Rezension über:

Sönke Lorenz / Peter Rückert (Hgg.): Landnutzung und Landschaftsentwicklung im deutschen Südwesten. Zur Umweltgeschichte im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen; Bd. 173), Stuttgart: W. Kohlhammer 2009, VIII + 242 S., ISBN 978-3-17-020764-6, EUR 25,00
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Rezension von:
Katja Hürlimann
Zürich
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Katja Hürlimann: Rezension von: Sönke Lorenz / Peter Rückert (Hgg.): Landnutzung und Landschaftsentwicklung im deutschen Südwesten. Zur Umweltgeschichte im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Stuttgart: W. Kohlhammer 2009, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 1 [15.01.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/01/16403.html


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Sönke Lorenz / Peter Rückert (Hgg.): Landnutzung und Landschaftsentwicklung im deutschen Südwesten

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Der Band versammelt die Beiträge einer Tagung vom April 2005 zum Thema "Hausbau und Landnutzung im deutschen Südwesten. Umweltgeschichte im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit". Die Veranstaltung präsentierte die Resultate eines interdisziplinären DFG-Projekts zum gleichen Thema, indem der Frage nach Landnutzung und Landschaftsentwicklung aus der Optik der Geschichtswissenschaft, der Bau- und Umweltarchäologie sowie der Archäobotanik nachgegangen wurde. Die traditionell wirtschaftsgeschichtliche Frage nach der Landnutzung wurde somit durch die umweltgeschichtliche nach der Geschichte der Landschaft, nach der Landschaftsentwicklung, ergänzt. Der vorliegende Sammelband geht von der überaus allgemeinen Frage aus, wie "frühere Umwelten bzw. Kulturlandschaften möglichst konkret rekonstruiert" werden könnten. Es war wohl gerade diese offene Fragestellung, die eine gelungene Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus völlig verschiedenen Fachbereichen ermöglichte. So wurden disziplinenübergreifend die Fragen nach Landnutzung und Landschaftsentwicklung im Gebiet der Vorlande der Schwäbischen Alp am mittleren und oberen Neckar, das heißt in der Gegend um Tübingen, bearbeitet. Aus den Beiträgen ist die enge Zusammenarbeit in Konzeption und Analyse zwischen Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Disziplinen erkennbar. Entstanden ist eine vorbildliche interdisziplinäre Studie zur Umweltgeschichte.

Der Blick ins Detail zeigt die Vielfalt, die landschaftsgeschichtliche Untersuchungen aufweisen können: Christine Krämer beschäftigt sich mit dem Strukturwandel im Weinbau des 14. und 15. Jahrhunderts, insbesondere den Veränderungen während der Agrarkrise (21-40). Sie stellt fest, dass der Weinbau gerade in der Agrarkrise bessere Einnahmemöglichkeiten bot als beispielsweise Ackerbau und sich dieser daher auf Kosten von Ackerfläche ausdehnte. Im Verlaufe des 15. Jahrhunderts mussten jedoch Weinbaugebiete wieder aufgegeben werden. Wohl, weil die Böden doch nicht geeignet genug waren, um auch bei verschlechtertem Klima genügend Ertrag zu liefern. Henrik Weingarten untersucht von Urbareinträgen die Landnutzung im Spätmittelalter am Beispiel der zwei Klostergrundherrschaften Zwiefalten und Bebenhausen (41-57). Wie die meisten Beiträge des Bandes geht auch Weingarten vorbildlich auf Möglichkeiten und Grenzen von Urbaren als historische Quelle ein: So sei in diesen die Dreizelgenbrachwirtschaft zwar fassbar, jedoch nicht umfassend, da nur Eingang ins Urbar gefunden habe, was abgabepflichtig war. Wolfgang Willes Untersuchung zielt auf die Rekonstruktion der Getreideerträge im 15. und 16. Jahrhundert (165-177). Er möchte damit das Problem der meisten Agrarhistorikerinnen und Agrarhistoriker lösen, dass es kaum direkte Angaben über Ernteerträge aus der Zeit vor 1800 gibt. Er motiviert zu weiteren Studien, obwohl er selber eingestehen muss, dass die wenigen existierenden Zahlen kaum vergleichbar seien, da diese auf völlig unterschiedlichen Voraussetzungen basierten. Der Beitrag von R. Johanna Regnath beschäftigt sich mit der Schweinemast im Schönbuch (179-197): Schweinen komme vor allem in der Subsistenzwirtschaft eine wichtige Rolle zu, außerdem dienten diese als Zehntabgabe. Im Schönbuch - wie in den meisten Waldungen Zentraleuropas - wurden Schweine bis ins 18. Jahrhundert in Wäldern gemästet. Erst das Primat der Holzproduktion und die damit verbundene rigorose Trennung von Land- und Forstwirtschaft hätten Schweine und Vieh aus den Wäldern vertrieben. Regnath gelingt es in ihrem Beitrag, die Schweinemast anhand der Abgaben an die landesherrliche Obrigkeit nachzuvollziehen. Paul Warde untersucht die Waldungen im Hinblick auf Landnutzung und Landschaftsentwicklung (199-217). Dabei fragt er nach der Struktur der Wälder, der Entwicklung der Kulturlandschaft - die maßgeblich durch die Wälder beeinflusst wird - sowie nach der obrigkeitlichen Regelung der Nutzung. Die Waldungen im Forstamt Leonberg produzierten zwar weniger Holz als benötigt wurde, der Mangel konnte jedoch durch Importe kompensiert werden. Warde zeigt, dass das importierte Holz durch Weinexporte bezahlt werden konnte und beurteilt diese Ökonomie als rationell, da sich die Böden hervorragend für Weinbau eigneten.

Die genannten Autoren und Autorinnen untersuchen die Landnutzung anhand von Schriftquellen und daher in traditioneller historischer Methodik. Damit gibt sich der Band nicht zufrieden: In den Beiträgen von Tilmann Marsteller (59-76) und Elske Fischer / Manfred Rösch (77-98) werden Baumaterialien untersucht. Tilmann Marsteller rekonstruiert anhand der Bauhölzer die zur Verfügung stehenden Waldressourcen. Elske Fischer und Manfred Rösch dagegen gehen von Pflanzenresten in Lehmgefachen für die Rekonstruktion der Kulturlandschaft und angebauten Pflanzen aus. Jutta Lechterbeck und Manfred Rösch ergänzen diese Ergebnisse mit Resultaten aus Pollenanalysen (99-112), wie sie sich in Seen und Feuchtgebieten im Schönbuch bei Stuttgart finden lassen.

Konsequenterweise erfasst der Band nicht nur bewohnte Siedlungen, sondern auch verlassene Siedlungen und offengelassene Felder, sogenannte Wüstungen. Rolf Sprandel geht auf Wüstungsprozesse mit Hilfe von Schriftquellen ein (113-129). Seine Resultate werden ergänzt durch die archäologische Wüstungsforschung. Rainer Schreg beklagt die noch spärliche Forschung und fragt sich dabei, ob es sich tatsächlich um einen einheitlichen Prozess der Wüstung handelte (131-163). Der Band wird abgeschlossen mit einem klimageschichtlichen Beitrag: Rüdiger Glaser und Dirk Riemann führen in die Methodik der historischen Klimaforschung ein (219-232).

Die Bedeutung des regionalgeschichtlich angelegten Bandes geht über das Untersuchungsgebiet hinaus. Nicht zuletzt aufgrund des interdisziplinären Zugangs kann er neue Ergebnisse vorlegen. Es bleibt zu hoffen, dass zu anderen Regionen in nächster Zeit ähnliche Studien entstehen werden, die den Vergleich der Landnutzung unter verschiedenen geographischen Voraussetzungen ermöglichen würden.

Katja Hürlimann