Rezension über:

Karin Althaus / Helmut Friedel (Hgg.): Gabriel von Max. Malerstar, Darwinist, Spiritist, München: Hirmer 2010, 375 S., ISBN 978-3-7774-3031-7, EUR 34,90
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Rezension von:
Elisa Tamaschke
Institut für Kunstgeschichte, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Elisa Tamaschke: Rezension von: Karin Althaus / Helmut Friedel (Hgg.): Gabriel von Max. Malerstar, Darwinist, Spiritist, München: Hirmer 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 3 [15.03.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/03/19206.html


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Karin Althaus / Helmut Friedel (Hgg.): Gabriel von Max

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Mit der Ausstellung "Gabriel von Max. Malerstar, Darwinist, Spiritist" in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau in München wurde dem Künstler 2010 nach vielen Jahrzehnten der Beinahe-Vergessenheit endlich wieder Aufmerksamkeit zuteil.

Schon auf den ersten Seiten des mit der Ausstellung erschienenen Katalogs wird deutlich, dass es sich bei dem vorliegenden Band um ein Maßstäbe setzendes Standardwerk handelt. Internationale Experten haben mit dieser ersten umfassenden monografischen Publikation zum Leben und vielfältigen Schaffen des Künstlers neue wissenschaftliche Grundlagen geschaffen und machen bisher unbearbeitetes Material zugänglich.

Der Katalog ist sehr übersichtlich in die drei Themengebiete "Malerstar", "Darwinist", "Spiritist" eingeteilt. Dem stellt einleitend Karin Althaus, die Kuratorin der Ausstellung und Leiterin des Kataloges, eine Erläuterung zum Phänomen Gabriel von Max und eine detaillierte Biografie voran. Der erstgenannte thematische Komplex widmet sich sehr ausführlich dem malerischen Werk und dessen Bedeutung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ohne Zweifel gehörte Gabriel von Max zu den populärsten Künstlern seiner Zeit, konnte er doch das Publikum mit seinen schönen und sehnsüchtig-entrückt schauenden Frauen zu Tränen rühren. Eingebettet in christliche, literarische, später auch spiritistische Motive verband er die Reinheit der dargestellten Wesen mit kurz aufflammenden Momenten der Erotik und rechnete dabei die Lust des Publikums an Schönheit und Gewalt sicher mit ein. In 19 prägnanten Aufsätze stellen die Autoren die Genesen zahlreicher Bildmotive dar: Märtyrerinnen, Madonnen, Mädchenbilder, tote Frauen und Illustrationen zu Goethes "Faust" werden abbildungsreich im Entstehungskontext analysiert. Auch die geschickte Nutzung der neuen Reproduktionstechniken durch Gabriel von Max, der somit Popularität und Verkäufe steigern konnte, oder malereitechnische Fragen werden behandelt.

Gabriel von Max geriet künstlerisch immer mehr ins Abseits, als die französische Avantgarde anbrach. Seine akademische Malweise war nicht mehr zeitgemäß und seine Produktion von immer gleichen Mädchenköpfen für den Kunstmarkt hatte seinem Ruf geschadet.

Hier greift nun der umfassende Ansatz des Kataloges, Gabriel von Max zwischen den Polen von malerischem Konservatismus und gleichzeitigem Avantgardismus in den Gebieten der Naturwissenschaft zu verorten. Seine Vorstellungswelt soll als Gesamtheit erfahrbar werden. Tatsächlich verstand er die Erforschung des Spiritismus und Okkultismus als Aufgabe der Wissenschaft und suchte, auch als Mitbegründer spiritistischer Gesellschaften, nach Belegen für die Existenz okkulter Phänomene. Unter dem zweiten großen Themenschwerpunkt "Spiritist" also führt Eberhard Bauer in den historischen Kontext der "Modebewegung" des Spiritismus ein; Andreas Fischer präzisiert dies durch seine Ausführungen zur Rolle der noch jungen Fotografie "okkulter" Ereignisse. Susanne Böller behandelt in ihrem Aufsatz die Liebesbriefe Gabriel von Max' mit seiner zweiten Ehefrau, die sie in einer Geheimschrift führten und die bis heute noch nicht vollständig entschlüsselt werden konnten - ein Desiderat, das weitere Forschungen erhoffen lässt.

Ein echtes Herzensanliegen und zentrales Interesse war von Max' schon zu Lebzeiten legendär gewordene naturwissenschaftliche Sammlung, die er mithilfe beinahe der gesamten Malereieinkünfte über Jahrzehnte, wohl auch suchtartig, anlegte. Diese Sammlung wurde nach seinem Tod von der Stadt Mannheim 1917 komplett gekauft und befindet sich heute zum größten Teil im Reiss-Engelhardt-Museum. In enger Zusammenarbeit mit den dortigen Experten wurde der dritte Themenkomplex bearbeitet: Gabriel von Max als Darwinist. Seit seiner Jugend bewegte ihn die Frage nach dem Ursprung des Menschen. Um diesen präzisieren zu helfen, teilte er seine gesammelten Objekte kenntnisreich in eine ethnografische, zoologische und anthropologische und eine prähistorische Abteilung ein. Diese Abteilungen werden anhand konkreter Beispiele, etwa in dem Aufsatz "Schädelgeschichten" von Daniel Möller, Wilfried Rosendahl und Ursula Wittwer-Backofen, aufgearbeitet. Zu den bekanntesten Gemälden des Gabriel von Max gehören die Affenbildnisse, die die Tiere mit menschlichen Zügen zeigen und gleichzeitig die Überlegenheit des "Culturaffen" Mensch hinterfragen. Karin Althaus stellt in "Die Affen: Studienobjekte und Lebensgefährten" die tiefe emotionale und durch postmortale Sezierungen wissenschaftlich durchdrungene Bindung des Künstlers zu diesen Tieren dar. Beigefügt sind dem Text faszinierende, aber auch erschütternde Fotografien der toten und zum Teil sezierten Affen sowie Aufnahmen aus dem alltäglichen Zusammenleben, die die Affen in Menschenkleidung zeigen.

Formuliertes Ziel des Kataloges ist es, möglichst viel des umfangreichen Quellenmaterials zugänglich zu machen. Dies gelingt auf vielfältige Weise. Bisher nicht publizierte oder der Forschung unbekannte Fotografien, Briefe und autobiografische Notizen sind aufgearbeitet worden und für den Leser dieses Bandes in sehr anschaulicher und nachvollziehbarer Darstellung in Text und Bild ausgeführt.

Die bisherige Forschung widmete sich vor allem dem Maler Gabriel von Max: bereits 1890 und 1899 schrieben beispielsweise Nicolaus Mann [1] und Franz Hermann Meissner zwar anekdotisch und schwärmerisch über von Max, doch auf Grundlage von autobiografischen Schilderungen. [2] Diese ergänzen auch im vorliegenden Katalog die Analysen der Autoren, stehen aber separat jeweils am Schluss der Themenschwerpunkte. Den frühen Publikationen folgten nur vereinzelt Aufsätze, wie etwa Harald Siebenmorgens Beitrag "Gabriel von Max und die Moderne". [3] Im Katalog der Schirn Kunsthalle Frankfurt a. M. zur Ausstellung "Darwin: Kunst und die Suche nach den Ursprüngen" analysierte der Archäologe Michael Tellenbach 2009 erstmals die herausragende Bedeutung der naturwissenschaftlichen Sammlung von Max'. Diese Aufarbeitung ist im vorliegenden Katalog weitergeführt worden.

2011 sind dem Münchner Katalog zwei weitere gefolgt, die auf dessen Ergebnissen aufbauen. Die Ausstellung im Lenbachhaus ist von der Westböhmischen Galerie in Pilsen in Teilen übernommen worden und legte im dafür von Alex Filip und Roman Musil veröffentlichten Katalog den Schwerpunkt auf die Bedeutung und Rezeption des Malers in Tschechien und das Verhältnis von Deutschland und Tschechien im 19. Jahrhundert. Das Frye Art Museum in Seattle betonte hingegen die Rezeption des Werkes in den USA.

Mit diesem Ausstellungskatalog ist ein beinahe enzyklopädisches Kompendium zum Leben und Werk des Gabriel von Max gelungen. Wesentliche kulturelle und naturwissenschaftliche Impulse des 19. Jahrhunderts werden anhand dieses besonderen Lebens entfaltet. Zahlreiche, hervorragend reproduzierte Abbildungen lassen das Studieren dieses Bandes zudem zu einem sinnlichen Vergnügen werden.


Anmerkungen:

[1] Nicolaus Mann: Gabriel von Max - eine kunsthistorische Skizze, Leipzig 1890.

[2] Franz Hermann Meissner: Gabriel Max, in: Die Kunst unserer Zeit. Eine Chronik des modernen Kunstlebens, München 1899, 1-32.

[3] Harald Siebenmorgen: Gabriel von Max und die Moderne, in: Festschrift für Johannes Langner, hg. von Klaus Gereon Beuckers / Annemarie Jaeggi, Münster 1997, 215-240.

Elisa Tamaschke