Rezension über:

Ronald D. Gerste: Amelia Earhart. Der Traum von grenzenloser Freiheit, Regensburg: Friedrich Pustet 2009, 200 S., ISBN 978-3-791-72245-0, EUR 14,90
Buch im KVK suchen

Rezension von:
John Andreas Fuchs
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
John Andreas Fuchs: Rezension von: Ronald D. Gerste: Amelia Earhart. Der Traum von grenzenloser Freiheit, Regensburg: Friedrich Pustet 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3 [15.03.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/03/17485.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Ronald D. Gerste: Amelia Earhart

Textgröße: A A A

"Für mich ist Spaß ein unverzichtbarer Bestandteil der Arbeit"; nicht nur Amelia Earhart betonte in ihrem 1932 veröffentlichten Buch "The Fun of It: Random Records of My Own Flying and of Women in Aviation" die große Bedeutung, die der Spaß am Fliegen für sie hatte. Auch der vorliegenden Biografie Earharts merkt man an, dass dem Wissenschaftsjournalisten Ronald D. Gerste das Schreiben sichtlich Vergnügen bereitete, gilt seine Vorliebe doch der englischen und amerikanischen Geschichte. Schon 2008 hatte Gerste mit "Abraham Lincoln: Begründer des modernen Amerika" eine Biografie einer großen amerikanischen Persönlichkeit für die breite Öffentlichkeit verfasst, und im selben lockeren, mit Anekdoten angereicherten Erzählstil setzt er sich nun mit dem Mythos Amelia Earhart auseinander. Earhart ist insofern für ihn keine Unbekannte, dass er ihr bereits 2002 ein ausführliches Kapitel in seinem Werk "Defining Moments: Amerikas Schicksalstage" gewidmet hat. [1] Im vorliegenden Band beschäftigt er sich nun mit ihrem Leben im Detail und richtet sein Augenmerk auch auf die Geburt des "Mythos Amelia Earhart". Ebenso zeichnet er ein kurzes, aber detailliertes Bild der amerikanischen Luftfahrt- und Kulturgeschichte, vor deren Hintergrund er Earharts Ziele und Träume beleuchtet.

In zwölf knappen Kapiteln wird der Leser chronologisch durch Amelia Earharts Leben geführt, von ihrer Geburt im kleinen Städtchen Atchison, Kansas bis zu ihrem Verschwinden am 2. Juli 1937 irgendwo über dem Pazifik. Dabei knüpft Gerste allerdings ein Netz aus immer wiederkehrenden Themen und Motiven im Leben der Pilotin; er zeigt die Einzelgängerin, die ihr Leben lang zu braunen Kleidungsstücken tendierte, "the girl in brown that walks alone" (16), die Draufgängerin mit ihrer Vorliebe für auffallend, poppig lackierte Autos und Flugzeuge, wie ihre rote Lockheed Vega, aber auch die Sozialarbeiterin und Feministin Amelia Earhart. In all den verschiedenen Facetten ihres ereignisreichen Lebens kann sich der Leser nur aus der von Earhart selbst bevorzugten Vogelperspektive und mithilfe der von Gerste gekonnt hervorgehobenen wiederkehrenden Motive zurechtfinden. Zu den wiederkehrenden Motiven zählen, unter anderem, der Alkoholismus des Vaters sowie mehrerer Kollegen und Navigatoren, Earharts schon als Kind gezeigter Wagemut und ihr Drang nach Freiheit. Konzentriert man sich auf eine Facette, meint man die Biografie mehrerer Personen zu lesen.

Denselben Ehrgeiz, der für "das Mädchen aus der Prärie" (9) den Traum vom Fliegen Wirklichkeit werden ließ, setzte Earhart auch in ihrem Engagement für die Gleichstellung und Unabhängigkeit der Frauen ein. Sie war der Ansicht, dass es "keinen fundamentalen Unterschied zwischen Mann und Frau [gibt], der verhindern könnte, dass Frauen beim Fliegen dieselbe Freude haben können wie Männer", und sah das Fliegen als Instrument, mit dem "vielleicht die Diskriminierung der amerikanischen Frau überwunden werden konnte" (64). Sie war Gründungsmitglied des Pilotinnenverbandes "Ninety-Nine", beriet als Gastdozentin der Purdue University Studentinnen in Karrierefragen, und nutzte ihren Ruhm und ihre Freundschaft zu Eleanor Roosevelt, um sich für die Rechte der Frauen stark zu machen. Ihrer Schwester Muriel schenkte sie zur Hochzeit ein Buch zur Empfängnisverhütung und nahm ihrem eigenen Ehemann George P. Putnam das Versprechen ab, sie gehen zu lassen, wenn sich die Ehe nach einem Jahr als nicht erfolgreich erwies und betonte in einem Schreiben in der Nacht vor der Hochzeit ihre Unabhängigkeit.

Neben dieser Amelia Earhart, die von "first" zu "first" jagte, einen Rekord nach dem anderen aufstellte, als erste Frau solo den Atlantik überquerte und sich den ungeliebten Spitznamen "Lady Lindy" verdiente, gab es das "kleine weiße Pferd im Zirkus" (85), wie sie sich selbst einmal bezeichnete. Von ihrem Manager und Ehemann George P. Putnam wurde sie professionell als Werbefigur für Zigaretten, Kaugummis, Mode und Fluglinien aufgebaut. Zudem musste sie sich auf Flugshows und Vortragstouren vermarkten. Gerste zeichnet sehr schön den Widerspruch zwischen dem Wunsch unabhängig zu sein und dem Zwang Geld für neue Flugzeuge verdienen zu müssen. Dass Earhart dabei auch noch die Gier nach Aufmerksamkeit ihres Ehemannes befriedigte und sich so eventuell zu ihrem letzten großen, verhängnisvollen Abenteuer hinreißen ließ, lässt den Menschen hinter dem (selbst)geschaffenen Mythos besonders deutlich hervortreten. Mit der Geburt des Mythos Amelia Earhart und ihrem Verschwinden am 2. Juli 1937 beginnt und beendet Gerste seine kurze Earhart-Biografie. Auf die verschiedenen Verschwörungstheorien geht er zwar ein und berührt sogar kurz einen weiteren amerikanischen Mythos, Pearl Harbor, aber auch hier blieben die Person und die bekannten Fakten im Vordergrund und Spekulationen bleiben anderen, wie Hollywood-Produzenten, überlassen. Kurz umreißt der Autor die "beiden Schulen" der Earhart-Forschung, die eine, die Earharts Erschöpfung als Grund ihres Verschwindens sieht, und die andere, die einen geheimen Spionageauftrag der US-Regierung über japanischem Gebiet vermutet (159ff.). Bevor Gerste in einem Anhang noch kurz zu Earharts Nachleben in Filmen und Denkmälern kommt, erteilt er der Pilotin mit "Courage", einem ihrer Gedichte, selbst das Wort: "Courage is the price that / Life exacts for granting peace" (164). Die Dichterin, eine weitere Facette einer schwer in eine Schablone zu pressenden Frau.

Amelia Earharts Bemerkung "Flying might not be all plain sailing, but the fun of it is worth the price" trifft auch auf das vorliegende Buch zu: Gerstes Werk bringt zwar keine wirklich neuen Erkenntnisse über die weltbekannte Pilotin und ihr Verschwinden, aber er schafft es, anders als Monika Keuthen und Klaus Schulte in ihren Werken [2], Amelia Earhart als ganze Person mit all ihren Facetten und Widersprüchen einer deutschsprachigen Leserschaft näherzubringen. Die Lebendigkeit, mit der Earhart und ihre Zeitgenossen, allen voran Charles Lindbergh, Eleanor und Franklin D. Roosevelt, den Lesern vor Augen treten, lassen einen über kleinere, zum Teil sprachliche Fehler hinwegsehen: so heißt Mark Twain nicht "Samuel Clemens Longhorne", sondern Samuel Langhorne Clemens und er war eher Autor als "Poet" (9). Ebenso ist es treffender eine von Amelia Earharts zahlreichen, zur Finanzierung ihres Traums ausgeübten Tätigkeiten als Masseurin, denn als "Masseuse" (21) zu bezeichnen, auch war wohl eher ihr Haar häufiger "windzerzaust" und nicht das "Cockpit" (99). In der Bildunterschrift zum "Gedenkstein für die Fliegerin im Valhalla (!) Memorial Park von North Hollywood" (165) wäre der Hinweis, dass die Gedenktafel Teil des "Portals of the Folded Wings" ist, einem Denkmal und letzter Ruhestätte für 24 Luftfahrtpioniere, sinnvoller gewesen als das Ausrufezeichen hinter "Valhalla". Ebenso unkommentiert bleibt das falsche Geburtsdatum, 1898 statt 1897, auf der Gedenktafel.

Dass in Gerstes Band neben Amelia Earharts Traum vom Fliegen auch noch die Auf- und Umbruchstimmung in den USA ihrer Zeit erlebbar werden, macht das Buch für eine breite, interessierte Leserschaft uneingeschränkt empfehlenswert.


Anmerkungen:

[1] Ronald D. Gerste: 2. Juli 1937 - Ein amerikanischer Mythos. Amelia Earhart, Flugpionierin und Frauenrechtlerin, in: ders.: Defining Moments. Amerikas Schicksalstage, Regensburg 2002, 181-191.

[2] Monika Keuthen: Fliegen heißt, ganz frei zu sein - Amelia Earhart, Berlin 2001; Klaus Schulte: Das Earhart Mysterium, Köln 2007.

John Andreas Fuchs