Rezension über:

James L. Larson: Reforming the North. The Kingdoms and Churches of Scandinavia, 1520-1545, Cambridge: Cambridge University Press 2010, XV + 534 S., ISBN 978-0-521-76514-5, GBP 65,00
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Rezension von:
Tore Nyberg
Syddansk Universitet, Odense
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Tore Nyberg: Rezension von: James L. Larson: Reforming the North. The Kingdoms and Churches of Scandinavia, 1520-1545, Cambridge: Cambridge University Press 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 1 [15.01.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/01/18418.html


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James L. Larson: Reforming the North

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James L. Larson, Professor Emeritus der Skandinavischen Sprachen an der University of California, Berkeley, hat mit diesem Werk eine der seltenen Fortsetzungen der im 19. Jahrhundert praktizierten, erzählenden Darstellungsweise der Geschichte Skandinaviens zur Zeit der Reformation vorgelegt. Nach einer hundertseitigen Beschreibung der Regierungszeit Christians II. (35-136) wird die Epoche der Könige Frederik I. und Gustav Eriksson Vasa, des dänischen Bürgerkrieges (sogenannte "Grafenfehde") und der ersten Aufstände in Schweden in kurzen Sätzen und mit ebenso knappen Fußnoten geschildert. Auf Seite 390 erreicht der Leser den Sieg Christians III. 1536, der Rest bis Seite 505 ist den unmittelbaren Folgen der Machtübernahme der beiden Könige für die drei nordischen Königreiche gewidmet. Es ist ein faszinierendes Leseerlebnis, auf den Spuren der großen Klassiker der Geschichtsschreibung zu dieser Epoche zu wandeln, nach Arild Huitfeldt (1596-99) eines C.F.Allen (1864-73), eines Erslev, Hjärne, Lönnroth, Paludan-Müller, Waitz, Westman, nicht zu reden von den großen Leistungen der folgenden Zeit, wie Christensen, Dahlerup, Enemark, Hammarström, Schwarz Lausten, Ladewig Petersen, Skyum-Nielsen, Yrwing, Österberg. Analytische Abschnitte über einzelne Quellen fehlen ganz, das Gesamtergebnis ist in der fortlaufenden Darstellung verpackt. Larsons Arbeit demonstriert, dass die Vermittlung der Ergebnisse moderner Geschichtswissenschaft nicht notwendigerweise erfordert, dass die eigentliche Quellenanalyse Eingang in die Darstellung findet.

Auf den hundert einführenden Seiten schildert Larson Christian II. als den letzten, machtvollen, aber gewalttätigen König der nordischen Union, dem das rechte Augenmaß in einem solchen Grad abging, dass ihm trotz zukunftsweisender Initiativen am Ende kein Erfolg vergönnt war. Larson sieht bei Christian II. einen entscheidenden Realitätsverlust besonders nach der Krönung in Stockholm 1520, obwohl er darauf hinweist, dass sein Hang zur rohen Gewalt das Niveau manch anderer Fürsten seiner Zeit kaum erreichte. Gegenüber den fortschrittlichen Gedanken Christians II. zur städtischen Wirtschaft und Handel wird die Lethargie seines Onkels und Nachfolgers, des Königs Frederik I., hervorgehoben. Neu wirkt bei Larson besonders die Parallelführung der Geschichte Frederiks mit der Gustav Vasas. Bei beiden sieht er deren Mangel an Legitimität als Grund ihres Misstrauens gegenüber den europäischen Mächten sowie auch gegen einander. Die Geschichte Norwegens wird als unaufhaltbarer Abstieg von einem souveränen Königtum zu einem besetzten Land verfolgt und an der Politik und am persönlichen Schicksal des Vorsitzenden des norwegischen Reichsrates Erzbischof Olav Engelbrektsson (gestorben 1537) demonstriert. Dem kaiserlichen Widerstand gegen die Legitimität der beiden "Usurpatoren" Frederik und Gustav wird der sinkende Stern Christians II. gegenübergestellt, besonders seit dessen Invasion in Norwegen, die in Larsons Darstellung am Mangel an persönlichem Mut und Entschlossenheit des Königs scheiterte.

Eine durchgehende These in Larsons Darstellung ist, dass die kirchliche Reformation eine ziemlich geringe Rolle im Gesamtgeschehen der behandelten Zeitepoche gespielt habe. Larson schreibt eine säkulare Geschichte der Reformation Skandinaviens. Er sieht die dänischen Bischöfe schon durch die Neuernennungen unter Christian II. als neutralisiert, ihre Absetzung und Gefangennahme 1536 zusammen mit ihren von Frederik I. ernannten Nachfolgern eher als Formalität und Symbol, denn schon seit dem Tode Frederiks 1533 hatten sie sich an dem neuen Fürstenstaat als Hüter der Religion orientiert. Larson dringt nicht tiefer in katholische Volksreligion und Volksfrömmigkeit ein. Den Epochenwechsel verlegt Larson auf die Ebene des neuen Fürstenstaats. Schon die illegitime oder für illegitim gehaltene Machtübernahme 1523 bedeutete nach ihm eine Herausforderung ohnegleichen zur Konzentration der Ressourcen des Königtums, um die eigene Machtposition zu verteidigen und eine neue Legitimität zu schaffen. Die Konfiskation von Gold und Silber aus den Kirchen erscheint als eine beide Könige Frederik und Gustav im gleichen Grad kennzeichnende Maßnahme, obwohl die Dokumentation für Schweden besser ist. Die Heranziehung des wirtschaftlichen Potentials der Bistümer in allen drei skandinavischen Königreichen im Dienste der neuen Staatsmacht erfolgte in Schweden grundsätzlich auf dem Reichstag von Västerås 1527, in Dänemark und Norwegen schon unter Christian II. und Frederik I. durch Ernennung von Bischöfen, die bereit waren, mit dem Kirchengut dem neuen Fürstenstaat zu dienen.

Bei der Darstellung der Folgeerscheinungen der Jahre 1536-45 nimmt Larson die Gelegenheit wahr, die Bedeutung der kurzen Epoche deutschen Einflusses auf die schwedische Zentralverwaltung und Kirche unter Konrad von Pyhy um 1540 ausführlich zu schildern und zu bewerten. Larson bezeichnet den Versuch Pyhys, dem unberechenbaren königlichen Auftraggeber durch eigene Initiativen sowohl zuvorzukommen als ihn auch zu übertreffen, als völlig überzogen und - zusammen mit dem Dacke-Aufstand - als Grund für den Rückfall König Gustavs in ältere, patriarchalische Verwaltungsstrukturen, die das schwedische Königtum für Jahrzehnte belasteten. Die Bischöfe seien lediglich Nebenfiguren einer königlichen Politik gewesen, die sich Jahr für Jahr infolge skandinavischer und europäischer Ereignisse verändert habe. Da die Bischöfe in Schweden seit 1527 im Prinzip um ihre materielle Grundlage gebracht waren, und besonders seit die Vertreter der katholischen Hierarchie Brask, Magnus und Haraldsson das Königreich verlassen hatten, seien sie, wie zum Beispiel Laurentius Andreæ, auf Nebenrollen verwiesen gewesen, die sie spielen durften, solange die königliche Politik es erlaubte.

Wenngleich Larson ausführlich auf die Finanzierung der neuen Staaten durch außerordentliche Steuern und Abgaben aller Bevölkerungsschichten an den Reichshaushalt eingeht, vermisst man doch eine Auswertung der persönlichen Bereicherung der beiden Könige Gustav und Christian III., so wie sie 2002 Lars-Olof Larsson für Gustav vorgelegt hat. Als mit der Verteilung des in allen drei Reichen sehr umfangreichen Kirchengutes angefangen wurde, flossen den beiden Staatshaushalten große Vermögensposten zu. Die Folgen wurden später, in Dänemark besonders unter Christians Nachfolger Frederik II., sichtbar.

James L. Larson hat mit diesem Werk die Erforschung der Staatsbildung in den skandinavischen Ländern von einem anderen Blickwinkel her einen großen Schritt vorwärts gebracht, vor allem durch die gesamtskandinavische und zum Teil europäische Perspektive, die in der bisherigen Forschung, allen guten Vorsätzen zum Trotz, oft immer noch national dänisch, schwedisch und norwegisch ausgefallen ist. Es liegt in der Logik der Dinge, dass ein solcher Impuls gerade aus den Vereinigten Staaten kommt, aus deren Perspektive die Ähnlichkeiten der Nationalstaaten Europas untereinander ins Auge fallen. Larson versteht es, immer wieder an die europäischen Parallelen zu erinnern, die für die beiden skandinavischen Könige dieser Jahre das für sie nächstliegende Referenzsystem darstellten. Zugleich ist sein Buch durch seinen Darstellungsstil eine Aufforderung an uns, die quellenbasierte Darstellung auch ohne explizite Quellenanalyse noch besser für die Vermittlung neuer Forschungsergebnisse der Geschichtswissenschaft zu nutzen.

Tore Nyberg