Rezension über:

Lothar Schilling: Das Jahrhundert Ludwigs XIV. Frankreich im Grand Siècle 1598-1715 (= Geschichte kompakt), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010, VII + 152 S., ISBN 978-3-534-17428-7, EUR 14,90
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Rezension von:
Thomas Nicklas
Université de Reims Champagne-Ardenne
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Nicklas: Rezension von: Lothar Schilling: Das Jahrhundert Ludwigs XIV. Frankreich im Grand Siècle 1598-1715, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 3 [15.03.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/03/18682.html


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Lothar Schilling: Das Jahrhundert Ludwigs XIV.

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Der Buchtitel versteht sich ausdrücklich als eine Reverenz an Voltaire, dessen 1751 in Berlin veröffentlichtes Siècle de Louis XIV die erste Gesamtdarstellung dieses Zeitraums französischer Geschichte war und die bis heute gültige Maßstäbe setzte, insofern sie um die Person des Herrschers im Mittelpunkt ein weit ausholendes Panoramabild der Zeit und ihrer kulturellen Erscheinungsformen entwarf. Lothar Schilling greift zeitlich weiter aus und nimmt das gesamte 'lange 17. Jahrhundert' Frankreichs in den Blick, das mit dem Edikt von Nantes 1598 begann und im Jahre 1715 endete, als der Sonnenkönig weithin unbedauert starb. Nicht nur hatte seine zerstörerische Leidenschaft für die Kriegführung das Land erschöpft, die vom Monarchen mitgeprägten und oft überzeugend verkörperten kulturellen Modelle hatten ihre Prägekraft verloren, so dass nach Ansicht vieler Zeitgenossen ein grundlegender Wandel anstand. Frankreich wird hier völlig zu Recht als Produkt von Herrschaft und Politik aufgefasst, so dass die Darstellung den Hauptlinien der politischen Geschichte folgt. Ein erster Abschnitt umkreist die Grundlagen von Staat, Gesellschaft und Politik. Der zweite Teil behandelt die Position Frankreichs im europäischen Mächtesystem, der dritte stellt die Innenpolitik und die Herrschaftspraxis im Zeitalter der beiden Kardinalminister Richelieu und Mazarin sowie des ihren Maximen verpflichteten Sonnenkönigs dar.

Auf die wiederholt intensiv geführte Diskussion in der Geschichtswissenschaft über den Begriff des Absolutismus wird dabei nur insoweit eingegangen, als dies zur Information eines großen Publikums, an das sich der Band richtet, erforderlich ist. Dies führt zu einer differenzierten Bewertung des Absolutismus-Konzepts, das keineswegs als untauglich zur historischen Kategorienbildung erklärt wird, dessen Nutzen jedoch bei jeder Anwendung zu überprüfen sei. Insgesamt entwirft der Band ein überzeugendes Gesamtbild der politischen, sozialen und institutionellen Ordnung Frankreichs im Zeitalter Ludwigs XIV. sowie der in diesem Rahmen vollzogenen Entwicklungen. Dabei fällt die Gesamtbilanz des Grand Siècle am Ende positiver aus, als es die düstere Krisenstimmung im Todesjahr des Königs vermuten ließe. Trotz drückender Staatsschuld, verschleppter Reformen und eines schleichenden Machtverlusts gegenüber dem Rivalen England ging Frankreich mit guten Zukunftschancen ins 'kurze' 18. Jahrhundert. Wenn die Nachfolger es versäumten, aus den Fehlern Ludwigs XIV. immer die richtigen Schlüsse zu ziehen, so fällt dies ganz in deren Verantwortung. Das bisweilen allzu risikofreudige Handeln des Sonnenkönigs findet jedenfalls bei Lothar Schilling die angemessene kritische Bewertung: "Im Streben um Ehre, Ruhm und Reputation agierte der König mit extrem hohem Einsatz, beinahe wie ein Glücksritter" (100).

Die Darstellung wird von einprägsamen Beispielen in Schwung gehalten, an denen Eigenarten frühneuzeitlicher Staats- und Gesellschaftsordnungen deutlich werden. So stürzte der Minister Michel Chamillart, vom König auch wegen seiner Redlichkeit geschätzt, im Jahre 1709 nicht nur über die Misserfolge im Spanischen Erbfolgekrieg. Er scheiterte auch wegen seiner Unfähigkeit, seine Töchter mit den geeigneten Hofleuten zu verheiraten und so mehr Rückhalt in Versailles zu gewinnen (65). Bei der Beisetzung eines Königs von Frankreich trugen die Präsidenten der Obergerichte (Parlements) keine Trauer, verkörperte die von ihnen vertretene Institution doch den monarchischen Staat, der anders als der König selbst nicht sterblich war (68). Die Bedeutung des Kardinals Mazarin erhellt nicht nur aus der Tatsache, dass er bei seinem Tod 1661 ein unglaublich großes Vermögen hinterließ, sondern auch aus der gewaltigen Anzahl von Flugschriften, in denen während des Fronde-Aufstandes über ihn gelästert wurde, nicht zuletzt über seine hemmungslose Bereicherung (113).

Eine Auswahlbiographie mit den wesentlichen Werken in deutscher, französischer und englischer Sprache rundet den Band ab, der den zentralen Abschnitt französischer Geschichte in der Frühen Neuzeit überzeugend behandelt und dessen Lektüre zumal den Studierenden ans Herz gelegt sei.

Thomas Nicklas