Rezension über:

Thomas Winkelbauer: Gundaker von Liechtenstein als Grundherr in Niederösterreich und Mähren. Normative Quellen zur Verwaltung und Bewirtschaftung eines Herrschaftskomplexes und zur Reglementierung des Lebens der Untertanen durch einen adeligen Grundherren sowie zur Organisation des Hofstaats und der Kanzlei eines "Neufürsten" ... (= Fontes rerum Austriacarum; Bd. 19), Wien: Böhlau 2008, X + 559 S., ISBN 978-3-205-77795-3, EUR 69,00
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Rezension von:
Matthias Schnettger
Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Schnettger: Rezension von: Thomas Winkelbauer: Gundaker von Liechtenstein als Grundherr in Niederösterreich und Mähren. Normative Quellen zur Verwaltung und Bewirtschaftung eines Herrschaftskomplexes und zur Reglementierung des Lebens der Untertanen durch einen adeligen Grundherren sowie zur Organisation des Hofstaats und der Kanzlei eines "Neufürsten" ..., Wien: Böhlau 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 7/8 [15.07.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/07/17890.html


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Thomas Winkelbauer: Gundaker von Liechtenstein als Grundherr in Niederösterreich und Mähren

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Der ausladende Untertitel charakterisiert Inhalt, Charakter und Wert des vorliegenden Bandes treffend. Es handelt sich um die Edition von Ordnungen, Instruktionen und Patenten etc. Fürst Gundakers von Liechtenstein aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Diese Quellen lenken die Aufmerksamkeit darauf, dass Verwaltung auf der lokalen Ebene bis weit ins 18. Jahrhundert zumeist weniger landesfürstliche als grund- bzw. gutsherrliche Administration meinte und dass sich diese nicht in der Umsetzung vorgegebener landesherrlicher Regelungen erschöpfte, sondern selbst eine beachtliche Normsetzungskompetenz bewahrte.

Gundaker von Liechtenstein (1580-1658) gehört mit seinen Brüdern zu einer Gruppe adeliger Aufsteiger, die sich in der Krise des frühen 17. Jahrhunderts durch eine prononcierte Loyalität gegenüber dem Haus Habsburg auszeichneten. Sie profitierten davon durch den Erwerb großer Güter in den Ländern der böhmischen Krone, durch das Erlangen hoher Ämter am Kaiserhof und durch Standeserhöhungen. Gundaker selbst war langjähriger Geheimer Rat Ferdinands II. und Ferdinands III., gehörte somit zum engsten Zirkel der Macht am Kaiserhof und wurde 1623 in den Reichsfürstenstand erhoben. Seitdem war Gundaker zugleich "Fürst und Fürstendiener" und dies ist eine der Ursachen, die eine Beschäftigung mit seiner Person so lohnend macht, wie Thomas Winkelbauer bereits vor etlichen Jahren in seiner ausführlichen Biografie des Liechtensteiners gezeigt hat. [1]

Leider hat Winkelbauer es versäumt, der Quellenedition eine kurze Biografie des Fürsten voranzustellen, sodass der nicht einschlägig vorbelastete Benutzer genötigt ist, sich diese und andere Informationen, die zur Einordnung der Quellen wichtig sind, wie etwa, aus welchen Gütern sich der Herrschaftskomplex Gundakers überhaupt zusammensetzte und wo diese lagen, mühsam aus den Einleitungstexten zusammenzusuchen oder, falls er dort nicht fündig wird, gleich auf Winkelbauers Biografie zurückzugreifen.

Dieses Manko erklärt sich offenbar daraus, dass der Bearbeiter, um trotz anderweitiger Beanspruchung ein Erscheinen der bereits in den frühen 1990er Jahren für die Publikation aufbereiteten Quellen überhaupt zu ermöglichen, genötigt war, sich für die Einleitung im Wesentlichen mit einem "Recycling" älterer, jedoch mit Blick auf die vorliegende Edition überarbeiteter Texte zu begnügen (Vorwort, 1). Diese bieten eine eher allgemeine Einführung in die Strukturen der Verwaltung hochadliger Güter in den habsburgischen Landen, in die inhaltlichen Dimensionen - "gute Policey" und katholische Konfessionalisierung - dieser Verwaltung und, recht knapp, in "Hofstaat und Hofhaltung der österreichischen Neufürsten im 17. Jahrhundert" (101-107). Daran schließen sich Angaben zur Überlieferung - die edierten Quellen stammen fast ausschließlich aus dem liechtensteinischen Hausarchiv mit seinen Standorten in Vaduz und Wien - sowie zu den Editionsgrundsätzen an.

Nach dem Gesagten überrascht es nicht, dass auch der wissenschaftliche Apparat schlank ausgefallen ist. Eingeleitet werden die einzelnen Stücke durch Angaben zur Textgrundlage. Es gibt zahlreiche Buchstabenanmerkungen, die der Textkritik dienen, jedoch nur ganz vereinzelt Ziffernfußnoten, die einen Sachkommentar bieten. Das ist umso bedauerlicher, als es auch keine einleitenden Regesten gibt, die dem Benutzer die Einordnung der Quellen erleichtern könnten. Immerhin werden diese durch ein umfangreiches Glossar (530-551) sowie ein Personen- und ein Ortsregister erschlossen. Ein umfängliches Quellen- und Literaturverzeichnis (484-529) weist den Weg zu weiteren Informationen.

All diese Monita vorangeschickt, hat der Band dennoch eine Menge zu bieten: Die Edition umfasst 99 Stücke, die sich nach Umfang und Inhalt stark voneinander unterscheiden. Am Anfang stehen zwei Policeyordnungen für die Herrschaft Wilfersdorf (Niederösterreich), eine ältere Johanns (VI.) von Liechtenstein von 1551 (Nr. 1, 119-123), und eine wesentlich umfangreichere, die auf Hartmann II., den Vater Gundakers, zurückgeht, von Letzterem aber 1601 in überarbeiteter Fassung übernommen und bis in die 1630er Jahre weiterbearbeitet wurde (Nr. 2, 123-164). Diese dokumentiert den binnen eines halben Jahrhunderts enorm gewachsenen Regelungsbedarf bzw. -willen des Grundherrn nachdrücklich und kann sich nicht nur hinsichtlich des Umfangs, sondern auch von der Fülle der behandelten Themen her durchaus mit landesfürstlichen Policeyordnungen der Zeit vergleichen lassen. Den Untertanen werden unter anderem der regelmäßige Gottesdienstbesuch, die Einhaltung des gerichtlichen Instanzenzugs, die Beachtung des Mühlenzwangs auferlegt, Gotteslästerung, Hurerei und Unzucht sowie Glücksspiel dagegen untersagt. Des Weiteren finden sich Bestimmungen zu Handwerk, Testamenten, Waisen, Brandbekämpfung etc.

Die zweite, wesentlich umfangreichere Abteilung der Edition enthält Instruktionen für unterschiedliche Amtsträger wie Pfleger, Rentschreiber, Bierschreiber, Kastner, Kellner, Förster und "Fasangärtner" (Nr. 26, 278-281) in unterschiedlichen liechtensteinischen Besitzungen, die einen guten Einblick in deren vielfältige Aufgaben gewähren, aber auch Informationen zu Bestallung und Entlohnung bieten.

Der folgende Abschnitt beinhaltet "Die Wirtschaft und die Untertanen betreffende Ordnungen, Patente, Dekrete und Befehle (in Auswahl)" (318-425), eine recht unspezifische Überschrift, unter der dann auch normative Quellen zu sehr unterschiedlichen Themenbereichen versammelt sind. Damit wird der Überblick über die vom adligen Grundherrn als regelungsbedürftig betrachteten Gegenstände erweitert und vertieft. Es finden sich zahlreiche Informationen zu verschiedensten Bereichen der ländlichen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, wie den Frondiensten (Nr. 37-40, 359-367), den Mauten (Nr. 52-25d, 391-400) oder auch der Seuchenbekämpfung (Infektionsordnung, Nr. 50, 383-385).

Ein eigener Abschnitt ist "[g]egenreformatorische[n] Mandate[n], Patente[n], Dekrete[n] und Befehle[n]" vorbehalten, ein Themenbereich, der auch in den vorangegangenen Abteilungen bereits gelegentlich angesprochen worden ist. Gundaker, der selbst Konvertit war, war offenbar intensiv bemüht, noch evangelische Untertanen zur Konversion zu nötigen (zum Beispiel Nr. 74, 430f.), "ketzerische" Bücher zu vernichten und fremde Protestanten auszuweisen (Nr. 90, 442f.). Regelmäßig wurden die Untertanen zur Osterbeichte und -kommunion verpflichtet, als Ausweis eines zumindest äußerlichen Bekenntnisses zum katholischen Glauben.

Es folgen vier Kanzlei- und Registraturordnungen und vier Kammer- und Hofstaatsordnungen. Zwar recht knappe Texte, die aber dennoch einen Einblick in den Hof Gundakers von Liechtenstein vermitteln, der umso bedeutsamer ist, als sich für ihn kein Hofstaatsverzeichnis erhalten hat. Das Bestreben, "Ehre, Ruhm und Reputation des Hauses Liechtenstein und seiner Angehörigen" zu befördern (Einleitung, 106), wird nicht zuletzt beim Tafelzeremoniell sichtbar.

Fazit: Man mag es bedauern, dass es der Bearbeiter nicht ermöglichen konnte, den Benutzerinnen und Benutzern einen Service zu bieten, wie er in anderen renommierten Editionen frühneuzeitlicher Quellen - seien es die Reichstagsakten, die Nuntiaturberichte oder die Acta Pacis Westphalicae - üblich ist. Man wird ihm und der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs aber dennoch dankbar sein, dass sie sich entschlossen haben, die Edition in der vorliegenden Form zu veröffentlichen und der Fachwelt auf diese Weise ein vielfältig nutzbares Quellenkorpus zugänglich zu machen.


Anmerkung:

[1] Thomas Winkelbauer: Fürst und Fürstendiener, ein österreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters, Wien / München 1999.

Matthias Schnettger