Rezension über:

Georg Philipp Harsdörffer: Kunstverständiger Discurs, von der edlen Mahlerey. Nürnberg 1652. Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von Michael Thimann (= Texte zur Wissensgeschichte der Kunst; Bd. 1), Heidelberg: Manutius Verlag Frank Würker GmbH 2009, 159 S., ISBN 978-3-934877-72-6, EUR 29,80
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Rezension von:
Ulrich Schütte
Kunstgeschichtliches Institut, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Schütte: Rezension von: Georg Philipp Harsdörffer: Kunstverständiger Discurs, von der edlen Mahlerey. Nürnberg 1652. Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von Michael Thimann, Heidelberg: Manutius Verlag Frank Würker GmbH 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3 [15.03.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/03/15897.html


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Georg Philipp Harsdörffer: Kunstverständiger Discurs, von der edlen Mahlerey. Nürnberg 1652

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Während die germanistische Literaturgeschichte in Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658) schon seit Längerem einen wichtigen Dichter und Theoretiker erkannt und ihn vor allem als Emblematiker herausgestellt hat, sind die zahlreichen Ansätze, die sein Werk auch für kunstgeschichtliche Problemstellungen des 17. Jahrhunderts bereitstellt, bislang wenig beachtet geblieben. Es ist zu hoffen, dass sich dies mit der nun vorliegenden, sehr schönen Edition von Harsdörffers "Diskurs von der edlen Malerey" ändern wird. Der Text erschien 1652 in Nürnberg als ein anonymer Anhang in Abraham Bosses "Kunstbüchlein von der Radier- und Etzkunst" und ist erst in jüngerer Zeit als eine Schrift Harsdörffers erkannt worden.

Man darf die Edition, die Michael Thimann sehr kundig und umsichtig erarbeitet hat, durchaus als ein Programm lesen; eröffnet sie doch eine neue Reihe vergleichbarer Quellentexte der Frühen Neuzeit, deren Herausgabe von der Forschergruppe "Das wissende Bild. Epistemologische Grundlagen profaner Bildlichkeit von 15. bis 19. Jahrhundert" getragen wird. Ältere Texte sollen vorgestellt werden, die für die gegenwärtigen bildwissenschaftlichen und wissensgeschichtlichen Fragestellungen von grundlegender Bedeutung sind. Der editorische Aufwand, mit dem im ersten Band der Reihe der vom Umfang her eher knappe Text Harsdörffers dem heutigen Leser präsentiert wird, ist erheblich: Eine editorische Notiz, ein ausführlicher Kommentar zu einzelnen Textstellen, ein kluges Nachwort, das nicht allein den "Diskurs" erläutert, sondern zugleich auch in das Gesamtwerk des Autors einführt, ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis, eine Danksagung, die uns einiges über die Entstehungsgeschichte der Publikation verrät, sowie schließlich ein Register der Personen und der Figuren aus Mythologie und Bibel liefern auf 120 Seiten alles Denkbare und Wünschenswerte zum Verständnis dessen, was Harsdörffer auf 30 Seiten zur "Mahlerey" vorstellt. Auch wenn man den ausgreifenden Apparat an kommentierenden und erläuternden Texten zunächst einem philologisch-antiquarischen Habitus zuschreiben möchte, der auch noch das kleinste Detail und die unscheinbarste Redewendung glaubt erläutern zu müssen, so wird doch durch den edierten Text selbst deutlich genug, wie wichtig diese Publikation ist.

Harsdörffer formuliert seine Überlegungen zur Malerei in grundlegender Absicht. Und gerade sie erlauben es, diese Schrift aus dem mittleren 17. Jahrhundert auch aus der Perspektive gegenwärtiger kunstgeschichtlicher Positionen zu lesen, die nach dem spezifischen Status von Bildern und Bildgattungen ebenso fragen wie nach den Voraussetzungen, die ein Reden und Schreiben über Bildwerke ermöglichen. So ist man überrascht über den Beginn des "Discurs", der nicht, wie man dies von vergleichbaren zeitgenössischen Texten kennt, mit historiografischen oder normativen Überlegungen einsetzt, sondern mit einer Erklärung dessen, was "das Wort Gemähl" meine. Erst nach dieser etymologischen Bestimmung und erst, nachdem Harsdörffer in der Repräsentationsleistung der Bilder ihre zentrale Bestimmung fixiert hat, werden jene Themenfelder entfaltet, die innerhalb der frühneuzeitlichen Überlegungen zur Malerei immer wieder eine Rolle gespielt haben: Geschichte der Gattung, Paragone, Inventio, Rhetorik, Historia etc. Michael Thimann kann in seinem Kommentar sehr schön zeigen, wie sehr sich diese konzentriert vorgetragenen Gedanken Harsdörffers mit Überlegungen in seinen anderen Veröffentlichungen und mit den verschiedenen theoretischen Positionen antiker und frühneuzeitlicher Kunstliteratur verbinden lassen. In Vielem folgte der Nürnberger Autor bei seiner Kompilation den seit Alberti bekannten Argumentationsmustern, die sich bei ihm in der Triade von "ars", "opus" und "artifex" entfaltet.

Wahrscheinlich ist es der als Einführung gedachten Publikation Abraham Bosses zur Radierkunst geschuldet, dass Harsdörffer sein Thema in so deutlicher Weise konzentriert und systematisiert. Diese wird nicht allein die zeitgenössische Leserschaft dankbar aufgenommen haben, auch heute noch liest sich dieser Text als eine sehr stringente Hinführung und Übersicht zu dem, was im 17. Jahrhundert in der deutschsprachigen Kunstliteratur zur Malerei erörtert wurde. Auf das, was über die im "Discurs" dargestellten Themen hinausweist und was Harsdörffer in seinen anderen Schriften zu den Bildkünsten abhandelt, weist Michael Thimann nachdrücklich hin. Hier, vor allem in den "Frauenzimmer Gesprächsspielen" (1644-57) und in seinem "Lehrgedicht" "Nathan und Jotham" (1650-51), wird Harsdörffers Interesse an einer Malerei deutlich, das sich als entscheidender Teil eines gleichermaßen geselligen wie gebildeten Kunstdiskurses versteht.

Die überaus gelungene Edition des "Kunstverständige[n] Discurs[es]" von Philipp Harsdörffer füllt damit nicht allein eine bisherige Leerstelle unserer Betrachtung der Kunstliteratur des 17. Jahrhunderts. Sie bietet auch die Möglichkeit, die von Harsdörffer immer wieder thematisierten Vermittlungen zwischen der theoretischen Bestimmung der Malerei als eine besondere künstlerische Gattung und der rhetorisch-kommunikativen Ausrichtung einer solchen Erörterung in einen größeren bildtheoretischen und kulturgeschichtlichen Kontext zu stellen.

Ulrich Schütte