Rezension über:

Olaf Wagener (Hg.): "vmbringt mit starcken turnen, murn". Ortsbefestigungen im Mittelalter (= Beihefte zur Mediaevistik. Monografien, Editionen, Sammelbände; Bd. 15), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010, 450 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-631-60664-3, EUR 74,80
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Rezension von:
Michael Lissok
Caspar-David-Friedrich-Institut, Universität Greifswald
Redaktionelle Betreuung:
Ulrich Fürst
Empfohlene Zitierweise:
Michael Lissok: Rezension von: Olaf Wagener (Hg.): "vmbringt mit starcken turnen, murn". Ortsbefestigungen im Mittelalter, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 3 [15.03.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/03/20634.html


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Olaf Wagener (Hg.): "vmbringt mit starcken turnen, murn"

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Der Sammelband enthält 24 Beiträge. Bei den meisten Texten handelt es sich um die Schriftfassungen von Vorträgen. Diese bildeten den Kern des Programms der 5. Internationalen wissenschaftlichen Tagung in Oberfell a.d. Mosel, die im November 2009 stattfand und mittelalterliche "Ortsbefestigungen" zum Thema hatte. Bewusst wurde hier der Gegenstand der Betrachtungen und Studien möglichst weit aufgefasst und verallgemeinernd formuliert, denn es bestand die Absicht, einen Querschnitt vorzunehmen, der das breite Spektrum befestigter Orte und Plätze des Mittelalters in seiner gesamten Breite und Vielfalt thematisiert und zumindest punktuell beleuchtet; zu diesen zählen nicht allein oder gar ausschließlich Städte, Burgen und Klöster. Ausgehend von dieser Sicht- und Herangehensweise konstatieren die Ausrichter der Tagung sowie Herausgeber des Bandes große Defizite, bedingt durch die in der Forschung und öffentlichen Diskussion weithin noch vorherrschende Selbstbeschränkung auf Einzelobjekte und Objektgruppen, welche Haupttypen des Wehrbaus angehören und präsentieren. Somit steht hinter der Edition dieses Tagungsbandes auch das Bestreben, eine Vorstellung über die enorme Komplexität wie Heterogenität von dem zu bieten, was unter dem Begriff "mittelalterlicher Befestigungen" subsumiert werden kann.

Beim ersten Aufsatz von Thomas Bitterli wird der Leser regelrecht konfrontiert mit einer schieren Fülle an diversen Fortifikationen in Verbindung mit unterschiedlichsten Orts-, Daseins- und Siedlungsformen. Der Autor stützte sich auf seine Forschungen und Erhebungen, die von ihm im Zusammenhang mit einer Neuausgabe der Burgenkarte und eines Einzelobjektinventars für die Schweiz angestellt wurden. Letztgenannte Dokumentation enthält 400 Kategorien von Ortsbefestigungen! Bitterlis Systematik umfasst regionalspezifische Typen, z.B. "Borgo" und "Castello-recinto" ebenso wie sozial- bzw. standes- und milieudefinierte Gruppen (etwa den "Etter"). Die Obergattung "Sakrale Bauten" wird in vier Gruppen unterteilt, die der "Profanbauten" in 15, darunter die Kategorie der "Spezialfälle". Das dazu passende Fazit des Autors lautet: "Im Grunde stellen wir fest: jede Einzelsiedlungsstelle, die für den Zeitgenossen von Bedeutung war, wurde im Mittelalter wehrhaft ausgerüstet und befestigt" (40).

Fragen nach der Bau- und Unterhaltsfinanzierung von Stadtbefestigungen ging Daniel Burger nach. Antworten darauf fand der Verfasser des zweiten Aufsatzes in den Archivalien der Reichsstädte Weißenburg und Nürnberg. Hier lässt eine günstige Quellenlage wichtige Aussagen für das 14. und 15. Jahrhundert zu, ganz im Gegensatz etwa zum Burgenbau.

Andrea Stieldorf befasst sich in ihrem Beitrag mit den Darstellungen von Stadtbefestigungen auf zahlreichen Siegeln und Münzen und deren ikonografischem Gehalt. Zur Feststellung der tatsächlichen Beschaffenheit einstiger Wehranlagen können diese kleinformatigen und stark stilisierten Abbildungen kaum dienen. Der Quellenwert und die hohe Aussagekraft dieser bildlichen Symbole bestehen vor allem darin, dass sie etwas über das zeitgenössische Verständnis von Wehrbauten mitteilen können, vor allem über ihre Funktion und Bedeutung als Repräsentationsarchitektur und deren Wahrnehmung als solche.

Carla Meyer nahm sich mit dem spätmittelalterlichen Städtelob ein spezielles literarisches Sujet vor. Sie kommentiert Texte, die Nürnberg als "wehrhaftes Gemeinwesen" feiern, bei denen sich Fiktion und Realität durchdringen, auch wegen der gelehrt-humanistischen Metaphern und antik-mythischen Analogien. Eduard Sebald stellt in seinem Aufsatz das Obere Mittelrheingebiet vor als eine mit Befestigungen dicht besetzte "politische" Landschaft. Diese erhielt ihre besondere fortifikatorische Prägung aufgrund der sich hier an einem Haupthandelsweg konzentrierenden Macht- und Wirtschaftsinteressen mehrerer großfeudaler Territorialherrschaften mit gleich vier Kurfürstentümern an der Spitze.

Über Befestigungswerke im Vorfeld von Städten referiert Olaf Wagener. Dazu bietet der Verfasser etliche Einzelbeispiele aus ganz Europa, bei denen er entsprechende Schrift- und Bildzeugnisse ausgewertet hat, die etwa Belagerungen u.a. Kampfhandlungen beschreiben bzw. illustrieren.

Dass Grangien als Hauptkomponenten der klösterlich-zisterziensischen Eigenwirtschaft vielerorts einer permanenten Sicherung durch Wehrbauten bedurften und somit ebenfalls verschiedenartig befestigt wurden, wird von Tobias Schönweis durch Anführung bauhistorisch bemerkenswerter Exempel hervorgehoben, die auch "Feste Häuser" und sogar mehrgeschossige Wehr- und Wohntürme einschließen.

Der nachfolgende Text Udo Liessems setzt sich ebenso mit einem Teil der materiell-defensiven und rechtlichen Ausstattung von Klöstern auseinander, mit deren Immunitätsmauern. Ausführlich wird die Umfassungsmauer des Klosters Maria Laach mit ihren baulichen Veränderungen im Verlauf von rund 800 Jahren behandelt.

In die Zentralschweiz, auf das Territorium der drei Urkantone, führt der Beitrag von Jakob Obrecht. Sein Thema sind die Letzimauern (Letzinen), eine regionaltypische Form der Landwehren, und die wohl weit weniger bekannten "Seesperren", mit denen Ufer- und Randzonen vom Vierwaldstätter See zusätzlich gesichert wurden.

Über Dorfbefestigungen und erste Ansätze zu deren flächendeckenden Erfassung in Sachsen-Anhalt berichtet Reinhard Schmitt, der diese bis dato unzureichend wahrgenommene und dokumentierte Denkmal-Gruppe einer sich allemal lohnenden intensivierten Forschung anempfiehlt. Stadtbefestigungen des Mittelalters in Oberösterreich nahm aus archäologischer Perspektive Nikolaus Hofer für seinen Aufsatz in den Fokus, vorzugsweise die Befestigungen von Eggenburg, Krems und Linz. Ein Exempel an hochspezialisierter Bauforschung liefert Bernhard Metz mit seinem komprimierten Dokumentationsbericht über die Stadtmauern im Elsaß. Waltraut Friedrich hingegen bewegt sich in einem weiter gefassten kultur- und regionalgeschichtlichen Kontext bei ihren Ausführungen zu vier Städten im Kinzingtal und deren Wehrbauten (Gelnhausen, Wirtheim, Wächtersbach und Bad Orb). Stefan Frankewitz leitet seine Übersicht zum reichen Fundus an spätmittelalterlichen Stadt- und Landbefestigungen im Niederrheingebiet mit Nennung der ersten dort urkundlich belegten Burgen ein, um sich dann den insgesamt 76 Ortschaften zuzuwenden, die den Charakter von "Burgstädten" und "Stadtburgen" hatten.

Sechs Beiträge im Band fügen sich zu einem monografisch ausgerichteten Block. Zu diesem gehören Günther Stanzls Vorstellung der Stadtbefestigung von Oberwesel am Rhein, einem Juwel kommunaler Wehrarchitektur des 13. und 14. Jahrhunderts, dann die Reflexionen von Achim H. Schmidt zum imposanten Ruinenensemble einer großen Dynastenburg, der Virneburg Monreal/Eifel, und desweiteren die Präsentation von Mauern und Türmen der Stadt Alken an der Mosel durch Holger Simonis, welcher auch den Aspekt praktischer Denkmalpflege anreißt. Die zwischen 1470 und 1490 entstandene und nahezu komplett erhaltene Befestigung des kleinen Ortes Dalsheim bei Worms ist Gegenstand des Aufsatzes von Stefan Ulrich, der die wohl konservierte sogenannte "Fleckenmauer" detailliert beschreibt. Aus dem zeitlichen und thematischen Rahmen des Bandes fällt Benedikt Stadlers Bericht zu den archäologischen Erkundungen der Überreste von Mannheims Fortifikationen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, als die Stadt landesherrliche Residenz und Festung war. Radu Lupescu schildert, wie Sibiu (ung. Nagyszeben, dt. Hermannstadt) ab dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts zum urbanen Zentrum Siebenbürgens wurde und dementsprechend stark ausgebaute Befestigungsanlagen erhielt mit drei großen Verteidigungszonen analog zur Besiedlungsstruktur.

Mit dem Sibiu-Beitrag und den vier letzten Aufsätzen greift die Publikation bis auf den Balkan und in den Orient aus. So informieren Katharina Predovnik, Predrag Novacović und Matjaž Bizjak über ein räumlich ausgedehntes wie engmaschiges Defensionssystem im heutigen Slowenien, das man seit dem 15. Jahrhundert zum Schutz vor einfallenden osmanischen Truppen und Streifscharen angelegt hatte. Auch mittels Anwendung modernster rechnergestützter Methoden, etwa durch GIS-Analysen, wurde dieser eindrucksvolle vielgestaltige Wehrkomplex auf seine einstige Funktions- und Leistungsfähigkeit untersucht. Hans-Joachim Kühns Text mit dem Titel "Byzantinische Stadtbefestigungen" erweist sich beim Lesen auch als Einführung in die Militärgeschichte des Kaiserreiches von der Spätantike bis ins Hohe Mittelalter. Frank Alexander Krämer führt mit seinem Thema noch weiter in den Osten, zu den islamisch-arabischen Metropolen Bagdad und al-Raqqa/al-Rafiqa während ihrer Früh- und Glanzzeiten im 8. und 9. Jahrhundert. Die Aufsatzreihe beschließt Kathrin Machineks Gang durch die Geschichte Alexandrias mit Blick auf deren Befestigungsanlagen seit Beginn der Mameluckenherrschaft (1250) bis in die jüngste Vergangenheit.

Das breitgefächerte thematische Spektrum des Bandes und die stattliche Zahl von Fachleuten, die hier als Protagonisten unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen und Tätigkeitsbereiche zu Wort kommen, bieten an sich schon ein deutliches Indiz dafür, dass die Erforschung und Dokumentation mittelalterlicher Befestigungsarchitektur zumindest im west- und mitteleuropäischen Raum mit der notwendigen Intensität und interdisziplinären Vernetzung erfolgt. Zugleich bezeugt diese Veröffentlichung, welche Herausforderungen und Probleme darin bestehen, die Erkenntnisse auch in angemessener Weise publizistisch zu bündeln, um sie sinn- und zweckvoll zu kommunizieren.

Michael Lissok