Rezension über:

Laura Miguélez Cavero: Poems in Context. Greek Poetry in the Egyptian Thebaid 200-600 AD (= Sozomena. Studies in the Recovery of Ancient Texts; Vol. 2), Berlin: de Gruyter 2008, XI + 442 S., ISBN 978-3-11-020273-1, EUR 98,00
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Rezension von:
Oliver Schelske
Philologisches Seminar, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Oliver Schelske: Rezension von: Laura Miguélez Cavero: Poems in Context. Greek Poetry in the Egyptian Thebaid 200-600 AD, Berlin: de Gruyter 2008, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 3 [15.03.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/03/17324.html


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Laura Miguélez Cavero: Poems in Context

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In insgesamt fünf Kapiteln untersucht Laura Miguélez Cavero die episch-hexametrische Dichtung innerhalb eines von ihr sowohl chronologisch (3.-6. Jahrhndert) wie topographisch (Ägypten) definierten Rahmens. Das letzte Kapitel stellt eine Zusammenfassung der Ergebnisse dar. Eine tabellarische Übersicht über die behandelten Überlieferungsträger (s.u.), eine ausführliche Bibliographie, ein allgemeines Stichwortverzeichnis ("general index") sowie ein index locorum schließen sich an. Grundlage der Arbeit ist die Dissertation der Verfasserin an der Universität Salamanca aus dem Jahr 2006.

Dezidiertes Anliegen der Verfasserin ist es, das Modell einer "Schule des Nonnos" als obsolet zu erweisen, insofern mit diesem eine persönliche Wirkung des Nonnos auf andere Dichter wie Musaios oder Kolluthos oder gar eine Form direkten 'Unterrichts' bezeichnet werden soll: Wie Nonnos vor allem hinsichtlich der Entwicklung des Hexameters und der Verfeinerung seines Baus nur ein Glied einer langen und bereits in hellenistischer Zeit beginnenden Kette darstelle, so bilde er bezogen auf seine eigene Zeit nur ein Element in einem Geflecht dichterischer Produktion, das Miguélez Cavero in seinen verschiedenen literarischen wie archäologisch-papyrologischen Manifestationen und Entstehungsvoraussetzungen (v.a. dem Schulbetrieb) untersucht.

Äußerer Anhaltspunkt für die Definition des Untersuchungsrahmens und ständiger Referenzpunkt innerhalb der Arbeit ist ein Corpus von insgesamt 60 literarischen Papyri und Inschriften sowie Überlieferungsträgern aus Holz und Pergament. Präsentiert wird ein durchnummerierter Katalog hexametrischer Dichtung, der in knapper Form Auskunft über Edition, weiterführende Literatur, Vermutungen zum jeweiligen Verfasser, Herkunft, Datierung, physische Beschaffenheit und Inhalt jedes einzelnen der angeführten (und sämtlich bereits edierten) Zeugnisse bietet und die Mitte des ersten Kapitels ausmacht (33-79). Zuvor war bereits ein Überblick über die zeitgenössische griechischsprachige Dichtung über Ägypten hinaus (3-5), über die Prosa-Literatur in Ägypten (6-12) sowie über die handschriftlich überlieferten poetischen Werke aus einem (z.T. vermuteten) ägyptischen Kontext (Triphiodor, Nonnos, Musaios, Kolluthos, Kyros von Panopolis und Christodoros von Koptos) gegeben worden (12-33). Eine Übersicht über die Entstehung des Modells einer "Schule des Nonnos", seiner bereits in der Forschung seit langem erfolgten Differenzierung (etwa durch Vian, der den Terminus lediglich unter metrischen Gesichtspunkten verwendet) bzw. seiner Problematisierung und dezidierten Nicht-Verwendung (v.a. bei Wifstrand und String) schließt das erste Kapitel ab (85-99). Wie auch in den drei Folgekapiteln werden die Ergebnisse des Kapitels in einer eigenen Zusammenfassung zusammengetragen (99-105).

Die im ersten Kapitel genannten Dichtungen (unter Einschluss der durch Papyri überlieferten) werden im zweiten Kapitel auf stilistische Gemeinsamkeiten hin untersucht (106-190). Als Kriterien werden die Metrik (106-114), die Verwendung der Adjektive ("how und when", 114-121), das verwendete Vokabular (121-161) sowie poetische und stilistische Charakteristika (161-180) herangezogen. Ein Überblick über die allmähliche Herausbildung einer spätantiken "Poetik" ("Antecedents to late antique poetics", 180-186) schließt das Kapitel ab, wobei auf das Prinzip der poikilía als nicht nur für die Dichtung des Nonnos, sondern für spätantike Dichtung insgesamt wichtiges Kriterium besonderes Augenmerk gelegt wird. Die Annahme einer "Schulfunktion" des Nonnos im engeren Sinne verbiete sich auch in dieser Hinsicht wegen der großen zeitlichen wie räumlichen Disparatheit dichterischer Zeugnisse auch über Ägypten hinaus, die vergleichbare stilistische Merkmale ausweisen (etwa bereits die Oppiane, Agathias, die Schule von Gaza). Letztgenannte werden allerdings nicht in den Untersuchungskontext einbezogen.

Im dritten Kapitel (191-263) untersucht Miguélez Cavero die Rolle von Kultur und Erziehung als einer wesentlichen Entstehungsbedingung für Dichtung in Ägypten allgemein (191-198) und in Panopolis im besonderen (198-210). Den Abschluss des Kapitels bildet ein weitgefächerter und detaillierter Überblick über die Bildungseinrichtungen und Lehrer, aber auch über die Schulinhalte und sozialen Zugehörigkeiten der Schüler in Panopolis (210-260), soweit sie v.a. durch Papyrusfunde der Region demonstriert werden können.

Im vierten und letzten Kapitel wird der Versuch unternommen, den Einfluss der rhetorischen Progymnasmata, der bereits im vorigen Kapitel im Rahmen der rekonstruierbaren Schulinhalte angeklungen war, bis in die dichterische Produktion hinein aufzuzeigen und letztgenannte in den Jahren von 200-600 als in hohem Maße von der Schulung durch grammatikós und rhétor geprägt zu erweisen. Dass darüber hinaus auch mit dem Einfluss persönlicher Neigungen des einzelnen Dichters zu rechnen ist, wird zugestanden (265). Auch die Problematik einer exakten Trennung eines Einflusses durch die Schule von dem durch andere Dichtung (etwa in Form von eigener Lektüre) wird als solche benannt: Die intensive Beschäftigung mit bestehender Dichtung stellt ja einen wesentlichen Aspekt antiken Schulbetriebs dar. Um dessen Wirkmacht zu demonstrieren, trifft Miguélez Cavero eine Auswahl von 'Lerninhalten' verschiedener Progymnasmata, deren Relevanz (und Spuren) in der Dichtung eines Nonnos, Musaios usf. (s. Kapitel 1) untersucht werden. Zugrundegelegt sind dabei v.a. die Progymnasmata des Theon (1. Jahrhundert), Hermogenes (2./3. Jahrhundert), Aphthonios (4. Jahrhundert) und Nikolaos (5. Jahrhundert).

Insgesamt gelingt es der Verfasserin, eine vor allem durch die Einbeziehung der außer-handschriftlich überlieferten Dichtung und ihrer Fragmente bislang so in der Forschungsliteratur nicht vorhandene Darstellung über die (epische) Hexameter-Dichtung ägyptischer Provenienz zu geben. Der Katalog der Papyri und anderen Überlieferungsträger ist insgesamt höchst nützlich und sorgfältig aufbereitet. Ihn auch als Ausgangspunkt für zukünftige Untersuchungen gewonnen zu haben, ist eines der wichtigsten Verdienste der Arbeit von Miguélez Cavero. In der gesamten Arbeit offenbart sich eine außerordentlich gute Kenntnis der reichhaltigen und jeweils relevanten Sekundärliteratur. Gleichzeitig muss die Verfasserin nicht unerhebliche methodische Probleme bewältigen. Drei prinzipiell voneinander unabhängige Komplexe müssen im Rahmen der Untersuchung miteinander in Verbindung gebracht werden: 1) Eine Gruppe von handschriftlich überlieferten Dichtern, die einen Bezug (i.d.R. eine überlieferte Herkunftszuordnung) zu (Ober-) Ägypten und / oder zu Panopolis zu haben scheinen, wobei dieser in manchen Fällen nicht beweisbar (z.B. Musaios: "As there are not any facts about his origin, his close relationship with Nonnus has made scholars think he was Egyptian", 25) oder in seiner Aussagekraft kaum spezifizierbar ist (z.B. Nonnos: "As there is not an entry in the Suda, the only sure fact about him ist hat he was from Panopolis, though his name looks rather Syrian or Palestinian", 15); 2) ein Corpus von (i.d.R. anonymen) Papyri und anderen Überlieferungsträgern, die ihrerseits aus einem klar definierten Kontext (Ägypten) stammen; 3) eine Gruppe von vier Progymnasmata, deren Verfasser mit Ausnahme des Theon von Alexandria wiederum keinen näheren oder sicher nachweisbaren Bezug zu Ägypten oder Panopolis haben, die aber als Folie für den zu rekonstruierenden Schulbetrieb ebendort verwendet werden.

Das Ergebnis der Arbeit zeigt, dass eine solche Aufgabe bewältigt werden kann: Ein wichtiges Ergebnis der Studie besteht darin, dass Miguélez Cavero die Gesamtheit der Hexameterdichtung ägyptischer Herkunft als nicht wesentlich verschieden von anderer spätantiker Dichtung beschreibt, wofür ihrer Auffassung nach der insgesamt (und nicht regional begrenzte) eminent wichtige Einfluss der schulischen Ausbildung sämtlicher spätantiker Dichter die Begründung ist. Die Frage, warum der Schwerpunkt der Arbeit auf der Hexameterproduktion in einem ägyptischen Kontext liegt (die im Titel gegebenen Informationen sind etwas unpräzise), ist deshalb nicht aufgrund dichterischer Kriterien zu beantworten, sondern in erster Linie überlieferungstechnisch: "It has been shown so far that Egypt is not an exceptional or rare case nor is the era extraordinary: what is extraordinary are the conditions of conservations, which allow us to gather medieval manuscripts, ancient inscriptions and papyri, as well as references from other authors, with which we can reconstruct a rich literary panorama [...]." (99) Und weiter: "Egypt did not lack communication with the rest of the Mediterranean, as is clear from a perusal of book 9 in the Palatine Anthology, which gathers compositions that share stylistic and formal traits with the Egyptian poets, Agathias' Cycle and the poems by Paul the Silentiary. We should also remember the so-called school of Gaza and their chief figures Procopius and John of Gaza. All of these display a way of writing poetry that parallels that of the Egyptian authors [...]." (373).

Mit diesen Ergebnissen der Arbeit vertraut und nicht in Erwartung der Darstellung einer spezifisch 'ägyptischen' Dichtung des 3.-6. Jahrhunderts liest sich Miguélez Caveros Arbeit höchst gewinnbringend und stellt in ihrem weiten Fokus nicht zuletzt durch die Einbeziehung papyrologischer Aspekte eine Bereicherung der Forschungsliteratur zur spätantiken Dichtung dar. Getrübt wird der positive Eindruck lediglich durch leider zahlreiche Druckfehler, die inkonsequente Verwendung von Übersetzungen griechischer Texte sowie manche Unachtsamkeit im Satz (pathoi als Plural für pathos, De sublime statt De sublimitate u.ä.).

Oliver Schelske