gegründet hatte. Die neue Gründung Graefenthal wuchs rasch zum größten der rheinischen Zisterzienserinnenklöster heran. Schon bald umfasste sein Konvent nicht weniger als fünfzig Chorschwestern, die sich größtenteils aus dem lokalen Adel rekrutierten; auch Frauen aus dem geldrischen Grafenhaus finden sich mehrfach unter den Konventsangehörigen, nicht selten in leitender Position. 1802 wurde das Kloster im Zuge der Säkularisation aufgehoben und fortan als landwirtschaftliches Gut genutzt. Von der ehemaligen Klosteranlage stehen heute noch der Nord- und Ostflügel des Klausurgevierts, die Immunitätsmauer, das Torhaus, die ehemalige Bäckerei bzw. Brauerei und eine Remise, während weitere Wirtschaftsbauten nebst der Kirche mitsamt dem südlichen und westlichen Klausurflügel 1807 bzw. kurz danach abgebrochen wurden. Der Standort der ehemaligen Klosterkirche ist seit wenigen Jahren durch Steinstelen sichtbar gemacht; außerdem lässt das Hochgrab des Gründers, das heute unter einem Schutzbau im Freien steht, ursprünglich aber im Langhaus der Kirche stand und dort den Nukleus für die Gründermemoria darstellte, im Gelände nachvollziehen, wo sich das Gotteshaus einst erhob.

Über lange Jahre war das ehemalige Klostergelände von Verwilderung und Verfall bedroht, so dass sein Kauf durch einen privaten Eigentümer im Jahr 2004 als wahrer Glücksfall bezeichnet werden muss. In Zusammenarbeit mit diversen Amtsstellen und einem Förderverein wurde ein Konzept zur Nutzung der Anlage als "Tagungsort und Ausflugsziel, Künstlerateliers und Beherbungsbetrieb, Archiv und Dauerausstellung zur Geschichte Graefenthals" entwickelt (7). Im unmittelbaren Anschluss an den Besitzerwechsel erfolgten Bauuntersuchungen und Restaurierungen durch den Landschaftsverband Rheinland, gefolgt von einer Grabung im August 2007 in Kooperation mit dem Kunsthistorischen Institut der Universität Köln und dem Amsterdams Archeologisch Centrum der Universität Amsterdam. Die Ergebnisse der bau- und bodenarchäologischen Forschungen bilden den Kern des hier anzuzeigenden Sammelbandes, der in vorbildlicher Weise die überlieferten Quellen und Daten zu Graefenthal zusammenführt und in der Vielfalt der thematisierten Aspekte weit über das hinausgeht, was von einer Baumonografie üblicherweise geleistet wird.

Am erhaltenen Baubestand lassen sich insgesamt sechs Bauphasen fassen: Die Gründungsphase des mittleren 13. Jahrhunderts, aus der sich noch Bausubstanz im östlichen Klausurflügel erhalten hat, eine Ausbauphase im 1. Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, der wir den nördlichen Klausurflügel mit seinen qualitätvollen Schlusssteinen von 1407 im zugehörigen Kreuzgang verdanken, den Wiederaufbau der Klostergebäude um 1521, eine umfangreiche Barockisierungsphase um 1771, aus der der Innenausbau des östlichen Klausurtrakts stammt, und schließlich geringfügige Veränderungen im 19. und 20. Jahrhundert. Für die mittelalterliche Klosterkirche ist aufgrund der Bodenbefunde im Verbund mit neuzeitlichen Bildquellen ein sechs Joche langer Rechtecksaal mit Querarmen zu erschließen. Auskunft über die Binnengliederung des Kirchenraums geben einerseits die Archäologie, andererseits Schriftquellen, die dafür sprechen, dass es in Graefenthal keine westliche Nonnenempore gab, wie sie in mittelalterlichen Zisterzienserinnenkirchen im Rheinland und anderswo in Deutschland die übliche Form des Nonnenchors gewesen zu sein scheint. In Graefenthal scheint der Nonnenchor zumindest im Spätmittelalter zu ebener Erde gelegen zu haben, und zwar im Westen des Presbyteriums, das die beiden östlichen Traveen der Klosterkirche einnahm; im westlichen Anschluss an den Nonnenchor folgte der Chor der Laienschwestern, in dem sich das Gründergrab erhob, und schließlich - in den beiden westlichsten Jochen - der Laienteil. Von den in den Schriftquellen erwähnten Altären ist nur der Hauptaltar archäologisch belegt, doch können - wenn auch nicht nachweislich für die Gründungsphase - weitere Altarstellen im Nonnenchor, im Laienteil und im südlichen Querarm erschlossen werden. Ob und wie die einzelnen Raumeinheiten voneinander abgetrennt waren, ob durch Gitter, Schranken oder gar einen Lettner, ist nicht zu entscheiden, wenn aufgrund des Klausurgebots aber anzunehmen. Für eine flexible Handhabung des Klausurgebots spricht die Lage des Gründergrabs im Chor der Laienschwestern, der deshalb als "halböffentlicher Bereich" bezeichnet wird, da er "zu bestimmten Anlässen Außenstehenden zugänglich und zeitweiliger Ort des familiären Totengedenkens war" (160). Eine mittelalterliche Quelle, die dies verifizieren ließe, scheint sich jedoch nicht erhalten zu haben, jedenfalls wird an keiner Stelle im Band eine solche erwähnt.

Die historische Überlieferung, die sich im Falle Graefenthals auf mehr als 600 Originalurkunden und eine Handvoll neuzeitlicher Bildquellen abstützen kann, ist in einem eigenen Großkapitel dem Bericht über die bau- und bodenarchäologischen Sondierungen vorgeschaltet. Hinzu kommen Abhandlungen über den Bauschmuck und die Farbgestaltung des Kreuzgangs, über die in Graefenthal anzutreffenden Baumaterialien und Versetztechniken sowie eine Übersicht über die Funktions- und Wirtschaftbauten auf dem Klosterareal. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die spätmittelalterliche Ausstattung der Graefenthaler Klosterkirche, die im Gefolge der Säkularisation in die Pfarrkirchen der Umgebung verstreut wurde. Der Band schließt mit Überlegungen, die Graefenthal als Denkmal und seine Erhaltung ins Zentrum rücken. Einige Beiträge - etwa die "Bestandsaufnahme archäologischer Untersuchungen in rheinischen Zisterzienserinnenklöstern" (335-341) - wirken hier etwas deplatziert, sind aber nichtsdestotrotz von hoher Nützlichkeit.

Insgesamt besticht der Band durch das breite Spektrum seiner methodischen Ansätze, die gleicherweise das Kloster als Bauwerk und als Teil eines weitgespannten territorialherrschaftlichen Beziehungsnetzes im Blick haben. Zu Recht wird nach den Gründen gefragt, die Otto II. zur Neugründung eines Zisterzienserinnenklosters bewegten, wo doch bereits sein Vater ein solches gegründet und zur Familiengrablege bestimmt hatte. Fragen wie die nach der (partiellen) Öffentlichkeit von Frauenklosterkirchen, nach den Einflussfaktoren auf die Baugestalt oder nach der Funktion der einzelnen Raumzonen innerhalb der Klosterkirche, die das Buch wie ein roter Faden durchziehen, greifen die aktuelle Forschungsdebatte auf und machen den Band zu einem wertvollen Baustein für ein sich seit wenigen Jahren immer feiner differenzierendes Bild mittelalterlicher Frauenklöster.


Anmerkungen:

[1] Vgl. http://www.sehepunkte.de/2007/06/11011.html; http://www.sehepunkte.de/2008/03/12737.html; Kunstchronik (2008), Heft 8, 367-381; http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-2-204.

[2] Jeffrey Hamburger / Carola Jäggi / Susan Marti / Hedwig Röckelein (Hgg.): Frauen - Kloster - Kunst. Neue Forschungen zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Beiträge zum Internationalen Kolloquium vom 13. bis 16. Mai 2005 anlässlich der Ausstellung "Krone und Schleier", Turnhout 2007.

Carola Jäggi