Rezension über:

Frank G. Hirschmann: Die Stadt im Mittelalter (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 84), München: Oldenbourg 2009, XII + 141 S., ISBN 978-3-486-55775-6, EUR 19,80
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Rezension von:
Sabine von Heusinger
Historisches Seminar, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Sabine von Heusinger: Rezension von: Frank G. Hirschmann: Die Stadt im Mittelalter, München: Oldenbourg 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 4 [15.04.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/04/17411.html


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Frank G. Hirschmann: Die Stadt im Mittelalter

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Frank G. Hirschmann legt hier einen Band zur Stadt im Mittelalter in der Reihe "Enzyklopädie deutscher Geschichte" vor. Wer eine fundierte, ausgewogene und aktuelle Einführung sucht, wird leider enttäuscht: Als Einführungsbuch für Studierende ist weiterhin der Band von Felicitas Schmieder "Die mittelalterliche Stadt" vorzuziehen und Eberhard Isenmanns Standardwerk "Die deutsche Stadt im Spätmittelalter" von 1988 bleibt auch in Zukunft unverzichtbar. Die Stärken des zu besprechenden Bandes werden leider von zwei großen Schwächen in den Hintergrund gedrängt: Zum einen die Unausgewogenheit der behandelten Themen und zum anderen der unbrauchbare Forschungsabriss.

Den Vorgaben der Reihe folgend besteht das Buch aus drei Teilen: Einem enzyklopädischen Überblick (knapp 55 Seiten) folgen die Grundprobleme und Tendenzen der Forschung (rund 40 Seiten), am Ende steht ein Quellen- und Literaturverzeichnis mit knapp 500 Titeln. Im Vorwort stellt der Verfasser eine "Untersuchung" [sic!] in Aussicht, die von den antiken Ursprüngen im Westen über die Karolingerzeit bis zum Vorabend der Reformation reicht (XI). Der Untersuchungsraum soll "die Städte innerhalb des römisch-deutschen Reiches (einschließlich der Niederen Lande sowie des Alpenraumes, des französischsprachigen Westens und der deutsch geprägten Städte des polnischen und baltischen Ostens), jedoch ohne Böhmen und Mähren" umfassen (ebd.). Ein stattliches Programm für gut 50 Seiten Text, vor allen Dingen wenn man bedenkt, dass Eberhard Isenmann auf rund 400 eng bedruckten Seiten "nur" die deutsche Stadt im Spätmittelalter behandelt, und dabei - wenn wir Hirschmann Glauben schenken wollten - angeblich nur die Rechts- und Sozialgeschichte und Süddeutschland berücksichtigt hat (56).

Hirschmann strebt also, völlig einleuchtend, eine breite regionale Behandlung des Themas an, welche die regionale Fokussierung ähnlicher Werke überwinden will. Ebenfalls überzeugend ist der gewählte Untersuchungszeitraum von der Antike bis zur Reformation. Tatsächlich behandelt der Verfasser die Zeit der antiken Ursprünge bis zum 10. Jahrhundert gerade einmal auf 5 Seiten und legt seinen Schwerpunkt sehr deutlich auf das Hochmittelalter. Im Abschnitt I 6.1. "Städte als kultische Zentren" (49-51) wird die Reformation nicht einmal pro forma erwähnt. Hirschmann setzt also sein ebenso überzeugendes wie ehrgeiziges Programm nicht um und so müsste der Titel des Bandes eigentlich "Die deutsche Stadt im Hochmittelalter" lauten. Inhaltlich sind viele Abschnitte ausgesprochen gelungen, etwa zu den Juden (sehr knapp Kap. I 2.4), zur Infrastruktur (Kap. I 2.5) und der Überblick zu konkurrierenden Stadtdefinitionen (Kap. II 2); der gesamte Band ist zudem sprachlich sehr ansprechend. Leider stehen diese wertvollen Passagen im Schatten der Mängel des Bandes. Der Eindruck der Unausgewogenheit entsteht erstens durch große thematische Lücken: Sowohl das Verhältnis zwischen Stadt und Adel als auch zwischen Stadt und Kirche wird äußerst stiefmütterlich behandelt; ein Hinweis auf die neuere Ritualforschung, etwa von Gerrit Jasper Schenk zu Herrschereinzügen, fehlt ebenso wie auf aktuelle Studien zur städtischen Geschichtsschreibung, z.B. von Regula Schmid Keeling. Sozialgeschichtliche Fragestellungen zu Randgruppen, Frauen oder Ernährung sucht man ebenfalls vergebens. Eine ausgewogene Darstellung stören schließlich Abschnitte, die nur dem Steckenpferd des Autors gewidmet sind und damit völlig überbetont werden, so z.B. zu Stadtsiegeln (21f., 74f.). Zweitens stört maßgeblich der misslungene Forschungsabriss.

Hirschmann stellt zu Beginn fest, dass "eine enzyklopädische Darstellung zur mittelalterlichen Stadt [...] immer auch den jeweiligen Forschungsstand wider[spiegelt]" (XII). Diese sinnvolle Forderung ignoriert er aber im folgenden Text tunlichst, denn Kap. II "Grundprobleme und Tendenzen der Forschung" lesen sich in großen Stücken wie eine Werbekampagne für seine (ehemaligen und aktuellen) Trierer Kollegen und Kolleginnen, den dortigen SFB und vor allen Dingen für sich selbst. Die wichtigen Beiträge, die von Trier ausgehend maßgeblich die Stadtgeschichtsforschung beeinflusst haben, stehen hier überhaupt nicht zur Diskussion: Franz Irsigler und Alfred Haverkamp, um nur zwei bedeutende Trierer Mediävisten zu nennen, haben gemeinsam mit ihren Arbeitsgruppen zentrale Studien vorgelegt, an deren Bedeutung es keinen Zweifel gibt. Wenn aber ein Nachwuchswissenschaftler wie Hirschmann seine eigenen sechs Beiträge (einschließlich Herausgeberschaften) fast 25 Mal zitiert, jedoch Eberhard Isenmann mit seinem Standardwerk zur deutschen Stadt im Spätmittelalter gerade zweimal in Halbsätzen erwähnt (56 und 71) sowie alle weiteren Forschungsbeiträge dieses einschlägigen Autors ignoriert, ist dies nicht mehr nachvollziehbar. Bei dem hier gepflegten Lokalpatriotismus überrascht auch, wie sehr die Abschnitte zu Stadt und Klerus inhaltlich abfallen (z.B. Kap. I 6.1 und II 6), wo doch mit Sigrid Schmitt eine weitere Kollegin in Trier forscht, die mit ihrer Arbeitsgruppe ebenfalls zentrale Beiträge vorgelegt hat, die überhaupt keine Erwähnung finden. Insgesamt bleibt absolut unverständlich, warum die wegweisenden Forschungen von Gerhard Fouquet oder Klaus Militzer, um nur zwei Beispiele zu nennen, ebenso ignoriert wurden wie aktuelle Beiträge der französischen und schweizerischen Forschung (z.B. Pierre Monnet zu Frankfurt, Olivier Richard zu Regensburg, Simon Teuscher zu Bern oder Regula Schmid Keeling zur Historiographie in der Stadt). Gleiches gilt für ältere Forschungen, die nur äußerst fragmentarisch herangezogen wurden; so werden beispielsweise Carl Czok oder Karl Bosl überhaupt nicht genannt.

Zu guter letzt möchte ich meine Kritik vom Autor weg und zur Reihe hinlenken: Weder den Reihenherausgebern noch der Lektorin (der im Vorwort eigens für ihre sorgfältige Lektorierung gedankt wird) scheinen diese Mängel aufgefallen zu sein. Es drängt sich die grundsätzliche Frage auf, ob es Sinn macht, jüngere Autoren und Autorinnen mit dem Abfassen von Werken zu beauftragen, die einen umfassenden enzyklopädischen Anspruch verfolgen. Gelingt ein solches Werk, ist die Anerkennung der Fachkollegen und -kolleginnen groß; misslingt es jedoch, gibt es viele (und gegebenenfalls auch unverdiente) Prügel. Im vorliegenden Fall blieb der Autor weit hinter seinem Potential zurück - wie schade!

Sabine von Heusinger