Rezension über:

Brian J. Boeck: Imperial Boundaries. Cossack Communities and Empire-Building in the Age of Peter the Great, Cambridge: Cambridge University Press 2009, XIII + 255 S., ISBN 978-0-521-51463-7, GBP 55,00
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Rezension von:
Cornelia Soldat
Abteilung für osteuropäische Geschichte, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Cornelia Soldat: Rezension von: Brian J. Boeck: Imperial Boundaries. Cossack Communities and Empire-Building in the Age of Peter the Great, Cambridge: Cambridge University Press 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/09/18137.html


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Brian J. Boeck: Imperial Boundaries

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Die vorliegende Studie über die Don-Kosaken fügt sich ein in eine Reihe von Studien, in denen die Kosaken-Gruppen am Rande des russischen Imperiums in der Frühen Neuzeit untersucht wurden. [1]

Sie schreibt sich in mehrere wissenschaftliche Diskurse ein. In der osteuropäischen Geschichte ist dies zum einen die Untersuchung von Herrschaft und der Entstehung des russischen Imperiums, zum anderen die Untersuchung von Randgruppen im Gegensatz zur Untersuchung der Großrussen. In einem weiteren Rahmen geht es jedoch um den historischen Diskurs der Grenze und des Grenzlandes, die nun auch im deutschen Bereich stark untersucht werden. [2] Die aus dem angloamerikanischen Raum stammenden Border studies untersuchen nicht nur Grenzziehungen, sondern auch Grenzregionen, bzw. mit dem Grenzraum (Frontier im Gegensatz zu Border) die Entstehung von fassbaren Grenzen. Der Grenzraum bringt hierbei eine eigene Kultur hervor, die von Kulturen beiderseits einer noch nicht fest umrissenen Grenze beeinflusst ist.

Der Autor Brian Boeck, Professor für Geschichte an der DePaul Universität in Chicago, beschreibt die Geschichte der Festlegung einer Grenze im Don-Gebiet und die Teilhabe der das Don-Gebiet bewohnenden Bevölkerung an dieser Geschichte im 17. und frühen 18. Jahrhundert. Sein Augenmerk liegt hierbei zum einen auf dem Anteil, den die Bevölkerung der Don-Region an der Grenzziehung in der Steppe und damit der Abgrenzung des russischen Imperiums nach Süden hin hatte.

Er beschreibt eindrucksvoll, wie an der russisch-türkischen Grenze in der Nähe von Azov zunächst Grenzlinien gezogen werden und schließlich zum ersten Mal in Europa ein Pass- und Grenzpostensystem eingeführt wird. Zum anderen beschreibt er, wie aus den Männern, die seit dem 15. Jahrhundert die südlichen Regionen der Rus' im Grenzgebiet gegen andere Völker abschirmten, ein eigenes Ethnos wird.

Boeck zeigt auf, wie sich die Lebenssituation der Kosaken in der Grenzregion ändert. Die multiethnischen Gruppen von Männern, die im Wesentlichen von Raubzügen und der Lebensmittelunterstützung des Zaren lebten, werden im 17. Jahrhundert Familienverbände, die sich nicht mehr durch Zulauf vermehrten und zum Ackerbau übergingen. Im 18. Jahrhundert schließlich grenzen sich die Kosakenverbände vehement vom Russentum ab und schließen mit dem Zaren ein eigenes Abkommen (separate deal). Auf diese Weise formierten sich die Kosaken als ein Ethnos und vermieden es, im Imperium unter die Jurisdiktion und damit auch in das System der Leibeigenschaft des Zentrums zu geraten. Sie zahlten dafür den Preis, dass sie außer dem Militärdienst praktisch keinen Beruf ausüben konnten.

Der Autor unterstützt seine Studie durch Quellentexte aus fünf verschiedenen Archiven, aus denen er längere Passagen wörtlich zitiert, wo sie seine Aussagen besonders sinnbildlich untermalen. Besonders überzeugend ist Boecks Miteinbeziehung der Kommunikationswege seiner untersuchten Texte und seine Analyse der Kommunikationssituationen und -strategien. So beschränkt er sich nicht auf die Darlegung der Tatsachen von der Oberfläche der Texte, sondern untersucht, ob ein Text seinen Kommunikationspartner tatsächlich erreicht hat, wie er verstanden worden ist und was der Text über die generelle Politik der Verfasser aussagt.

Die von Boeck herangezogenen Quellentexte unterstützen auch eine seiner zentralen Thesen, nämlich dass die Grenze zwischen Russland und dem Osmanischen Reich im frühen 18. Jahrhundert geschrieben wurde. Die Grenzziehung, die bestens dokumentiert ist, fand zunächst schriftlich und erst später, als man sich über die Interpretation des Textes geeinigt hatte, wirklich statt. Die Einführung von Dokumenten, die den Grenzübertritt erlauben und die Inhaber ausweisen, schließt den Prozess der Grenzziehung ab.

Boeck zeigt einleuchtend, wie die Donkosaken den Wandel der Donregion von einer Frontier-Situation zu einer Grenzlandsituation (Border) dadurch überlebten, dass sie sich ethnisch abschotteten und den Dienst beim Zaren als Privileg annahmen.


Anmerkungen:

[1] S. u.a. Michael Khodarkovsky: Russia's Steppe Frontier. The Making of a Colonial Empire, 1500-1800, Bloomington u.a.: Indiana University Press 2002 (= Indiana-Michigan series in Russian and East European Studies); Ders.: Where Two Worlds Met. The Russian State and the Kalmyk Nomads 1600-1771, Ithaca, NY u.a.: Cornell University Press 1992; Christoph Witzenrath: Cossacks and the Russian Empire, 1598-1725. Manipulation, Rebellion and Expansion into Siberia, London u.a.: Routledge 2007 (= Routledge studies in the history of Russia and Eastern Europe; 8); Sergei Plokhij: The Origins of the Slavic Nations. Premodern Identities in Russia, Ukraine and Belarus, Cambridge u.a.: Cambridge University Press 2006.

[2] Der Historikertag 2010 hat eine ganze Reihe von Sektionen, die der Frage der Grenzen gewidmet sind. Vgl. http://www.historikertag.de/Berlin2010/index.php/wissenschaftliches-programm/sektionsuebersicht (Besucht am 20.7.2010).

Cornelia Soldat